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Schriftsteller auf Helgoland
"Ich war, wo mich niemand suchte"

Auf kaum einer anderen Insel haben sich so viele Literaten, Künstler und Wissenschaftler aufgehalten: Helgoland. Das Eiland, das 65 Kilometer nordwestlich von Cuxhaven liegt, diente ihnen als Zufluchtsort - um den Kopf frei zu kriegen, um zu sich selbst zu finden oder um kreativ zu sein. Und auch heute noch zieht Helgoland kritische Geister an.

Von Jörn Freyenhagen | 15.05.2016
    Die sogenannte "Lange Anna" auf der Insel Helgoland
    Die sogenannte "Lange Anna", eine freistehende Felsnadel aus rotem Buntsandstein, auf der Insel Helgoland. (imago/blickwinkel)
    Nach einer rund zweistündigen Schiffsreise taucht die Insel im Seedunst auf, und sofort sticht vor allem eine Farbe ins Auge: das Rot der Felsen, die bis zu 61 Meter hoch aus dem Wasser ragen. Anlegen kann man dort nicht. Viele Seebäderschiffe gehen seit jeher auf der Reede vor Anker. Die Passagiere werden dann von den Börtebooten der Fischer an Land gebracht. Damit haben die Helgoländer früher den Hummer gefangen, der rund um die Insel reichlich vorkam und in Körben an Bord geholt wurde. An den Landungsbrücken endet die kurze Bootsfahrt. Dort steht das imposante Denkmal des Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Für Detlev Rickmers ist es oft die erste Station, wenn er mit seinen Gästen den Inselrundgang startet. Immerhin schrieb der Dichter 1841 im Exil auf Helgoland das Lied der Deutschen, die heutige Nationalhymne.
    "Er war ja ein Deutschnationaler. Das waren ja damals die Progressiven, die Linken sozusagen, weil sie ja eine deutsche Nation wollten und die zersplitterte Adelslandschaft überwinden wollten und auch demokratische Ideen hatten. Deshalb wurde Hoffmann von Fallersleben verfolgt, und ist dann unter Stroh versteckt bis nach Cuxhaven gekommen und hat sich von Cuxhaven auf das englische Helgoland geflüchtet, und hat dann von dieser Idee einer geeinten, fortschrittlich deutschen Nation das Deutschlandlied geschrieben, und unter anderem hat er eben auch diese Zeilen über Helgoland gedichtet: 'Grün ist das Land, rot ist die Kant, weiß ist der Sand, das sind die Farben von Helgoland'."
    Erst seit 1890 weht hier die deutsche Flagge
    Der Archipel, bestehend aus der Hauptinsel und der Düne, hat eine Gesamtfläche von gut zwei Quadratkilometern. Mehr als 2.500 Menschen haben nie auf dem Felsen gelebt, der 65 Kilometer nordwestlich von Cuxhaven liegt. "So viel Geschichte auf engstem Raum findet man sonst nur im Brockhaus", schrieb ein Chronist einmal über Helgoland. Das Eiland gehörte lange zu Dänemark, war Piratennest, Seefestung und später eine britische Kolonie. Erst seit 1890 weht hier die deutsche Flagge. Bezogen auf die Größe haben sich auf kaum einer anderen Insel so viele Literaten, Künstler und Wissenschaftler aufgehalten. Jörg Andres, Leiter des Helgoland-Museums, nennt Beispiele.
    "Es waren Musiker hier, es war Franz Liszt hier, Kafka, es waren bedeutende Dichter, Ehrenberg. Die waren alle hier, und die haben diese Insel genutzt, und es geht auch in die Wissenschaft. Auch ein Heisenberg war hier, hat das gleiche genutzt, was die Dichter und Denker genutzt haben, die Ruhe. Dieses innere Herunterkommen auf dieser Insel. Heute nennen wir das modern entschleunigen, und das macht den Kopf einfach frei, und man kann klar denken. Bei Heisenberg ist die Quantenmechanik daraus entstanden, dass er das formuliert hat, hier auf Helgoland, ja."
    Manche Forscher sehen ja in der Insel die Reste des versunkenen Atlantis. Aber es könnte auch sein, dass der Teufel die Insel aus Norwegen in die Deutsche Bucht verpflanzt hat. Oder ist sie ein Fluch der heiligen Ursula? Im Jahre 1010 soll sie mit 11.000 Begleiterinnen auf Helgoland gelandet sein. Doch die friesischen Bewohner hätten die Heilige mitsamt Gefolge so unfreundlich empfangen, dass zur Strafe ein großer Teil des Landes versunken und der Rest zu Stein geworden sei, heißt es in einer Sage. Detlev Rickmers hat noch eine andere Erklärung, wenn er seinen Onkel James Krüss zitiert, den bekanntesten Schriftsteller der Insel.
