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Schottland und die Unabhängigkeit
"Es gibt erhebliche Meinungsverschiedenheiten"

Die schottische Gesellschaft sei "hoch politisiert, aber auch hoch polarisiert", sagte der CDU-Europaabgeordnete David MC Allister im DLF. Sollte sich das schottische Parlament für ein weiteres Unabhängigkeits-Referendum entscheiden, würde dies die britische Regierung mit zusätzlichen innenpolitischen Problemen belasten.

David McAllister im Gespräch mit Christiane Kaess | 22.03.2017
    Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister.
    Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister. (imago / Wiegand Wagner)
    Christiane Kaess: Heute in einer Woche will die britische Regierung sozusagen die Scheidung von der Europäischen Union einreichen. Dann werden mindestens zwei Jahre harte Verhandlungen folgen. Dabei wird man es in London nicht nur mit Brüssel schwer haben, wo man Großbritannien den Abschied nicht so einfach machen will. Unter Druck steht die Regierung von Premierministerin Theresa May auch im eigenen Land. Schottland will in der EU bleiben. Heute Abend stimmt das schottische Parlament darüber ab, ob es ein weiteres Referendum zur Unabhängigkeit von Großbritannien in diesem Rahmen anstrengen will. Es wäre der zweite Anlauf für die Schotten, eine unabhängige Nation zu werden und damit eventuell in der EU bleiben zu können. Im September 2014 sprach sich eine Mehrheit noch dagegen aus. Am Telefon ist jetzt David McAllister von der Europäischen Volkspartei. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europaparlament und er hat schottische Wurzeln. Guten Morgen, Herr McAllister.
    David McAllister: Guten Morgen!
    Kaess: Würden Sie sich denn freuen, wenn Schottland in der EU bliebe?
    McAllister: Die Frage, ob ein Unabhängigkeitsreferendum in Schottland stattfinden kann und wenn ja, wann und wie, das ist eine rein innerschottische und rein innerbritische Angelegenheit. Da halte ich mich als Politiker aus Deutschland besser raus. Ich würde mich freuen, wenn das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleiben würde, aber danach sieht es leider nicht aus.
    Kaess: Es gilt ja als sicher, dass das schottische Parlament sich aussprechen wird für ein neues Referendum. Das haben wir gerade in dem Beitrag gehört. Welche Auswirkungen hätte das denn auf die Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und London?
    McAllister: Ich gehe davon aus, dass das schottische Parlament mit knapper Mehrheit für einen neuen Anlauf für ein Unabhängigkeitsreferendum stimmen wird. Die britische Premierministerin hat ja ein Unabhängigkeitsreferendum nicht kategorisch ausgeschlossen. Sie hat nur gesagt: 'It's not the time now'. Das heißt, sie könnte sich ein Unabhängigkeitsreferendum wohl nach dem Abschluss der Brexit-Verhandlungen vorstellen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde natürlich ein schottisches Unabhängigkeitsreferendum eine zusätzliche Herausforderung für den Zusammenhalt innerhalb des Vereinigten Königreichs bedeuten und deshalb geht der Streit um den Zeitpunkt.
    "Zwischen Brüssel und London hätte das keine Auswirkungen"
    Kaess: Aber für die Schotten kann dieses Referendum ja durchaus auch ein Druckmittel sein. Deshalb noch mal meine Frage: Welche Auswirkungen hätte das Ganze denn auf die Brexit-Verhandlungen zwischen Brüssel und London?
    McAllister: Zwischen Brüssel und London hätte das keine Auswirkungen. Das Vereinigte Königreich ist Mitglied der Europäischen Union. Das Vereinigte Königreich will jetzt austreten. Deshalb werden die Verhandlungen zwischen Brüssel und London geführt und die Europäische Union wird diese Verhandlungen als Block von 27 Staaten führen mit London. Wie Schottland innerhalb des Brexit-Prozesses auf der britischen Seite eingebunden wird, ist eine innerbritische Angelegenheit, und dazu gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Frau May und Frau Sturgeon.
