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Schriftsteller zu Niederlande-Wahl
"Freiheit und Demokratie gefährdet von Rechtsradikalismus"

Der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg geht nicht davon aus, dass die Partei PVV von Gert Wilders die meisten Stimmen bei den heutigen Wahlen erhält. Dennoch müsse man nach den Erfahrungen mit Trump und dem Brexit vorsichtig sein, sagte Grünberg im DLF. Der Autor setzt auf die Aussagen der liberalen Partei VVD, dass sie nicht mit Wilders koalieren werde.

Arnon Grünberg im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 15.03.2017
    Der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg
    Der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg (picture-alliance / dpa / Arno Burgi)
    Dirk-Oliver Heckmann: Mit welchen Erwartungen geht er in den Tag? Darüber kann ich jetzt sprechen mit Arnon Grünberg, niederländischer Schriftsteller, zweimaliger Träger des AKO-Preises. Das ist einer der wichtigsten Literaturpreise in den Niederlanden. Seine Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt und seit 1995 lebt er in New York, aber er beobachtet die Entwicklung in den Niederlanden natürlich intensiv, auch in seiner täglichen Kolumne in der linksliberalen niederländischen Tageszeitung "De Volkskrant". Schönen guten Morgen, Herr Grünberg.
    Arnon Grünberg: Schönen guten Morgen.
    Heckmann: Herr Grünberg, Sie leben seit über 20 Jahren in den USA. Wie sieht denn Ihr Gefühlszustand aus heute am Tag dieser Wahl?
    Grünberg: Na ja, ich glaube, ich hoffe und erwarte, dass Geert Wilders‘ PVV, dass die nicht die größte wird. In den letzten Umfragen, so wie schon erwähnt, sind die auch eigentlich gefallen. Und ich glaube, obwohl ich gar nicht der größte Fan von Mark Rutte bin, dass es in dieser Hinsicht gut ist, dass seine Partei die größte wird und dass er weiter regieren kann, aber nicht mit der PVV. Und ich glaube, er hat auch Recht, wenn er sagt, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Wahl in Frankreich, später im Frühling, und im Herbst in Deutschland, dass da wirklich etwas Wichtiges auf dem Spiel steht.
    Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig, Sie sind einigermaßen gelassen? Sie denken nicht, dass möglicherweise am Abend, wenn die Wahllokale geschlossen sind, noch eine böse Überraschung aus Ihrer Sicht möglicherweise noch zu erwarten ist? Denn beim Brexit und bei der Wahl von Donald Trump, da hat man es ja auch nicht erwartet.
    Grünberg: Genau! Da haben wir uns geirrt. Da habe ich mich auch geirrt. Ich bin vorsichtig. Und ich glaube, was auch geholfen hat, was, würde ich sagen, auch ein strategisch kluger Satz war, ist, dass Rutte an einem gewissen Punkt vor ein paar Wochen ganz klar gesagt hat: Was wir gemacht haben in 2010, 2011, eine Zusammenarbeit mit Geert Wilders, das werden wir nicht mehr machen. Es gab keine Partei, die gesagt hat, wir werden später mit der PVV regieren, und ich glaube, das hat sich dann doch nicht so gut herausgestellt für Geert Wilders. Aber Sie haben Recht: Mit Donald Trump haben wir uns fast alle geirrt. Mit dem Brexit auch. Also man muss vorsichtig sein.
    "Wilders hat klar wiederholt, dass er aus der EU raus möchte"
    Heckmann: Wir werden das Ergebnis abwarten müssen. Aber Sie haben es angesprochen: Mark Rutte, der hat sich ja tolerieren lassen im Jahr 2010 für zwei Jahre von der PVV von Wilders. Sie gehen davon aus, wenn er jetzt sagt, nein, es gibt keine Zusammenarbeit mit ihm, Sie können sich darauf verlassen?
    Grünberg: Verlassen ist zu viel gesagt. Auch aus Umfragen geht hervor, seine Glaubwürdigkeit ist eigentlich seine Schwäche, weil er manchmal Dinge sagt und dann doch etwas anderes tut. Aber ich glaube, wenn er so oft gesagt hat, ich mache das nicht, so klar, und dann trotzdem regieren wird mit der PVV, dann hat er wirklich ein großes Problem. Meiner Ansicht nach will er das aber auch nicht machen. Er führt ganz gut an, dass das wirklich zu einer Katastrophe führen kann, auch zum Beispiel, weil Geert Wilders nicht nur die Aussage über Muslime gemacht hat, sondern auch ganz klar wiederholt hat am Montag in der Debatte, dass er aus der EU möchte, dass er aus dem Euro möchte. Und ich glaube, das ist auch für viele Menschen in der liberalen VVD von Mark Rutte einfach ein Schritt zu weit.
    Heckmann: Jetzt gehen wir mal davon aus, dass Geert Wilders nicht stärkste Kraft wird, wie die letzten Umfragen ja auch nahegelegt haben. Gut, wir wissen es nicht, aber wir werden es sehen. Die Frage ist trotzdem: Wie konnte es eigentlich kommen, Herr Grünberg, dass die Rechtspopulisten so einen Zulauf bekommen haben in den Niederlanden? Die Wirtschaft kann es eigentlich nicht sein, denn die Schere zwischen Arm und Reich, die ist so geschlossen wie kaum in einem anderen Land. Hat man es möglicherweise übertrieben, zum Beispiel mit der Political Correctness?