    "Irgendwo ins grüne Meer hat ein Gott mit leichtem Pinsel lächelnd wie von ungefähr einen Fleck getupft: die Insel."
    Mit spielerischen Worten charakterisiert Krüss, geboren auf Helgoland, die Heimat einer eingeschworenen Gemeinschaft. Und hier ist er immer noch unvergessen. Mit seinen Jugendbüchern von den Hummerklippen hat James Krüss Helgoland schlagartig berühmt gemacht. Schon als Kind war Detlev Rickmers dem Autor und seinen Werken sehr nah.
    "Ich habe viel von James vorgelesen bekommen. Ich habe es später auch selber gelesen. Nun hat Onkel James das Buch ja 'Der Leuchtturm auf den Hummerklippen' genannt, und das heißt, er meint damit natürlich auch die Insel selbst und den roten Buntsandsteinfelsen."
    Der Neffe von James Krüss fühlte sich durch seinen Onkel veranlasst, etwas zum Ruhme der Dichter auf der Insel zu tun. So gilt Detlev Rickmers als Initiator des Kulturweges im Oberland mit Hinweistafeln an den Hauswänden zu Literaten, die eine Verbindung zu Helgoland haben. Dort liest man auch den Namen des Naturwissenschaftlers und Schriftstellers Georg Christoph Lichtenberg.
    "Der auf der Reise nach Helgoland offensichtlich seekrank war, aber eben schreibt: 'Diese kleinen Vomitivchen unterwegs verschwinden im Genuss des großen Augenblicks der Ansicht des wachsenden Felsens aus dem Meer heraus'."
    "Wer so etwas noch nicht gesehen hat, datiert ein neues Leben ..."
    Das notierte Lichtenberg wörtlich in seinen Erinnerungen. Das Oberland auf der Insel erreicht man entweder nach einem langen Fußmarsch oder blitzschnell mit dem Fahrstuhl für 60 Cent pro Ticket. Oben angekommen, bietet der Spaziergang auf dem sogenannten Falm eine herrliche Rundumsicht. Der Blick aufs Meer aus dieser Höhe lässt jenes Lebensgefühl entstehen, das schon Hoffmann von Fallersleben beschrieben hat.
    "Lass die wilden Wogen toben, um den Felsen dort und hier, auf dem Felsen wohn ich droben und der Frieden wohnt in mir."
    Der Dramatiker und Lyriker Friedrich Hebbel, geboren in Wesselburen/Kreis Dithmarschen, war 1833 auf der Insel. Von ihm ist der Satz überliefert:
    "Die letzten fünf Tage war ich, wo mich Niemand suchte, nämlich auf Helgoland."
    Das schrieb Hebbel in einem Brief nach Wien, nachdem er die Insel erkundet hatte. Seine Eindrücke fasste der Autor von Gedichten, Novellen und Theaterstücken so zusammen:
    "Denken Sie sich einen kollossalen steinernen Würfel, notdürftig mit Erde bedeckt, sodass Kartoffeln und Rüben eben gedeihen, überall steil abschüssig, vielfach zerklüftet und zersägt, und sie haben Helgoland vor sich. Denken Sie sich ein emsiges Völkchen hinzu, dass sich in ewiger Rührsamkeit ameisenhaft anklammert, als ob dem ganzen großen Planeten nur noch dieser kleine, dem zerbröckeln nahe Rest übrig geblieben wäre, und Sie sehen die Helgoländer."
    Heinrich Heine, der letzte Dichter der Romantik, hat viel Zeit auf Helgoland verbracht. Sein Onkel und Förderer Salomon Heine kam zu einem großen Vermögen während Napoleons Kontinentalsperre mit Schmuggelgeschäften über Helgoland. Darin, wird vermutet, lag wohl auch Heinrichs Interesse und Affinität zur Insel begründet. Während der Pariser Juli-Revolution 1830 kommentierte Heine die Ereignisse in seinen "Helgoländer Briefen", über die er selbst später meinte:
    "Ich versichere Sie, diese Briefe gehören zum Besten, was ich geschrieben."
    Von seinem Inselbesuch im August 1830 berichtete Heine:
    "Der Himmel hängt voller Violinen, und auch ich rieche es jetzt, die See duftet nach frischgebackenem Kuchen".
