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Schreiben gegen Heimatlosigkeit

Die libanesische Malerin und Schriftstellerin Etel Adnan ist mit einem besonderen Blick durch europäische Städte gereist. Sie hat das weibliche Leben betrachtet. Noch vor dem künstlerisch-kritischen Blick auf die Dinge gibt politisches Denken den Ton ihrer Prosa an.

Von Imogen Reisner | 15.09.2006
    Ja, so müsste man reisen, als Frau allemal. Mit der Perspektive auf weibliches Leben in den Städten. Unter der prüfenden Vorgabe: Wie frei kann Frau sich dort bewegen? Mit welchem Blick schauen die Männer auf die Frauen? Wie sind Kunst, Architektur und Gedankengebäude beschaffen, um Frauen auf ihren Wegen in der Stadt zu bereichern?

    Die libanesische Malerin und Schriftstellerin Etel Adnan hat sich mit diesem Blickwinkel auf den Weg gemacht. Zwei Jahre lang, von Juni 1990 bis zum August des Jahres 1992 bereist sie die europäischen Städte Barcelona, Murcia, Aix-en-Provence, Rom, Amsterdam und Berlin. Auch auf der griechischen Insel Skopelos macht sie Station. Ihre Eindrücke und Erfahrungen hält sie in Briefen an einen befreundeten Verleger in Paris fest. Es sind scharfe Beobachtungen, kleine politische Essays, historische Miniaturen und wie Aquarelle hingetupfte Bilder vom Mittelmeer. Vieles von dem, was Etel Adnan sieht und erlebt, setzt sie in Bezug zu Beirut, ihrer bürgerkriegsversehrten Heimatstadt. Sie ist ständiger Fluchtpunkt ihrer Erinnerungen, hier kristallisieren sich auf schmerzliche Weise all ihre Erfahrungen. Beirut, die Stadt, die sie wie eine unheilbare Wunde überall auf ihren Reisen mit sich führt.

    Etel Adnan, 1925 im Libanon geboren, lebt heute in Paris und Kalifornien. Ihr Denken ist europäisch geprägt und doch immer verortet im Spannungsfeld zwischen westlicher Moderne und der archaischen Welt des Orients. Auf ihrer Reise zu den urbanen Zentren Europas trifft sie Freunde, besucht Ausstellungen, stellt unbequeme Fragen und prüft die Beziehungen zwischen den Städten und den Frauen, die dort leben. Sie vergleicht das, was sie sieht, mit dem Leben der Frauen in den arabischen Ländern. Auf diese Weise entsteht eine Landkarte weiblicher Lebensart, die sehr deutlich Auskunft gibt über den Charakter der Orte und die Art, wie Frauen dort ihr Leben gestalten.

    Von Barcelona etwa ist Etel Adnan fasziniert. Freiheit, die ein Zustand des Geistes sei, begegnet ihr in der spanischen Metropole auf Schritt und Tritt. Sie preist die Architektur, die schmiedeeisernen Balkone und die engen Gassen, die keineswegs den Geist einengen, sondern - so formuliert es die Künstlerin - die Wände in "musikalische Flächen" und "katalanische Malerei" verwandeln.

    Doch niemals lässt sich die Kosmopolitin aus dem Libanon einlullen von der Leichtigkeit mediterraner Schönheit. Ihr Geist bleibt wach und kritisch, etwa wenn sie moniert, dass die gesamte Kultur des Mittelmeers auf der Anbetung des Sohnes beruhe. Im gleichen Atemzug artikuliert sie das Unbehagen, das sie in den Straßen der arabischen Welt überkommt. "In Marrakesch", schreibt Etel Adnan, "tragen die Frauen viel eher ihren gesellschaftlichen Status mit sich als ihre Seele." In den Straßen von Barcelona dagegen erlebt sie die Frauen nicht als "Ausnahmezustand", sondern als "Teil der Menschheit, Teil eines Ortes, eines Klimas, eines Landes. Sie erinnern mich daran, dass es aufregend ist, am Leben zu sein."

    Leben, das heißt für Etel Adnan, sich reisend, beobachtend, im Dialog mit dem Fremden der eigenen Identität zu vergewissern. Da sie auch Malerin ist, führt ihr Weg vor allem über die Kunst. Intensiv verfolgt sie vor Ort die Spuren verschiedener Künstler wie Cezanne, Tapies, Picasso. Vor allem Picasso folgt sie auf seinem Weg von Barcelona nach Paris und wieder südwärts in die Provence. Barcelona - so Etel Adnan - war Picassos Hauptstadt des Herzens. Dort, im milden Licht des Picasso-Museums, spürt sie seine frühen Landschaften auf und ist überwältigt von den Farben, dem Licht, den Gefühlen. Immer wieder prüft sie die Größe des spanischen Meisters und kommt zu der Erkenntnis, dass sie die Größe ursprünglicher, einfacher Dinge ist wie das Meer, ein Tisch, Früchte, eine Frau, mit der der Künstler gerade das Leben teilt. Es ist die klassische Arbeit des Malers, der ein gewöhnliches Objekt in einen Gegenstand der Betrachtung verwandelt, die auch Etel Adnans Briefsammlung "Von Frauen und Städten" auszeichnet.

    Wie in ihrem letzten Buch "Im Herzen des Herzens eines anderen Landes" schreibt die Libanesin auch in den vorliegenden Miniaturen gegen die Zerstörung und ihre daraus resultierende Heimatlosigkeit an. "Sich in die eigenen Adern stürzen. Sich im eigenen Gehirn verstecken. Sich den Kopf amputieren" - wie dumpfe Schläge mit dem Beil rythmisierten die Infinitivsätze ihren Text über den Irak-Krieg aus dem Jahr 2004. Tägliches Leben nach dem libanesischen Bürgerkrieg zwölf Jahre früher heißt für Etel Adnan, "seine Zeit damit zubringen, die Öllachen auf den Straßen zu umgehen, die die Blutlachen abgelöst haben."

    Noch vor dem künstlerisch-kritischen Blick auf die Dinge, die ihre Reise bestimmen, gibt das politische Denken Etel Adnans den Ton ihrer Prosa an. So fallen ihr bei der Ankunft in Frankfurt anlässlich einer Lesung als erstes die schwarzen Militärjets am Frankfurter Flughafen in die Augen. "Todesvögel" notiert sie in ihrem Brief. Es ist ihr erster Besuch in Deutschland.

    Die Galerie Janine Rubeiz in Beirut hat die im Dezember 2004 ausgestellten Bilder Etel Adnans mit einer Publikation begleitet. Das Cover zeigt das erste Bild einer Kalifornien-Serie: ein schwerer, etwas behäbiger Dampfer auf ruhiger See bei Nacht. Geometrische Formen, großflächiger Farbauftrag. Die vorherrschenden Farbtöne sind Schwarz, Braun, Olivgrün, Blaustufen, ein schmaler Streifen Rot. Aus dem Zentrum des Bildes leuchtet ein kleiner weißer, unregelmäßig geformter Fleck: Kalifornien, römisch eins, aus dem Jahr 2000 - die unübersehbare Friedensfahne Etel Adnans.