    Kaess: Aber stärkt dieses "drohende" schottische Referendum denn nicht die EU-Position?
    McAllister: Es würde zumindest bedeuten, dass die britische Regierung, die ohnehin vor einer großen Herausforderung steht, noch mit zusätzlichen innenpolitischen Problemen belastet sein würde. Auf der anderen Seite: In Schottland haben 62 Prozent der Menschen am 23. Juni für den Verbleib in der EU gestimmt, und deshalb hat man ja in Schottland versucht auszuloten, wie man denn trotz des drohenden britischen Austritts noch dabei sein kann, entweder mit einer Teilmitgliedschaft im Binnenmarkt und anderes. Das alles ist ja nach dem Weißbuch der britischen Regierung nun nicht mehr möglich. Das heißt, das Land steuert auf einen hard Brexit zu, nicht nur EU-Austritt, sondern auch Austritt aus dem Binnenmarkt, und das hat nochmals die Position in Schottland verschärft.
    "Es geht um die Rechte der im Vereinigten Königreich lebenden EU-Bürger"
    Kaess: Und die EU kann sich auf der anderen Seite freuen, Schottland noch mehr in der Hand zu haben?
    McAllister: Es geht nicht darum, was wir in der Hand haben. Wir werden die britischen EU-Austrittsverhandlungen nach sachgerechten Kriterien durchführen. Ich bin dafür, dass wir uns auf die wesentlichen Aufgaben erst mal im Austrittsabkommen konzentrieren. Das heißt Budgetfragen, Personalfragen, die Zukunft der EU-Agenturen in London. Und insbesondere, was für uns wichtig ist im Europäischen Parlament: Es geht um die Rechte der im Vereinigten Königreich lebenden EU-Bürger. Über 3,2 Millionen EU-Bürger leben im Vereinigten Königreich. Wir wollen, dass deren Rechte gesichert bleiben, so wie das umgekehrt dann auch für die 1,2 Millionen britischen Staatsbürger in der EU gelten soll. Das sind für uns die wesentlichen Aufgaben. Wir müssen dieses Austrittsabkommen bis spätestens März 2019 unter Dach und Fach haben, damit wir Klarheit haben vor der nächsten Europawahl, und dann müssen wir uns einige Jahre Zeit nehmen, um ein neues Verhältnis zum Vereinigten Königreich dann auch per Abkommen zu definieren.
    Kaess: Herr McAllister, schauen wir noch ein bisschen mehr auf Schottland und auf eine mögliche Zukunft. Was würde es denn aus EU-Perspektive bedeuten, wenn eine Region aus dem Vereinigten Königreich in der EU bleibt? Ist das technisch überhaupt machbar?
    McAllister: Nein. Mitgliedschaft in der Europäischen Union setzt eine Eigenstaatlichkeit voraus. Das heißt, nur ein unabhängiger Staat, der in Europa liegt, der unsere gemeinsamen Werte teilt und der durch ein aufwendiges Aufnahmeverfahren geht, kann Mitglied der Europäischen Union werden. Es gibt eine Sonderregelung für Gibraltar, die ist aber nicht beliebig anwendbar. Das heißt, eine schottische Teilmitgliedschaft im Vereinigten Königreich in der EU ist nicht möglich, und eine schottische Teilmitgliedschaft über eine EFTA-Mitgliedschaft im Binnenmarkt ist wohl auch rechtlich ausgeschlossen. Gerade deshalb strebt ja Frau Sturgeon jetzt eine neue schottische Unabhängigkeit an.
    Kaess: Aber das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Extraverhandlungen über Sonderregelungen mit Schottland innerhalb Großbritanniens, das würde es auf keinen Fall geben, sagen Sie?
    McAllister: Das kann es nicht geben, denn die Europäische Union verhandelt nur mit dem Vereinigten Königreich. Wir werden in Brüssel natürlich auch die schottische Stimme sorgfältig hören, aber am Verhandlungstisch sitzt nur die britische Regierung. Und wie das britisch intern geregelt wird, das muss vor Ort entschieden werden.
