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Schottland
Teure Unabhängigkeit

Wenn die Schotten am 18. September über ihre Loslösung von Großbritannien abstimmen, entscheiden sie auch über ihre wirtschaftliche Zukunft. Für Viele steht fest: Ein unabhängiges Schottland würde aufblühen. Aber es könnte auch ganz anders kommen.

Von Jochen Spengler | 09.09.2014
    Schottische Pfundscheine und Münzen
    Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit streiten um das schottische Pfund (AFP / ANDY BUCHANAN)
    Keine Frage: Bei einem Alleingang würde Schottland wirtschaftlich überleben. Acht Prozent der Bevölkerung Großbritanniens leben in Schottland, das sind 5,3 Millionen Einwohner, die zwischen acht und neun Prozent des britischen Sozialprodukts erwirtschaften.
    Die Frage ist nur: Wird es dem Land nach der Unabhängigkeit wirtschaftlich besser oder schlechter gehen? Die Antwort darauf ist wahlentscheidend, sagt Jan Eichhorn, Sozialwissenschaftler an der Uni Edinburgh: "Fast alle, die sagen, es wird Schottland wirtschaftlich schlechter gehen, stimmen gegen die Unabhängigkeit." Für mehr als 15 Prozent der Wählerschaft sei die Unabhängigkeit zwar das Ideal, sie seien aber nicht überzeugt davon, dass Schottland sich das leisten könnte.
    Kann Schottland die Loslösung finanzieren?
    Die "Better-Together-Unionisten" behaupten, jeder Schotte werde jährlich umgerechnet 1.700 Euro mehr in der Tasche haben, wenn das Land im United Kingdom bleibe. Die in Edinburgh regierende Nationalpartei, die für die Trennung kämpft, behauptet das Gegenteil: Nur ein unabhängiges Schottland werde aufblühen, eines der weltweit reichsten Länder sein und jeder Schotte dürfte 1.200 Euro besser dastehen als jetzt.
    Beide Seiten mühen sich seit Monaten mit Dokumenten und Studien, Fachleuten und Unterstützergruppen darum, die jeweiligen Argumente zu untermauern – und viele Schotten wissen nicht, wem sie glauben sollen. Hautptstreitpunkt ist die Währung.
    "The Pound belongs to Scotland"
    Der Ministerpräsident Schottlands und oberste Kämpfer für die Unabhängigkeit, Alex Salmond, betont, das Pfund gehöre Schottland ebenso wie England.
    "We keep the Pound because it belongs to Scotland as much as it belongs to England. It's our Pound as well as your Pound."
    Doch Londons Parteien lehnen einhellig eine Währungsunion ohne gemeinsame Wirtschafts- und Steuerpolitik ab. Wer das Vereinigte Königreich verlasse, der gebe eben auch seine Währung auf, sagt Finanzminister George Osborne:
    "If Scotland walks away from the UK it walks away from the UK Pound."
    Für Alex Salmond ist das ein Bluff, da ein gemeinsames Pfund in beiderseitigem Interesse liege. Und er droht im Falle der Verweigerung damit, dass Schottland dann seinen Anteil an den britischen Staatsschulden nicht begleichen werde – der in einer Größenordnung von mehr als 100 Milliarden Euro liegen dürfte.
    Ölerträge sollen beim Defizit-Abbau helfen
    Das Haushaltsdefizit Schottlands ist derzeit mit über acht Prozent höher als in Großbritannien. Zum Defizitabbau setzt Salmond vor allem aufs Öl. Umstritten ist aber, wie lange die Ölvorräte in der Nordsee, die einem unabhängigen Schottland zu 90 Prozent gehörten, noch reichen und was sie bringen. Die Nationalisten sind optimistisch: Sie rechnen mit jährlichen Steuererträgen von sieben Milliarden Pfund. Doch viele Experten warnen, dass es nur drei bis fünf Milliarden sein könnten.
    Zu ihnen gehört Alexander Kemp, Professor für Ölwirtschaft in Aberdeen. "Die Steuereinnahmen wären ein wichtiger Posten, um das Haushaltsdefizit zu verringern", erläutert er. "Auch wenn das Nordseeöl auf lange Sicht versiegt, kann es noch einige Jahre für hohe Zuflüsse sorgen. Aber die sind volatil", warnt er. Es sei gefährlich, sich auf eine solche Quelle für den Haushalt zu verlassen.
    Große Firmen warnen vor Jobverlusten
    Auch die Business-Welt äußert sich widersprüchlich. In einem offenen Brief haben mehr als 200 vorwiegend kleine und mittelständische Firmeninhaber für die Unabhängigkeit plädiert, weil das Kräfte freisetzen werde. Viele große Unternehmen warnen dagegen vor Arbeitsplatzverlusten, dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes, vor Kapitalflucht, steigenden Finanzierungskosten und Unternehmensverlagerungen.
    Besonders Finanzdienstleister lehnen die Sezession Schottlands ab. Sie vor allem haben an den Börsen bereits Milliarden ihres Marktwerts verloren.