Dienstag, 19. März 2024

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Schubert und Szymanowski
Auf abseitigen Pfaden

Was haben Franz Schubert und Karol Szymanowski gemeinsam? Diese Frage wirft Lucas Debargue, der junge französische Pianist, mit seinem neuen Album auf. Sein zarter Tastenanschlag verzaubert und seine Virtuosität beeindruckt, aber die Antwort bleibt er schuldig.

Am Mikrofon: Susann El Kassar | 19.11.2017
    Ein junger Mann mit schwarzen Haaren, Brille und weißem Hemd sitzt an einem Flügel und spielt.
    Der Pianist Lucas Debargue (Yann Orhan / Sony Classical)
    Musik: Franz Schubert, Sonate Nr. 14 a-Moll D784, zweiter Satz
    Franz Schubert ist einer dieser Komponisten, die einen Innehalten lassen, einen Staunen machen, wie er mit wenigen Noten so viel sagen kann, damit in einem selbst so viel auslösen kann. Ein Gefühl von Zufriedenheit.
    Musik: Franz Schubert, Sonate Nr. 14 a-Moll D784, zweiter Satz
    Für sein zweites Studio-Album hat der junge Franzose Lucas Debargue unter anderem zwei Sonaten von Franz Schubert ausgesucht. Keine späten Schubert-Sonaten mit ihren philosophischen Tiefen und Längen, sondern die Sonate a-Moll D 784 und die Sonate A-Dur D 664.
    Trostlose Stimmung
    Schubert hat die Sonate D 784 im Februar 1823 geschrieben. Er war damals 26 Jahre alt und hatte sich vermutlich kurz vorher mit der Syphilis angesteckt, litt also in dem Monat unter ersten Krankheitssymptomen und konnte zeitweise seine Wohnung nicht verlassen.
    Auch ohne diese biografische Information im Hinterkopf spricht aus dieser Sonate, insbesondere ihrem Kopfsatz deutlich eine trostlose, auch ungewisse Stimmung. Das dominierende rhythmische Motiv, eine Halbe Note mit einer Achtel, transportiert in seiner kargen Gestalt, wie einer schwer zu tragen hat. Oft erklingt es als fallende kleine Terz, dann mutet es umso hoffnungsloser an.
    Lucas Debargue zeigt seine interpretatorische Stärke im Gestalten der Melodien und auch der Spannungsbögen über Pausen und Takte hinweg.
    Musik: Franz Schubert, Sonate Nr. 14 a-Moll D784, erster Satz
    Es wäre nicht Schubert, wenn inmitten dieser Trostlosigkeit nicht auch idyllisch leuchtende Inseln auftauchten. Lucas Debargue zeichnet sie mit seinem weichen, fast gestreichelten Tastenanschlag, lässt diesen kleinen süßen Traum aber erbarmungslos platzen. Diese plötzlich hineinbrechenden fortissimo-Akkorde kann man auch weniger schlagend spielen, Debargue möchte hier aber anscheinend eher auf den Schreck-Effekt setzen. Wer an seinen Fingern hängt, zuckt hier regelrecht zusammen:
    Musik: Franz Schubert, Sonate Nr. 14 a-Moll D784, erster Satz
    Der dritte Satz dieser a-Moll Klaviersonate von Schubert beginnt wie ein Wirbelwind, die Triolen brausen an den Ohren vorbei. Nicht mal am Taktschwerpunkt lässt Schubert uns festhalten. Debargue startet sehr schnell, nimmt dann zwischendurch Tempo raus, um dem bauerntänzerischen Abschnitt gerecht zu werden und auch um die Oktavtriolen am Ende des Satzes technisch sauber zu meistern.
    Musik: Franz Schubert, Sonate Nr. 14 a-Moll D784, dritter Satz
    So mitreißend und auch emotional bewegend wie die a-Moll Sonate ist ihr Schwesterwerk in A-Dur nicht. Sie klingt lieblich, fast gefällig, ja konventionell. Franz Schubert schrieb die Sonate D 664 in einer Phase als ihn die Gattung Klaviersonate viel beschäftigte, er aber mehrere Versuche unvollendet abbrach.
    Musik: Franz Schubert, Sonate Nr. 13 A-Dur D664, erster Satz
    Späte Entscheidung für das Klavier