    Meta Schoepp ließ kein gutes Haar an den Helgoländern
    August Strindberg, schwedischer Schriftsteller und Maler, heiratete 1893 auf Helgoland die 24 Jahre jüngere Journalistin Frida Uhl. Die Ehe hielt nur kurze Zeit, doch geblieben ist von ihr das Buch über "Strindbergs Hochzeit" mit Briefen, Berichten und Bildern aus der Blütezeit des Seebads Helgoland. Nicht immer waren die Schilderungen über die Insel positiv. Die Romanautorin Meta Schoepp ließ in ihrem Werk "Schiff auf Strand", erschienen 1919, kein gutes Haar an den Helgoländern. Iris Binnewies, die gerade ein Buch über die Spuren der Literaten auf der Insel schreibt, berichtet von den Folgen.
    "Meta Schoepp hat die Helgoländer so genau beschrieben mit ihren Eigenarten, mit ihren Marotten, dass die Helgoländer, nachdem sie das Buch gelesen haben, haben sie sie, wie man heute sagen würde, gemobbt und sie wurde der Insel verwiesen. Sie hat Kritisches geschrieben, dass jemand sehr dickköpfig ist, sehr starrsinnig ist, dass sie mit ihm nicht klarkommt, und manchmal war sie dann auch fast liebevoll-bösartig, aber die Helgoländer haben eher die kleinen Bösartigkeiten gelesen daraus, und waren nicht so begeistert."
    Dass ein Schriftsteller aufgefordert wird, wieder abzureisen, wäre heute kaum denkbar. Im Gegenteil. Helgoland zieht immer noch kritische Geister an, angelockt wie eh und je von den Urgewalten der Nordsee. Die Hamburger Übersetzerin und Autorin Isabel Bogdan, von der drei Bücher in den Top 20 der aktuellen Bestseller-Listen vertreten sind, war schon viermal auf der autofreien Insel und findet hier schnell die Muße zum Schreiben.
    "Es ist immer Wind auf dem Oberland und man hat sofort das Gefühl, dieser Wind pustet einem die schlechte Laune aus dem Kopf und die Erkältung, die man aus der Stadt mitgebracht hat, auch, und man ist sofort irgendwie in einem anderen Modus."
    Auch der gebürtige Lübecker Maximilian Buddenbohm zählt zu den Helgoland-Fans unter den modernen Schriftstellern. Er las kürzlich vor Insulanern aus seinem neuen Buch "Alles wird einfacher", das hier spielt, aber noch nicht fertig ist. Es soll in diesem Jahr erscheinen. Vor allem den freien Himmel empfindet Buddenbohm, der in Hamburg lebt, auf Helgoland als etwas Besonderes.
    "Ich wohne genau in der Stadtmitte, da ist immer alles verbaut, und hier ist es ja, als wenn man ein leeres Blatt vor sich hätte. Diese Nichtlandschaft, weil's ja nur Himmel und Meer ist, wie auch auf Eiderstedt. Ich finde das sehr hilfreich. Es ist inspirierend, so viel Freiheit vor sich zu haben."
    Die Hamburger Buchautorin und Kolumnistin Meike Winnemuth war jetzt erstmals als Urlauberin auf der Insel. Sie kann sich gut vorstellen, so wie Bogdan und Buddenbohm hier ebenfalls neue Werke zu schreiben und daraus vorzulesen.
    "Helgoland finde ich insofern sehr außergewöhnlich, als das wirklich eine Insel ist, die sehr weit weg ist vom Festland, anders als zum Beispiel die ostfriesischen. Von dort aus kann man ja noch sehen, dass da am Festland Windräder stehen und so. Also man hat wirklich den Eindruck, ganz weit weg zu sein, und das kann ich mir schon vorstellen, dass das sehr inspirierend sein wird."
    Die Spuren, die Literaten auf Helgoland hinterlassen haben, rücken in diesem Jahr stärker denn je in den Fokus: Die Insel feiert mit einer Fest- und Kulturwoche vom 28. bis zum 31. Mai ihren James Krüss, der 90 Jahre alt geworden wäre. In den Strandkörben werden Zitate aus seinen Büchern zu hören sein und im Krüss-Museum in den Hummerbuden am Museum wird sein Schaffen gewürdigt. Das Lebensmotto von James Krüss könnte auch das Credo für literarisch interessierte Urlauber auf Helgoland sein.
    "Haltet die Uhren an. Vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen."