Donnerstag, 28. März 2024

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Schriftstellerin Claudia Schreiber
Mit dem besonderen Blick der Kinder

Von der Journalistin über Kindernachrichten im Fernsehen zur erfolgreichen Schriftstellerin: Als die Mauer fiel, begleitete Claudia Schreiber Kinder in den Westen, porträtierte sie über ein Jahr. Das Beste, was ich erleben durfte, erzählt sie im Dlf. Ein Gespräch über die Suche nach dem richtigen Ton.

Claudia Schreiber im Gespräch mit Ute Wegmann | 09.05.2020
Die Schriftstellerin Claudia Schreiber
Die Schriftstellerin Claudia Schreiber bei ihrem Besuch im Kölner Funkhaus (Jelina Berzkalns / Deutschlandradio)
Die Schriftstellerin Claudia Schreiber ist in einem Dorf in Nordhessen zwischen Tieren und Obstplantagen aufgewachsen, eine Kindheit, die ihre Romane besondersgeprägt hat. Ihren Durchbruch schaffte sie mit "Emmas Glück", das mit Jürgen Vogel und Jördis Triebel in den Hauptrollen verfilmt wurde. Schreiber arbeitete als Radio- und Fernsehjournalistin für SWF und ZDF, ihr besonderer Blick gilt den Kindern. Im Gespräch mit Ute Wegmann erzählt die Autorin von ihren Anfängen und der Wichtigkeit, sich selbst zu kennen, um den richtigen Ton zu finden. Einer guten Seele namens Olga hat sie dabei viel zu verdanken.
Ute Wegmann: Ihr Werk ist umfangreich und vielfältig. Wir kennen sie als Journalistin, als Roman- und Drehbuchautorin und als Kinderbuchautorin. Claudia Schreiber, war das ein früher Berufswunsch Journalistin oder Schriftstellerin?
Claudia Schreiber: Als kleines Mädchen hab ich mir das nicht vorstellen können, denn ich kannte kein Fernsehen und kein Radio. Das einzige, was ich musikalisch erlebt habe, waren Lieder in der Kirche. Ich bin sehr religiös erzogen worden, sehr streng, auf einem Bauernhof, der mir sehr gut getan hat, mit vielen Tieren und Pflanzen.
Wegmann: Wo war das?
Schreiber: In Nordhessen, die nächste Stadt ist Kassel. Einmal im Jahr dorthin, das war schon der Hammer.
Wegmann: Und als junge Frau, welchen Berufswunsch gab es da?
Schreiber: Ich war sehr christlich, ich konnte mir gut vorstellen, Pfarrerin zu werden, sonst kannte ich nichts. Und ich kannte meine Eltern, die nicht nur die Scholle hatten, sondern sich spezialisiert hatten, Obst und Gemüse anzubauen. Das war mein Leben. Und ich dachte, das werde ich als Erwachsene machen.
"Es musste nah am Menschen sein"
Wegmann: Sie wurden als Claudia Klemme 1958 geboren, studierten Publizistik, Pädagogik und Soziologe mit dem Magisterabschluss und waren dann von 1985 bis 1988 beim SWF in Mainz. Zuerst als Hospitantin bei dem renommierten Radiojournalisten Peter Stockinger. Stockinger ist ein bekannter Journalist gewesen, man nannte ihn den Ziehvater für viele Journalisten, die bei ihm gelernt haben. Was haben Sie bei Stockinger gelernt?
Schreiber: Zunächst unglaublichen Respekt, der ist eine Erscheinung, groß. Ich hab von Anfang an verstanden, dass er eine genaue Vorstellung hat, wie sein Sender sein soll und dem hat man sich einzufügen. Und mir hat das eingeleuchtet, was er gesagt hat. Als unglaublich unbedarftes Mädchen - damals – kam ich da rein und hab aber gemerkt, dass ich bestimmte Dinge sofort machen durfte, wir sehr schnell vor das Mikrophon kamen. Ich war zunächst sehr engagiert von draußen zu sammeln, die sogenannten Drei-Minuten-Stücke, da konnte man gut üben. Das wurde aber auch nicht sofort auf den Sender genommen. Die achteten beim SWF sehr genau darauf, dass es in dieses Raster passt, das sie sich vorstellten: Es musste nah am Menschen sein, es musste interessant sein. Und das fand ich ganz toll.
Wegmann: Und er hat auch auf Sprache geachtet?