    Als Lucas Debargue 2015 überraschend in das Finale des Moskauer Tschaikowsky Wettbewerbs einzog, horchte die Musikwelt auf. Denn der Franzose hat sich erst mit 20 ernsthaft mit dem Klavier beschäftigt. Debargue ist der Beweis dafür, dass eine Musiker-Vita nicht in jüngsten Jahren mit stundenlangem Üben anfangen muss, sondern dass Virtuosität und Musikalität auch anders wachsen und gedeihen können.
    So untypisch sein Weg zum Klavier, so gelegentlich ungewöhnlich auch sein Repertoire. Für Debargue liegt darin die Mission seiner neuen CD, erklärt er im Beiheft. Sie solle Werken, die ein Schattendasein fristen, weil sie zu komplex sind oder dem Künstler zu wenig einbringen, zu zeitloser Aktualität verhelfen.
    Spätromantische Klangflut
    Auf seinem vorigen Album holte er eine Sonate von Nicolai Medtner aus dem Schatten, auf dieser CD ist es eine Sonate von Karol Szymanowski, die er neben die zwei Schubert-Sonaten stellt. Der Pole Szymanowski hat drei Klaviersonaten geschrieben, jeweils im Abstand von sechs oder sieben Jahren, Debargue spielt seine zweite in A-Dur. Das tonale Grundgerüst ist also prinzipiell dasselbe wie in Schuberts A-Dur-Sonate; in den 90 Jahren, die zwischen diesen zwei Kompositionen liegen, sind die Harmonien aber komplexer geworden, Chromatik durchzieht die Musik und so wechseln die tonalen Bezugsgrößen quasi chamäleon-artig von Takt zu Takt. Karol Szymanowski hat die Sonate in den Jahren 1910 und 1911 geschrieben. Insbesondere in den ersten Takten erkennt man Johannes Brahms als eine seiner kompositorischen Leitfiguren, aber auch Max Reger und Richard Strauss haben ihn beeinflusst.
    Musik: Karol Szymanowski, Klaviersonate Nr.2 A-Dur, erster Satz
    Die Uraufführung dieser Sonate übernahm im April 1911 Artur Rubinstein. Das Werk fand Anerkennung, konnte sich aber nicht dauerhaft im Repertoire des Konzertbetriebs etablieren. Wobei Tastenlöwen wie Svjatoslav Richter diese Sonate hin und wieder gespielt haben. Der Kopfsatz mutet stürmisch an, Lucas Debargue achtet aber mit Bedacht darauf, dass ihm dieses Allegro assai nicht aus dem Ruder läuft. Er vermeidet kopfloses Risiko, und sortiert die Klangmassen in der Horizontalen und Vertikalen, so dass daraus kein Klangmatsch wird.
    Der zweite Satz dieser Sonate von Szymanowski ist ein Variationensatz, vielseitiger als der erste: eine Variation steht im Stile eine Menuetts, ein andere im Stile einer Sarabande.
    Musik: Karol Szymanowski, Klaviersonate Nr.2 A-Dur, zweiter Satz
    Zum Schluss gipfelt alles in einer vierstimmigen Fuge. Und nicht nur diese Fuge verlangt dem Pianisten ein hohes Maß an Koordination der gleichzeitigen Melodieverläufe ab.
    Musik: Karol Szymanowski, Klaviersonate Nr.2 A-Dur, zweiter Satz
    Warum Lucas Debargue wollte, dass ausgerechnet Franz Schubert und Karol Szymanowski auf dieser CD aufeinandertreffen, wird durchs Hören der Sonaten allein leider nicht deutlich. Und bleibt damit für mich bis zum Schluss offen. Natürlich macht Schuberts Musik etwas mit Szymanowski und Szymanowskis Musik etwas mit Schubert. Aber klangsprachlich sind die beiden sehr weit voneinander entfernt: Szymanowksi präsentiert sich klanggewaltiger, gleichzeitig mit der Fuge als finale Variation formengläubiger als Schubert. Und Schuberts Sonate D 784, die in Moll, hat emotionale Tiefen, die Szymanowskis Musik trotz ihrer vielen Noten nicht erreicht.
    Wie schon bei den Scarlatti-Sonaten, die auf Debargues Debüt-CD eine bestechende Sog- und Suchtwirkung verursachen konnten, liegt auch bei dieser CD besonders in der Moll-Sonate von Schubert eine ähnliches Potential. Darin und auch im Szymanowski besticht der junge Franzose mit seinem auffallend zarten Anschlag, seiner interpretatorischen Klarheit und der ebenso vorhandenen kraftvollen Virtuosität.
    Musik: Karol Szymanowski, Klaviersonate Nr.2 A-Dur, zweiter Satz