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Schräges Denken

Titel und Untertitel dieses kleinen Kunstalmanachs gehen gar nicht so leicht von der Zunge, klingt nicht "Frau und Hund" etwas offizierscasinohaft, das "kursive Denken" recht prätentiös - nun, wir werden unseren Kronzeugen Durs Grünbein sogleich dazu befragen.

Von Martin Krumbholz | 20.03.2008
    Die Zeitschrift, die nun im sechsten Jahrgang erscheint, ist unverkennbar das Produkt des Künstlers Markus Lüpertz: die "Visitenkarte" des Malerfürsten, wie er sich gern nennen lässt, sein privates und doch öffentliches Steckenpferdchen, zugleich Streitschrift, Tummelplatz für die unterschiedlichsten intellektuellen und ästhetischen Ambitionen und Prätentionen, und Grünbein spielt ebenso unverkennbar die Rolle, das Projekt götterlieblingshaft zu adeln, indem er das Heft regelmäßig mit (frischen!) Beiträgen versorgt - und indem er uns zum Beispiel davon erzählt.

    " Die Idee, eine kleine Zeitschrift zu gründen, kam von Lüpertz, der das Geld dazu hat, so ein Projekt zu finanzieren und wirklich unabhängig, auch von Verlagen, zu gestalten. Ausgangspunkt war seine Unzufriedenheit mit der Kunstkritik, so ging es wohl los; er hielt einen Vortrag über die Misere der Kritik, wurde erst recht beschimpft, hielt einen weiteren Vortrag, in dem er die Kritik aus denselben Gründen lobte, aus denen er sie vorher getadelt hatte, und so weiter: Also im Grunde ein reiner Privatdadaismus. Das war die Geburtsstunde dieser Zeitschrift. Zunächst war vom "Querdenken" die Rede, dagegen habe ich interveniert, das ist ja ein unmöglicher Begriff, und irgendwie kam man dann auf "kursives Denken", also schräges Denken, aber irgendwo auch im Sinn von "kursorisch", man kann durch dieses Heft querbeet lesen, oder auch nur blättern. Und der Haupttitel, "Frau und Hund", da klingt Lüpertz' Leidenschaft für das Jagen durch, "Jagd und Hund". Wenn ich Freunde frage: Wie klingt euch das, kommen die merkwürdigsten Assoziationen. Frauen sind oft irritiert, finden es aber auch wieder charmant. Manche halten es für puren Feminismus, andere für das Gegenteil!"

    Nun gut, bevor wir in die unergründlichen Tiefen der weiblichen Psyche eintauchen, halten wir lieber das Offensichtliche fest: Das Heftchen liegt gut in der Hand, die Titelseite ist jedes Mal mit einem bunten Bild aus der Hand des Malers Lüpertz geschmückt, und schlägt man das Heft auf, trifft man unfehlbar auf himself, das fotografierte Konterfei des Meisters. Dandyhaft, spöttisch, maliziös, stets aus dem Ei gepellt. Was den Inhalt der mittlerweile elf Hefte (zusätzlich zwei Supplemente in französischer beziehungsweise italienischer Sprache) betrifft, so spricht Grünbein sibyllinisch von einem "Seesack" voller Überraschungen. Abseitige Texte mit abstrusen Privatphilosophien finden sich ebenso wie originelle Beiträge nicht ohne Anmut und Witz.

    Zu letzteren ist etwa Grünbeins New Yorker Tagebucheintrag vom April 2005 zu zählen, in dem er von einem Traum berichtet, in dem der sterbende Papst auf dem Totenbett eine Zigarette verlangt und geraucht habe; an anderen Stellen ist auch Gabriele Henkel als begnadete Satirikerin zu entdecken. Zu den erlauchten Beiträgern des Almanachs zählen keine Geringeren als George Tabori, Joachim Sartorius oder der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, der es sich nicht nehmen lässt, im September 2006 die Wiener Ausstellung "eines der größten Künstler des 20. Jahrhunderts" zu eröffnen, obwohl der ihn barsch habe wissen lassen, Politiker hätten doch gar nicht die Bildung, um für Kunst zuständig zu sein; aber einer wie Schröder ist ja nicht zimperlich, und an seinem Freund Lüpertz rühmt er, was ihn auch selbst auszeichnet: die "gesunde Selbsteinschätzung".

    "Das ist ein wildes Sammelsurium, auch mit vielen ausländischen Autoren, und manchmal wird der Text eines ungarischen Autors, weil man keine Zeit hatte, ihn zu übersetzen, einfach im Original gedruckt, eigentlich eine Zumutung! Das hat einen Touch von Dilettantismus oder von Dadaismus, auf der anderen Seite sind die Hefte aber sehr gut gestaltet, weil es eben keinen Budgetmangel gibt. Ich sehe darauf auch ein bisschen wie ein Chronist: Was entsteht da so? Mich erinnert das auch an frühere Zeiten: an die Prenzlauer-Berg-Szene, wo man mit sehr primitiven Mitteln eigene Kreationen hervorgebracht hat. Samisdat. Im Grunde ist das hier so eine Art Millionärs-Samisdat!"

    Wenn wir Durs Grünbein richtig verstehen, ist es so: Man muss den ausgeprägten Narzissmus eines Markus Lüpertz augenzwinkernd in Kauf nehmen, um in dieser Zeitschrift eine großzügig alimentierte Spielwiese zu sehen, ein freies Feld der Anarchie.

    Doch im Ernst: Stößt die Toleranz des großen Lyrikers Durs Grünbein nicht an eine natürliche Grenze, wenn er plötzlich in eine Art Konkurrenz zu poetischen Ergüssen seines Freundes Lüpertz gerät, die gut und gerne schon mal schlappe 20 Seiten umfassen können? Eines ist klar: Ein Lyriker ist an unserem Malerfürsten nicht wirklich verlorengegangen, und das kann auch Grünbein kaum entgangen sein. Das "Requiem für Jörg" (nämlich Immendorf), das das jüngste Heft 11 eröffnet, ist ein krauses Gemisch aus Idolatrie, kaum verkappter Selbstbeweihräucherung und Kritikerschelte, ungefilterter Klartext, auf den die Salamitaktik angewandt wurde, mit deren Hilfe Autoren, die vom Handwerk eine eher blasse Ahnung haben, ihre Prosatexte schwuppdiwupp in Lyrik verwandeln zu können glauben, indem sie jeweils nach einer halben Zeile einen Schnitt machen und in die nächste springen. "unsere Zeit muss lernen", heißt es da, "den Künstler zu loben und zu preisen. Denn die Schlachtfelder der Verurteilungen, oberflächlichste Form von Nachruf und Erinnerung, sind kleinbürgerliche Heldenfriedhöfe, die in ihrer Sehnsucht herabzuwürdigen, Historie und Wertung belasten. [ ... ] eins kann der Mensch: Götter vergessen. Doch glauben Sie nicht, meine Damen und Herren, dass ich das zulassen werde." Soso. Wir Damen und Herren als lyrische Objekte werden uns also in acht nehmen und schnellstens unseren gesunden Menschenverstand ausschalten! Unser Gesprächspartner indes lässt sich weder ins Bockshorn jagen noch aus der Fassung bringen.

    Da bin ich entwaffnet. Es ist ein Privileg des Künstlers, Tabus zu brechen, auch mal naiv und wie ein Kind zu reden, gefühlsverkitscht - im Pop und so weiter sorgt das für beste bambiträchtige Unterhaltung. Warum nicht in den Künsten? Kunsthistoriker sind mit dem Verurteilen etwas vorsichtiger, da gilt das als Experiment, was ein Germanist vielleicht strengen Bewertungskriterien unterwerfen würde. Ich kann keine Verantwortung übernehmen für alles, was da gedruckt wird; das ist ein kunterbunter Kraut- und Rübengarten. Da züchtet einer seine Riesentomaten, aber ob die auch essbar sind? Ich weiß es nicht.