    Heckmann: Übertrieben würde ich nicht sagen, und ich glaube, das ist auch nicht wirklich ein Grund dafür, dass Geert Wilders so groß geworden ist. Es hat sehr viel damit zu tun, dass seit 1999, seit Pim Fortuyn, der 2002 ermordet wurde - der eigentlich als erster ganz klar gesagt hat, dass Holland voll ist, dass wir keine Zuwanderer mehr haben können, dass der Islam eine Gefahr ist, womit er auch populär und groß geworden ist -, gibt es Leute, die wirklich glauben, dass es eine reelle Gefahr gibt. Ich halte das für Unsinn, aber wenn so etwas oft genug gesagt wird, und wenn gewisse Politiker wie damals Pim Fortuyn oder wie heute über Jahre Geert Wilders immer wieder wiederholt, dass es schlecht geht mit Holland und dass es so abgründlich ist und dass wir fast am Rande des Abgrunds stehen, dann glauben gewisse Leute das. Aus Umfragen geht auch immer wieder hervor, dass viele Leute sagen, uns geht es gut, aber mit dem Land schlecht. Das halte ich auch für Unsinn. Und ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass gewisse Politiker immer wiederholt haben, wie schlecht es eigentlich geht, aber das stimmt gar nicht. Das waren faktenfreie Aussagen.
    Heckmann: Sie haben gesagt, Rassismus und Fremdenhass seien salonfähig geworden in den Niederlanden. Wie kommt das?
    Grünberg: Das hat auch damit zu tun, dass einige Intellektuelle oder Kolumnisten, obwohl nicht ganz so offen, Geert Wilders unterstützt haben, aber doch immer wieder gesagt haben: Na ja, er hat auch irgendwie Recht, nicht alles, was er sagt, ist falsch. Und dazu kam, das dürfen Sie auch nicht vergessen, die Anschläge - damit hat es ja angefangen -, 2001 in New York. Dann die Ermordung von Theo van Gogh, dem Filmemacher, 2004 von einem radikalisierten Marokkaner, und die anderen Terroranschläge. Dadurch haben viele Leute das Gefühl bekommen, dass sie angegriffen werden, dass man nicht mehr frei ist. In der Debatte ist auch immer wiederholt der Terrorismus vorgekommen. Aber auch zum Beispiel - und das ist auch eine Aussage, die einfach nicht stimmt -, wenn man schwul ist in Holland, dass zwei Männer nicht mehr Hand in Hand durch Amsterdam gehen können. Das ist immer wieder gesagt worden und viele Leute fürchten zu Unrecht, dass die Freiheit und die liberale Demokratie in Holland gefährdet werden von Muslimen, von Ausländern. Ich glaube, es ist umgekehrt. Die Freiheit und die liberale Demokratie werden gefährdet von Rechtsradikalismus.
    "Wilders ist verurteilt worden wegen Rassismus"
    Heckmann: Jetzt würde Geert Wilders sagen, nein, Ausländerfeindlichkeit lasse ich mir nicht unterstellen und auch keine Islamophobie, ich habe nichts gegen den Islam und nichts gegen Moslems. Aber hier leben einfach zu viele von diesen Menschen, wir wollen nicht so viele Leute hier in unserem Land haben, wir verlieren unsere Identität. Und das scheint doch auch ein Bedürfnis von vielen Menschen in den Niederlanden zu sein und nicht nur dort.
    Grünberg: Sicher. Identität – gut, dass Sie das erwähnen – ist eine wichtige Sache. Ich würde sagen, nach der Säkularisierung sind viele Leute verunsichert, für wen sie eigentlich sind. Holland war eigentlich bis zu den 70er-Jahren ganz klar verteilt, im Süden katholisch, der Norden protestantisch-calvinistisch. Und das waren wirklich zwei verschiedene Gruppen, die oft in kleinen Dörfern auch nicht miteinander sprachen und völlig separiert waren. Jetzt, wo Religion nicht mehr so eine wichtige Rolle spielt, ist die Verunsicherung ganz groß, was sind wir eigentlich in Holland, was bedeutet es, Holländer zu sein. Auf diese Unsicherheit haben viele Politiker falsch reagiert, würde ich sagen, durch Nationalismus und einen gewissen aggressiven Nationalismus wieder salonfähig zu machen. Und auch dadurch Identität zu bilden, indem sie Feindbilder hervorgebracht haben, die wie gesagt einfach oft nicht stimmen. Geert Wilders mag sagen, ich bin kein Rassist oder kein Islamophob, aber das ist ja nicht so, weil er ist ja noch verurteilt worden wegen Rassismus. Und was er auch sagt: In der Debatte am Montag mit Mark Rutte hat er zum Beispiel wiederholt, dass für wirkliche Holländer, was er immer damit auch meint, nichts mehr da ist. Die besten Ärzte und das ganz große Geld geht, hat er gesagt, nach Griechenland und an die Einwanderer. Aber das alles stimmt nicht.
    Heckmann: Herr Grünberg, die Telefonleitung ist leider ein bisschen schlecht. Vielleicht können Sie ein bisschen in Richtung Fenster gehen. – Eine Frage möchte ich gerne noch los werden, denn in Deutschland, da steht ja auch eine rechtspopulistische Partei vor dem Einzug in den Bundestag, die AfD, wenn die Umfragen denn so bleiben und dann auch das Wahlergebnis. Wie sollte man dem begegnen aus Ihrer Sicht? Was kann man denn da aus den Niederlanden lernen? - So. Da ist die Leitung jetzt leider in der Tat zusammengebrochen. Das tut mir leid. Wir werden auch nicht mehr die Zeit haben, noch mal neu anzuwählen. Arnon Grünberg war das. Mit ihm haben wir gesprochen über die Wahlen in den Niederlanden. Um 21 Uhr schließen die Wahllokale, und wir werden sehen, wie das Wahlergebnis dann aussieht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.