Schreiber: Ganz deutlich, denk ich auch. Jedenfalls wurde nicht irgendwas gesendet, sondern es wurde von allen abgehört. Oder man musste es zumindest einem zeigen, oder die ganze Konferenz hat abgehört. Und da ging es nicht darum, ob jemand neu oder alt war, sondern es ging um die Qualität. Und das musste ich im ersten Jahr herausfinden: Was ist SWF 3? Was macht es so nah am Menschen, eine klare Sprache, kein Gezwirbel, damals gab es Sendungen, wo alles immer durchgewuselt wurde - so wie ich jetzt gerade spreche - das war eine Richtschnur. Wir wussten genau, was läuft und was nicht. Das war seine Handschrift.
Nachrichten für Kinder
Wegmann: Sie sind dann nach Hilversum in den Niederlanden gegangen? Für drei Monate. Warum?
Schreiber: Ich wollte Nachrichten für Kinder untersuchen. Ich wollte wissen, wie man das macht, das hat mich gereizt. Es gab schon Arbeiten beim ZDF, aber in Hilversum gab es die besten Nachrichten für Kinder, ein Journal, und da wollte ich reinschnuppern. Und habe auch die Gelegenheit bekommen. Nach großem Hin und Her, da hat das ZDF mir noch geholfen, ich wollte wissen, wie die es machen. Auch da wurde sehr auf die leichte Sprache geachtet, da hatte ich auch einen großen Vorteil, weil ich das bei SWF 3 gelernt hatte: gut zu sein und auch leicht. Und in Hilversum war ich, um herauszufinden, wie die es machen, das waren aufregende Monate. Die haben Kinder absolut ernst genommen, keinen Schischi gemacht, nicht so getan, als seien sie selber Kinder, sondern wirklich guten Journalismus. Und das war eine der Herausforderungen: Kriegen wir das im ZDF auch hin.
Wegmann: Sie mussten dafür Niederländisch lernen.
Schreiber: Ja! Tatsächlich und ich hatte nur zwei Monate Zeit. Der Chefredakteur sagte, ich könne nicht auch noch stören und immer nachfragen. Dann sollte es ein Telefongespräch geben, er mit mir. Und dann hab ich mir alle Möglichkeiten aufgeschrieben, er konnte mich ja nicht sehen, und hab es hingekriegt, das er mich verstand und hab es geschafft und durfte dort sein.
Wegmann: Dann sind Sie von Hilversum zum ZDF nach Mainz. Und haben da eine wichtige Kindersendung mitentwickelt- "Logo – Nachrichten für Kinder". Waren dann von 1988 – 1991 beim ZDF. Wie entstand die Idee?
Schreiber: Das war nicht alleine meine Idee, das war Herr Schaechter und eine wunderbare Redakteurin, deren Name mir nicht einfällt. Ich hab mich angeboten, war zuerst als Freie da, später festangestellt. Und was ich nie vergessen werde, ich war eine der Ersten als die Mauer fiel, da war ich in Passau. Und ich hab mit dem Kameramann ausgemacht, dass er alle möglichen Kinder dreht, Kinder, Kinder, Kinder, die wir vielleicht in den Lagern wiederfinden und anknüpfen können. Aber wir wollten sie erst Mal sehen in dem Zug. Und so hab ich Toni kennengelernt. Toni war ein kleiner Junge, den habe ich dann ein Jahr begleitet, auf allen Stationen. Wir sind dann mit der Familie zurück, nach dem Mauerfall und konnten in die leere Wohnung hinein, und konnten sehen, wie die Stasi das Sparschwein des Jungen aufgemacht hatte. Große Politik mit ganz kleinen Zeichen, das fand ich unglaublich aufregend. Dass man eine Riesengeschichte hat, und sie am Beispiel von Toni, 9 Jahre, kleinen Hund immer im Arm, begleitet hat. Das war das Beste, was ich erleben durfte.
"Das war das Beste, was ich erleben durfte"
Wegmann: Die Reportage, die Sie gemacht haben, heißt: "Mich hat keiner gefragt – Wie Tony im Westen klarkommt" und damit haben Sie 1990 den Prix Jeunesse gewonnen, einen der wichtigsten und größten Fernsehpreise.
Schreiber: Ja, da war ich auch stolz wie Bolle. Aber es ging nicht darum, das ich eine gute Journalistin war, sondern dass ich da war. Das sollten Journalisten sein, da hab ich wirklich Glück gehabt.
Wegmann: Zwischenzeitlich haben Sie Ihren Mann kennengelernt und zwei Söhne geboren - Ende der 1980er und Anfang der 90er Jahre.
Und 1992 gingen Sie mit Ihrem Mann, dem Auslandskorrespondenten Peter Schreiber, nach Moskau. Bis 1996. In Moskau entstand das erste Buch "Moskau ist anders". Wie war das damals mit zwei kleinen Kindern in Moskau?
Schreiber: Ich hab so viel gelernt. Erstens musste ich Russisch lernen, das ist unglaublich schwer. So eine komplizierte Sprache, das kann sich niemand vorstellen. Ich hab sie nicht in einer Institution gelernt, sondern auf der Straße. Immer nur in Kontakt mit den Menschen. Ich hatte eine Haushaltshilfe, die Olga, die sprach auch nur Russisch. Und als die merkte, dass ich schreibe, und das ist in Russland ganz wichtig, wenn jemand schreibt, und jeder, der berühmt wurde damit, hatte eine Dame, die ihn schützt. Und diese Aufgabe hat sie übernommen für mich. Sie hat also mitbekommen, dass ich schreiben möchte, und dann hat sie mich in einem anderen Zimmer in der Wohnung beinah eingesperrt und hat dafür gesorgt, dass ich vier Stunden nicht gestört werde. Ich wusste die ganze Zeit nicht, warum sie das macht. Und sie nannte diesen Raum (tvorcheskaya laboratoriya) das heißt schöpferisches Labor. Sie hat das gemacht, das man aus der Literatur kennt, sie hat gesorgt dafür, dass ich arbeiten kann. Bis ich das geschnallt hatte, dauerte eine Weile. Wenn man schreiben will, muss man das machen und jemand muss aufpassen, dass man das tut, sagte sie.
Von der Reportage zum Roman
Wegmann: Das ist toll. So eine Olga braucht jeder, der schreibt.
Aus den Geschichten, die Sie erlebt haben, ist ein Buch entstanden, zuerst als Reportage beim SWR gesendet. Auf die journalistischen Arbeiten folgten erste fiktionale Texte und dann irgendwann im Jahr 2003 der erste Roman "Emmas Glück". Was für ein Erfolg! Drehbuchförderung, Verfilmung mit Jördis Triebel und Jürgen Vogel. Preise. Hätten Sie das im Traum erwartet, mit dem ersten Roman einen solchen Erfolg zu haben?
Schreiber: Nee, natürlich nicht. Wer kann das erwarten. Ich hab aber ehrlich gesagt, nicht sehr weit gedacht. Ich hatte nur das Gefühl, ich möchte es mal versuchen. Ich möchte mal versuchen, wie das ist, wenn ich fiktiv arbeite. Da hab ich meinem Mann gesagt, ich geh jetzt mal für zwei Monate schön nach Italien, ... das ist glaub ich das Wichtigste beim Schreiben: Man muss, glaube ich, allein sein. Ich hatte die Gelegenheit in einer alten Kirche zu arbeiten, eine Freundin hatte mich eingeladen. Ich konnte einfach meinen Gefühlen freien Lauf lassen. Und als ich das geschrieben hatte, dass sie plötzlich ... also ihn umbringt, das war ein langer Prozess ... wie soll ich das erzählen ... plötzlich erschrickt man vor der eigenen Geschichte, plötzlich weiß man: Jetzt habe ich den Punkt gefunden. So war es bei mir. Wenn man sich einfach mal gehen lässt, kommt die Geschichte zu einem. Ich weiß nicht, ob das blöd klingt, aber es war tatsächlich so, dass ich vor Rührung so geweint, wirklich ich hab Rotz und Wasser geweint. Und es war genau die Stelle, wie später bei der Premiere des Films, da haben die Leute geheult. Es war genau dasselbe. Das war der größte Moment, den ich kannte. Dass man, wenn man sich loslässt und eine Geschichte sucht, dass man sie wirklich findet. Und man genau weiß, wann man sie gefunden hat.
Eine gute Literaturadaption
Wegmann: Der Film wurde ein großer Erfolg, ich hab es schon gesagt. Und das Drehbuch haben Sie mit einer der angesehensten Drehbuchautorinnen geschrieben, mit Ruth Thoma. Es ist wirklich eine richtig gute Literaturadaption, muss man sagen, das gelingt ja nicht immer. ...
Schreiber: Ich wollte nur kurz sagen, da gab es Ralph Schwingel, der Produzent, der hat die alle zusammengeholt. Das muss man auch erst mal würdigen.
Wegmann: Das ist auch die Qualität eines guten Produzenten.
Schreiber: Sonst wäre nichts passiert. Es reicht nicht nur, wenn man mal 'ne Idee hat. Man braucht Menschen, die das auch umsetzen.
Wegmann: Ein großes Glück auch, mit so einer tollen Drehbuchautorin zu arbeiten, mit Ruth Thoma zu arbeiten. Denn Sie hatten ja keine Erfahrung mit Drehbuchschreiben.
Schreiber: Wir haben auch nicht miteinander geschrieben. Das war hauptsächlich sie.
Der Weg zum Kinderbuch
Wegmann: Im Jahr 2004 dann das erste Kinderbuch mit dem provokant witzigen Titel "Sultan und Kotzbrocken". Ein Bilderbuch mit Illustrationen von Sibylle Hein, ein ebenfalls großer Erfolg. Geschichte eines Sultans, "Meister im Überhauptnichtstun", mit über 100 Frauen, die ihm Kissen häkelten und strickten, auf denen er seine Tage verbrachte, der aber auch nicht jeden Tag auf den Berg klettern wollte, sondern einen Diener suchte, der ihn mit Seilwinde dort hinaufwuchtet. Dieser Diener heißt vom Sultan gerufen "Kotzbrocken". Woher kam diese amüsante Geschichte für Kinder?
Schreiber: Auch wieder ganz üblich, ich hab meinen Kindern was erzählt. Man spinnt so was zusammen. Die Kinder ermutigten mich, die haben sich kaputt gelacht, wenn der Sultan brüllte: "Du Kotzbrocken!". Das ist ja keine nette Geschichte, sondern eine fiese.
Wegmann: Es ist auch eine politische Geschichte. Es geht um Macht, Herrschaft und Diener.
Schreiber: Ja, aber das sind eigentlich auch Vater und Mutter, mit denen man zurechtkommen muss.
Wegmann: Häusliche Politik.
Schreiber: Eine andere Art von Herrschaft. Das mochte ich schon immer. Es ist auch leicht, wenn man den Plot hat, dann kann man viele andere Geschichten erzählen. Und der arme Sultan, der 100 Frauen hat, das ist ja furchtbar. Für ihn.
Wegmann: "Sultan und Kotzbrocken" von Claudia Schreiber, eine Produktion aus dem Jahr 2004. Warum haben Sie angefangen für Kinder zu schreiben?
Schreiber: Ich habe mir gedacht, wenn ich nur einmal lebe, dann mach ich was ich will. Seit ich arbeite, hab ich nie etwas gemacht, was ich nicht machen wollte. Ich hab immer gemacht, was ich herausfordernd finde. Das ist mein Privileg. Ich kann alles denken, was ich will und das habe ich ständig durchgezogen.
Die Verbündeten: Jesus und Gott
Wegmann: Das macht ja auch eine Ihrer Figuren: "Ich, Luisa, Königin der ganzen Welt" von 2015, mit Bildern von Yayo Kawamura erzählt von kindlicher Selbstbestimmung, denn Luisa macht einen Tag lang, was sie will. Sie haben mal gesagt, Sie waren das vierte von fünf Kindern und immer ohne Erziehung. Ist das von Vorteil?
Schreiber: Unglaublich. Ein großes Glück. Meine Eltern haben nur gearbeitet und nicht mitbekommen, was wir gemacht haben. Ich bin durch die Plantagen gelaufen, ich habe sehr früh schon Geld verdienen dürfen, wenn ich da gearbeitet habe, nie viel. Es war sehr früh alles angelegt. Dazu kam, dass ich sehr religiös groß geworden bin, das heißt, ich hatte gute Verbündete, ich war mit dem Herrn Jesus sehr dicke. Und wenn man schon mal einen Gott hat, schadet das nicht. Die waren meine Freunde. Ich hab es nicht immer leicht gehabt. Ich fand, meine Eltern haben außer arbeiten nichts gemacht. Die Familie – wir waren Baptisten, das war sehr wichtig. Ich war später Funktionärin, dann bin ich irgendwie ausgestiegen. Und das war eine richtig große Krise.
Wegmann: Haben Sie sich nur von dem System Baptismus abgewendet oder sind die Begleiter Gott und Jesus auch weg.
Die größte Krise
Schreiber: Ja, die hab ich auch verlassen. Es war für mich eine Riesenemanzipation, nicht nur von dem Glauben, sondern auch zu bestimmen, wie man lebt, was man denkt, keine Denkverbote mehr hat. Das mag von außen erscheinen: Da hört halt jemand auf zu glauben, aber für mich war das die größte Krise, die ich je hatte.
Wegmann: "Du kannst nur so schreiben, wie du bist" – hat Ihnen einmal ein Freund gesagt. Also haben Sie sich auf die Suche gemacht, mit der Frage: Wer bin ich? – Wann haben Sie sich gefunden im Hinblick aufs Schreiben? Und war das eine Überraschung?
Schreiber: Dieser Jemand hieß Helmut Greulich, Redakteur vom ZDF: Ich hab damals geschrieben, ausprobiert, war in Moskau und da hab ich ihm was geschickt und er kritisierte das folgendermaßen: Also wenn dieser Text ein Pferd wäre, würde ich es erschießen. Und ich dachte, was?, was sagt der denn da. Und er sagte auch, du kannst nur so schreiben wie du bist. Du musst erstmal herausfinden, wer bist du und wie du schreibst. Und das war ein sehr, sehr wichtiger Input für mich, den ich sehr gebraucht habe. Und dann hab ich gedacht, wenn es nur das ist, was ich kann, versuche ich zu schreiben, wie ich bin und zu phantasieren, wie ich bin. Das ist für jeden, der schreiben will, der muss zuerst herausfinden, was er möchte und wie er es schreibt. Und das ist das Wichtige. Sich zu erforschen, wie klingt mein Ton.
"Es ist viel schwerer, für Kinder zu arbeiten"
Wegmann: Was ist Ihr Anspruch? Wie muss Kinderliteratur sein, damit sie qualitätsvoll ist?
Schreiber: Ich mach ja beides. Es ist viel schwerer, für Kinder zu arbeiten. Denn je nach dem wie alt sie sind, muss man sehr genau wissen, wie Kinder adaptieren, wie sie denken, wie sie verstehen, was für ein Bild sie haben, von der Welt. Man kann das nicht einfach machen. Und da muss der Text so kurz sein und so gut, dass ein Kind dranbleibt und wieder weggehen kann. Wir können nicht so viele Seiten anbieten, man muss nach ein paar Sätzen wieder was Neues anbieten. Und es muss leicht sein, kurz sein. Man kriegt es ganz gut mit, wenn man beobachtet, an welchen Texten die Kinder hängen bleiben. Die lieben es, das hundert Mal zu lesen. Dann stimmt es. Dann hat man es getroffen.
Wegmann: Sie haben es eben schon angedeutet, Sie sind auf unterschiedlichen Parketts unterwegs. Ihr kürzlich erschienenes Buch ist wieder ein Roman für Erwachsene "Goldregenrausch", eine doch düstere Dorfgeschichte, in der es um Missbrauch und Kindesmisshandlung und um Widerstandskraft geht. Wenn man Ihr Sprache betrachtet, ist die immer sehr präzise und schnörkellos. Sie haben auch keine Angst vor kurzen Sätzen. Und bei allem noch so Schweren, das betrifft mehr die Belletristik als das Kinderbuch, lugt immer etwas Heiteres um die Ecke. Von wem haben Sie Ihren Humor?
Schreiber: Tja, den Humor findet man in der Tragödie und in der Tragödie muss Humor sein. Zwei Dinge, die stark zusammenpassen und so viel Effekt erzeugt. Wenn ich ein Drama schreibe, wäre es ja furchtbar, wenn das nicht durchblitzt, dass es Möglichkeiten gibt. Das ist das, was Leser brauchen und suchen. Ich auch. Und darum geht es im ganzen Leben. Wir erleben unglaublich viele beschissene Sachen, und können das überwinden. Das suchen sicher nicht nur Leser, sondern auch Autoren.!!
Wegmann: Und Humor ist eine gute Möglichkeit, die Tragik des Lebens zu bewältigen.
Schreiber: Die Größte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Claudia Schreiber und Sibylle Hein (Illustration): "Sultan und Kotzbrocken"
Hanser Verlag (München), 87 Seiten
Claudia Schreiber und Sibylle Hein (Illustration): "Sultan und Kotzbrocken in einer Welt ohne Kissen"
Hanser Verlag (München), 103 Seiten
Claudia Schreiber und Yayo Kawamura (Illustration): "Ich, Luisa, Königin der Welt"
Hanser Verlag (München), 32 Seiten
Claudia Schreiber: "Emmas Glück"
Piper Verlag, München
Claudia Siebert (Schreiber): "Moskau ist anders"
Claassen Verlag (Berlin)
Claudia Schreiber: "Solo für Clara"
Hanser Verlag (München)
Claudia Schreiber: "Goldregenrausch"
Verlag Kein & Aber (Zürich)