    Kaess: Aber es könnte auch alles ganz anders kommen. Die britische Premierministerin May haben Sie gerade schon zitiert. Die hat zu einem neuen schottischen Referendum gesagt: 'Now is not the time'. Wann könnte die Zeit denn gekommen sein dafür?
    McAllister: Das muss wiederum zwischen Schottland und Großbritannien geklärt werden.
    Kaess: Aber für unrealistisch halten Sie es nicht, dass es dazu kommt?
    McAllister: Frau May habe ich so verstanden, dass sie ein schottisches Unabhängigkeitsreferendum, ein weiteres nach Abschluss der Brexit-Verhandlungen nicht ausschließen würde.
    "Ich habe eine hoch politisierte, aber auch hoch polarisierte Gesellschaft erlebt"
    Kaess: Durch dieses neue Referendum wäre der Druck des Brexit auf die Schotten dann so groß, dass man eventuell für eine Unabhängigkeit stimmen würde. Glauben Sie, das ist ein realistisches Szenario, anders als beim ersten Referendum?
    McAllister: Ich bin letzte Woche Freitag in Schottland gewesen, habe eine Vorlesung an der Universität in Glasgow gehalten und habe dort einmal mehr eine hoch politisierte, aber auch hoch polarisierte Gesellschaft erlebt. In Schottland geht diese Debatte, ob es ein weiteres Referendum geben soll und wenn ja wann, das geht quer durch die Familien, quer durch die Freundeskreise, quer durch die Nachbarschaften. Seit 2014, dem ersten schottischen Unabhängigkeitsreferendum, seit 2016, seit dem britischen EU-Referendum gibt es ja mehr oder weniger einen Dauerwahlkampf in Schottland. Und ich erlebe Menschen, die auf der einen Seite es nicht abwarten können, wieder zu den Urnen zu gehen, und auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die mittlerweile referendumsmüde sind. Das ist eine sehr komplizierte und zugleich auch sehr sensible Angelegenheit in diesem wunderschönen Land im Norden.
    Kaess: Sollte es dazu kommen und die Schotten sich tatsächlich für eine Unabhängigkeit aussprechen, was glauben Sie, würde London das anerkennen?
    McAllister: 2014 ist das ja einvernehmlich zwischen London und Edinburgh vereinbart worden, dass es ein Referendum gibt und dass dann auch beide Seiten den Ausgang des Referendums akzeptieren würden. Wenn es ein weiteres Referendum geben würde, was wiederum im Einvernehmen zwischen London und Edinburgh organisiert wird, dann würde selbstverständlich die britische Regierung wie dann auch hoffentlich die schottische Regierung den Ausgang des Referendums akzeptieren.
    "Es geht darum, den britischen EU-Austritt vernünftig über die Bühne zu bringen"
    Kaess: Jetzt muss ich Sie zum Schluss, Herr McAllister, doch noch mal fragen in Ihrer Position. Sie müssten sich doch eigentlich freuen, wenn die EU-Freunde gestärkt werden, oder, auch wenn Sie sich in innerbritische Angelegenheiten nicht einmischen wollen?
    McAllister: Ich habe den Ausgang des britischen Referendums am 23. Juni außerordentlich bedauert. Ich finde es nach wie vor sehr, sehr schade, dass dieses großartige Land unsere Europäische Union verlassen wird. Aber eine knappe Mehrheit der Menschen hat entschieden und die britische Regierung setzt das jetzt um. Jetzt geht es darum, den britischen EU-Austritt vernünftig über die Bühne zu bringen. Wir haben nicht um diese Scheidung gebeten, London hat um diese Scheidung gebeten. Aber jetzt lasst uns das Beste aus dieser Situation machen, und wichtig ist auch, dass wir dabei den Zusammenhalt der verbleibenden EU-Staaten garantieren.
    Kaess: … sagt David McAllister, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament. Danke schön für das Interview heute Morgen.
    McAllister: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.