Donnerstag, 28. März 2024

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"Schrottprosa zwischen zwei Buchdeckeln"

Laut Literaturkritiker Denis Scheck reiht sich E.L. James' Romantrilogie "Shades of Grey" zwar ein "in eine lange Geschichte der einhändigen Lektüren". Das Obszöne seien jedoch nicht die sexuellen Handlungen, sondern die Darstellung des unermesslichen Reichtums des männlichen Protagonisten.

Burkhard Müller-Ullrich sprach mit Denis Scheck | 10.07.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Der internationale Buchmarkt erlebt gerade einen Sommerzauber, Harry Potter ähnlich, nur, dass es sich in diesem Fall nicht um ein Jugendbuch handelt, sondern um einen – ja, doch: Porno. Allerdings – und das macht die Sache vielleicht ein bisschen interessant -, um einen Frauenporno, geschrieben von einer Frau, aus der Perspektive einer Frau, und gelesen – wenn man solchen Berichten trauen darf – vor allem von Frauen. "Shades of Grey" ist der Titel, die deutsche Fassung heißt "Geheimes Verlangen". Wir werden jetzt aber keinen feministischen Diskurs führen, Denis Scheck, sondern uns dem literarischen Phänomen direkt nähern. Wer ist denn die Autorin, die siebenstellige Vorschüsse kassiert, eine Millionenauflage hat und offenbar auch den E-Book-Markt voranbringt?

    Denis Scheck: Tja, das ist eine englische Autorin, die – das ist sehr interessant bei der Ursprungsgeschichte – ihr Projekt angegangen hat als Teil der sogenannten Fanfiction, wo also begeisterte Leser und Leserinnen die Geschichten, die sie im Kino oder in Buchform erlebt haben, im Netz einfach weiterspinnen. Man kennt das aus dem Umfeld der Fernsehserie "Star Trek", man kennt das von "Star Wars" in der Science-Fiction. Man kennt es aber natürlich auch im Umfeld von Harry Potter, oder eben von Stephenie Meyers Vampirsaga, diesen Twilight-Büchern, die auf Deutsch unter dem Titel "Bis(s) zum Morgengrauen" und so weiter erschienen sind. Und so ist tatsächlich E.L. James hergegangen und hat eigentlich die Geschichte von Bella und Edward fortgeschrieben. Nur hat sie anders als die mormonische Autorin Stephenie Meyer eben mit Sex geschrieben. Nun hat sie – das Böse pflanzt sich in diesem Falle fort – sozusagen den Vampir durch den Milliardär ersetzt, übrigens eine tolle Gleichsetzung, und das bringt mich auf meine These, dass im Grunde der Gegenstand von "Shades of Grey" gar nicht der Masochismus oder Sadismus sowie Bondageszenen sind, der SM-Porno-Anteil, sondern das wirklich Obszöne an diesem Buch ist die Darstellung des Reichtums des Milliardärs Grey, der ja im Vordergrund steht. Das ist eben so ein Aschenbrödelporno.

    Müller-Ullrich: Aber jetzt haben Sie ganz am Ende Ihrer langen Antwort erst mal erwähnt, dass es sich um ein Buch aus der oder über die BDSM-Szene handelt, das heißt um eine Gewaltbeziehung, die hoch sexualisiert ist. Es ist eine Liebesgeschichte, ein Vertrag soll da unterschrieben werden, der wird immer wieder diskutiert, aber er wird nie unterschrieben.

    Scheck: Eigentlich ist es eben ein Kapitalismusporno, könnte man sagen. Es ist die Geschichte einer feindlichen Übernahme, die dann im ersten Band noch misslingt. Tatsächlich merkt man, wie schön hier die Übersetzungsleistung von der Autorin James erbracht wurde. Anstelle des Vampirs haben wir eben den Milliardär mit Sadomasoneigungen, und die jungfräuliche 21-jährige Literaturstudentin, die ihn an der Westküste der USA kennenlernt, die also in diese Welt von SM eingeführt wird und jetzt irgendwelche Verträge unterschreiben soll, was ihr alles zugefügt werden soll, und dann eben in derselben Situation ist wie die Bella im Roman von der Meyer, die sich in diesen Vampir unsterblich verliebt hat. Nun hat sich also unsere Heldin in diesen Milliardär verliebt. Aber tatsächlich stehen die Schilderungen des obszönen Reichtums von Mr. Grey weit mehr im Vordergrund des Romans als nun irgendwelche Geschichten, die in seinem Spielzimmer passieren.

    Müller-Ullrich: Aber was erklärt denn den ungeheueren Erfolg dieses Buchs, denn ich meine, Sex sells, ist klar, aber wirklich neu ist das doch seit de Sade und Bataille und alles überhaupt nicht?

    Scheck: Nein! Das reiht sich ein in eine lange Geschichte der einhändigen Lektüren – denken Sie nur in den 70er-Jahren an Erica Jong, "Angst vorm Fliegen", das gab es ja immer wieder mal solche Straßenfeger-Literatur quasi. Aber ich glaube, hier ist es weniger die Unterwerfungssehnsucht oder die SM-Vorliebe, sondern ich glaube, es handelt sich um eine intellektuelle Entlastungssehnsucht, ein quasi so ein Phänomen des "mir ist das alles irgendwie zu viel". Denn das ist ja auch das, was Christian Grey der Anastasia da verspricht, also unserer Heldin: "All die Entscheidungen, die ermüdenden Überlegungen und Grübeleien, die damit verbunden sind, diese Frage, ob es auch wirklich das Richtige ist, all das nehme ich Dir ab", indem er eben ihr Meister wird. Allerdings – und jetzt müssen wir doch kurz auch noch auf das literarische Problem dieses Schweinchenromans zu sprechen kommen: Das ist nun wirklich so schlecht geschrieben, unter aller Sau, darf man hier in doppeltem Sinne sagen, dieses Buch enthält tatsächlich Sätze wie, "Was hier passiert, ist unglaublich faszinierend und erotisch". Das heißt, anstelle es zu beschreiben, es zu erzeugen, muss es also permanent beteuert werden. Das ist ein Buch wie eine aufgedunsene Leiche. Eine derartige Schrottprosa zwischen zwei Buchdeckeln habe ich wirklich lange nicht mehr gelesen, Herr Müller-Ullrich.

    Müller-Ullrich: Howgh, Denis Scheck hat gesprochen, danke für die Deutlichkeit, und jetzt mögen jeder und jede selbst entscheiden, ob er respektive sie "Shades of Grey" respektive "Geheimes Verlangen" lesen will. Es sind ja auch nur tausend Seiten allein im ersten Band.