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Schrei nach Freiheit

Ali Samadi Ahadis beschreibt in seinem Dokumentarfilm die Niederschlagung der friedlichen grünen Revolution im Iran mit ganz neuen, zeitgemäßen Mitteln. Der Film ist eine ganz besondere Erfahrung.

Von Josef Schnelle | 24.02.2011
    Die Zeiten des klassischen Dokumentarfilms mit "Talking Heads" aus den Einzel-Interviews und atmosphärischen Aufnahmen von Landschaften und Ereignissen, über die ein alles wissender Kommentator spricht, sind wohl endgültig vorbei. Kaum ein großer Dokumentarfilm kommt heute ohne "Renactment" aus, ohne Szenen an der Grenze zum Spielfilm. Seit "Waltz with Bashir" von Ari Folman 2008 sind sogar voll animierte Passagen zu Originaltönen oder geschriebenen Mini-Essays und Spiel-Szenen durchaus üblich geworden. Schließlich kann gerade das besonders Dramatische in den seltensten Fällen in der notwendigen Bild-Qualität dokumentiert werden.

    Aber mit Handyfilmchen, Twitter- und SMS-Botschaften, Internetblogs und Facebook-Einträgen haben sich mittlerweile ganz neue dokumentierende Medien etabliert. Die Grüne Revolution in Iran nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen Mahmud Ahmandinedschads im Iran 2009 war die erste große Volksbewegung, die von diesen Medien begleitet wurde. Auch, wenn der Aufstand schließlich niedergeschlagen wurde, wurde er zu einem Testlauf für die neuen Formen der Öffentlichkeit. Seither kappen die diktatorischen Regimes immer zuerst das Internet und versuchen die Mobilfunkfrequenzen zu stören oder abzuschalten, was man in Tunesien, Ägypten und Libyen gerade wieder beobachten konnte. Auch die neuen Unruhen dieser Tage im Iran finden erst einmal im elektronisch blinden Fleck statt. Da hat das Regime dazu gelernt.

    Der in Deutschland lebende iranische Filmemacher Ali Samadi Ahadi, bekannt geworden 2005 durch seinen Dokumentarfilm "Lost Children", der vom Schicksal der Kindersoldaten in Uganda erzählt. Bemerkenswert an "The Green Wave" ist, dass er sich als erster Film überhaupt der neuen Erzähltechniken konsequent bedient, um vom Volksaufstand der Iraner zu erzählen. 1985 ist Ali Samadi Ahadi zur Zeit des ersten Golfkrieges noch als Jugendlicher nach Deutschland geflohen. Seither kann er nicht mehr einreisen. Sein Film ist also ein Blick auf seine Heimat aus der Ferne. Und er ist einer, der die historischen Verwerfungen der Geschichte seines Landes kennt und berücksichtigt.

    "Mein Vater sagte mir immer: Wir gehören zu einer Nation, die seit 150 Jahren auf der Suche nach ihrer verloren gegangenen Stimme ist. Und er sagte: Wir sind nicht mehr weit davon entfernt. Wir müssen uns nur danach strecken. Dann werden wir es schaffen. Seine Generation hat das oft versucht und ist immer wieder daran gescheitert. Dann waren wir dran, unser Glück zu versuchen. Und für wenige Wochen hatten wir das Gefühl, unserem Ziel so nah zu sein, wie noch nie zuvor."

    Der beindruckende Film tritt bald in seinen zweiten Aggregatzustand ein. Berichte des Grauens tauchen aus den Foltergefängnissen auf. Auch hier vertraut Ahadi mit seinen Animationsszenen eher auf die Vorstellungskraft der Kinobesucher. Es gelingen ihm eindrucksvolle Szenen. Man muss nicht immer sehen, was durch Sprache vermittelt werden kann. Besonders nicht die Schrecken des Krieges einer Regierung gegen das eigene Volk.

    Wächterin: "Plötzlich stürmten die Wächter in Zivil herein. Sie begannen in der absoluten Dunkelheit, uns zusammenzuschlagen. Sie schlugen wahllos auf die Leute ein. Eine halbe Stunde lang schlugen sie uns zusammen. Einige fielen ins Koma oder verloren ihr Leben. Ich konnte das alles nicht glauben."

    Ganz mag Ali Samadi Ahadi dann doch nicht auf die klassischen Interviewszenen verzichten. Er befragt einige Beteiligte des Aufstands, die inzwischen im Exil leben. Insgesamt ist der Film aber eine ganz besondere Erfahrung, nach der man die neusten Nachrichten vom "Sturm über Arabien" sicher anders bewertet, als zuvor. Und dass das Kino die Schnittstelle aller neuen Bildmedien sein kann.