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"Schreiben heißt, ein starkes Ego aufzubauen"

Die 33-jährige türkische Autorin Elif Shafak zeichnet sich durch eine große Wachheit und Sensibilität für kulturelle Unterschiede aus. Aufgewachsen als Tochter einer Diplomatin hat sie früh Ortswechsel erlebt: Von Straßburg zog ihre Mutter mit ihr in die Türkei und weiter nach Spanien. Als Erwachsene kehrte Elif Shafak in die Türkei zurück, studierte in Ankara, ging dann nach in Istanbul und begann das Schreiben von Romanen.

Von Annette Brüggemann | 18.08.2005
    " Heute loben Literaturkritiker in der Türkei mein Türkisch, dessen Reichtum und Tiefe. Doch ironischerweise ist mein Türkisch nur deshalb so reich, weil ich die Angst kenne, meine Muttersprache zu verlieren."

    Elif Shafak lächelt aufmerksam, wenn sie spricht, nicht nur ihr Türkisch, auch ihr Englisch klingt druckreif. Die 33-jährige türkische Autorin zeichnet sich durch eine große Wachheit und Sensibilität für kulturelle Unterschiede aus. Aufgewachsen als Tochter einer Diplomatin hat sie früh Ortswechsel erlebt: Von Straßburg zog ihre Mutter mit ihr in die Türkei und weiter nach Spanien. Als Erwachsene kehrte Elif Shafak in die Türkei zurück, studierte in Ankara, ging dann nach in Istanbul und begann das Schreiben von Romanen.

    1997 rückte sie mit ihrem Debüt "Pinhan", auf Deutsch: "Der Verborgene", prompt in den Mittelpunkt der literarischen Öffentlichkeit. Sie erhielt den Rumi Great Prize for the Best Novel in der Türkei - ein Preis, der die besten Arbeiten mystischer, transzendentaler Literatur würdigt. Es folgten weitere Auszeichnungen. Mittlerweile lebt Elif Shafak in den Vereinigten Staaten und arbeitet als Dozentin am Institut für Nahost-Studien der University of Arizona.

    " Ich war berühmt in der Türkei, als ich Istanbul verließ. Ich war jemand. Und dann zog ich in die Staaten, von einem Tag auf den anderen war ich ein Niemand. Diese Herausforderung habe ich gebraucht. Auch fühle ich mich dem Sufismus sehr verbunden. Und das Pendel zwischen Existenz und Nicht-Existenz interessiert mich. Schreiben heißt, ein starkes Ego aufzubauen. Dieses Pendel, dieser Widerspruch zwischen unseren Egos und der Kunst, wieder ein Niemand zu werden, das gefiel mir, ich musste auch in meiner Identität eine Nomadin werden."

    "The Saint of Incipient Insanities", auf Deutsch: "Die Heilige des nahenden Irrsinns", heißt Elif Shafaks fünfter und jüngster Roman. Zur Überraschung ihrer türkischen Leserschaft hat sie ihn auf Englisch verfasst, im letzten Jahr wurde er in den USA veröffentlicht.

    " Wenn ich schreibe, bin ich eine mutigere Person, als ob ich andere Teile meines Gehirns benutzen würde. Ich bin eine sehr starke Person, wenn ich schreibe. Mit dieser Chuzpe begann ich also zu schreiben und die Geschichte nahm ihren Lauf. Nur realisierte ich, dass ich nicht dieselbe Person im Türkischen und im Englischen bin. Ich glaube, ich hatte noch ein anderes Selbst in mir, das ich im Türkischen nicht leben konnte. Und ich wollte diesem anderen Selbst eine Stimme geben, das zuvor verborgen war. Ich möchte weiterhin parallel auf Englisch und Türkisch schreiben."

    Liebevoll und mit leiser Ironie manövriert Elif Shafak ihre Figuren durch die Wirren des Alltags. Da gibt es den Türken Ömer, den Marokkaner Abed und den Spanier Piyu - sie leben zu dritt in einer WG in Boston. Es ist ein Amerika nach dem elften September, in dem sich jeder der Drei seine Herkunft mit Trotz zu erhalten versucht. Ömer braucht seinen schwarzen Kaffee, genauso wie Abed seinen Pfefferminztee und Piyu seine tägliche Knoblauchration. Und dann ist da noch Piyus magersüchtige Freundin Allegre, die auf der Suche nach sich selbst ist. Und Gail, die eigentlich Zarpandit heißt, eine Amerikanerin mit jüdischen Wurzeln.

    " Was mich an ihr am meisten fasziniert hat, ist ihre Fähigkeit, Gegensätze in ihrer Persönlichkeit zu vereinen. Auf der einen Seite gibt es diese Fremden, die darüber besorgt sind, auch nur einen Punkt in ihrem Namen zu verlieren. Und auf der anderen Seite ist da Gail, die gar keine Identität haben will. Deshalb will sie permanent ihre Namen ändern, ihre Identitäten, sie will eine Nomadin sein. Durch ihre Persönlichkeit war es mir möglich, etwas auszudrücken, was ich sehr mag: Die Kombination aus Humor und Traurigkeit."

    Gail ist die Gewinnerin und Verliererin des Romans, eine Art Joker, die sich dem Leben leidenschaftlich entgegenstürzt. Ömer hat sich in sie verliebt und in seine Heimatstadt Istanbul mitgenommen.

    " (Gail) Mach dir keine Sorgen, okay? Ich bin sicher, wir werden uns verstehen, sie und ich." "(Ömer) Wer ist sie?" "(Gail) Deine Mutterstadt natürlich...", trällerte Gail. Warum er sich unversehens in einen routinierten Fremdenführer verwandelt hatte, konnte er nicht in einfache Worte fassen. Istanbul war absurder Weise ein saftiger, duftender, knallroter Apfel geworden, den er unentwegt blank rieb, bevor er ihn der Frau schenkte, die er liebte. Je mehr er polierte, desto mehr Verschönerungsdrang spürte er. So, wie man sich einen Schnupfen holt, war Ömer einem ihm bislang unbekannten Virus ausgesetzt, von einer namenlosen Krankheit infiziert, die unter interkulturellen Paaren grassiert, insbesondere, wenn ein Partner aus einem weniger entwickelten Land kommt. Obwohl er es sich noch nicht eingestanden hatte, wünscht Ömer in tiefster Seele, Gail möge die Stadt, wenn nicht das Land lieben, woher er kam. (...) So saßen sie jeder auf einer Seite eines kitschigen Doppelbetts in einem mittelmäßigen Hotelzimmer, mit einer Broschüre in der Hand; der eine machte Pläne, die allerbesten Seiten von Istanbul zu zeigen, die andere machte sich bereit, die allerbesten Seiten von Istanbul zu sehen.

    Heilige, so erzählt es Elif Shafak, haben keine Nationalität, keine religiöse Zugehörigkeit. Sie beherbergen die Essenz aller Religionen und Identitäten.

    Die Autorin selbst lebt am liebsten auf der Schwelle, stetig zwischen ihrem Wohnort in den USA und der Türkei pendelnd. Die Sprache ist ihr Kontinent, ihre Literatur will neue Räume entdecken.

    " Wenn du von einem Ort zum nächsten ziehst, von einer Umgebung in die nächste - Literatur war mein einziges Gepäck, das einzige, was ich einfach so mit mir nehmen konnte. Bis heute ist Literatur eine Art Klebstoff für mich, er hält verschiedene Teile zusammen. Literatur ist das Einzige, was mir ein Gefühl von Ganzheit gibt, das mir sonst fehlen würde."