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Schulabschlüsse trotz Corona
Wenn Lernen zu Hause nicht so einfach ist

Nicht nur Abiturienten stehen wegen der Coronakrise unter Stress. Zahlreiche Schüler bereiten sich derzeit auch auf die Ersten und Mittleren Abschlüsse vor. Nicht immer können die Eltern dabei unterstützen.

Von Andreas Gaertner | 09.04.2020
    Leeres Klassenzimmer in einer Schule in Hannover
    Schüler müssen sich zu Hause auf Abschlussprüfungen vorbereiten (dpa)
    Wegen Corona treffen wir uns nicht in der Schule können und dürfen wir uns wegen Corona treffen - sondern draußen, in einem kleinen Park in der Nähe des Hamburger Elbtunnels.
    Imani, Majd und Ibrahim gehen in eine 10. Klasse der Stadtteilschule Bahrenfeld. Für das Treffen haben sie unterbrochen, was im Moment so schick neudeutsch als "Homeschooling" bezeichnet wird.
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    Mit einer sogenannten "Lernbrücke" sollen benachteiligte Schüler in Berlin während der Osterferien schulisch unterstützt werden. Digitale Endgeräte zum Ausborgen oder morgendliche Online-Absprachen gehören dazu.
    Der 16-jährige Ibrahim hat fünf Geschwister. Er bereitet sich zu Hause auf den Mittleren Schulabschluss vor – meist im Wohnzimmer: "Es funktioniert, aber es ist nicht so vergleichbar wie in der Schule. Also man ist alleine und kriegt es auch langsam so alleine hin, aber in der Schule würde ich es auch schneller hinkriegen, weil ich meine Freunde dabei habe und wir uns auch Tipps geben und untereinander austauschen."
    Schwieriger ist es für den 18-jährigen Majid. Er bereitet sich in Mathematik und Deutsch auf die Prüfungen vor. Dabei ist er erst vor vier Jahren mit seiner Mutter und seinem Bruder aus Syrien hierher gekommen:
    "Also was ich schwer finde, also meine Mutter kann kein Deutsch und mein Bruder kann so wie ich Deutsch und wenn ich Schwierigkeit habe, dann kann mir keiner helfen und ich bin halt nicht in der Schule und deshalb hab ich ein bisschen Schwierigkeit."
    Kinder aus armen Familien als Corona-Bildungsverlierer?
    Majid bekommt aber Unterstützung. Seine Lehrerin hat ihm für zu Hause einen Schul-Laptop ausgeliehen. Das hat die Hamburger Schulbehörde für Schüler ohne eigene Geräte ausdrücklich gestattet.
    Bessere Voraussetzungen hat die 16-jährige Imani. Sie und ihre Schwester haben beide eigene Laptops. Doch auch sie findet: Das Lernen zu Hause ist nicht so effektiv.
    "Ich habe teilweise das Gefühl, dass ich doppelt so viel lerne, aber dann nur halb so viel erreiche und das finde ich dann – es ermutigt nicht gerade, sag ich mal, und ich merke schon manchmal, da schweife ich einfach so ab und übe dann irgendwas, das interessanter ist als meine Hausaufgaben und dann ist da halt keine Lehrerin, die sagt: Nein, Du machst das jetzt. Oder Du bleibst jetzt dran."
    Schüler bei einer Prüfung in Lille
    Freiwilliges Sitzenbleiben wegen Corona-Pandemie?
    Leistungsschwache Schülerinnen und Schülern sollten wegen der Corona-Pandemie freiwillig sitzenbleiben – das schlägt der Präsident des Lehrerverbandes, Peter Meidinger, vor. Dem widerspricht Doro Moritz von der GEW Baden-Württemberg vehement. Diese Schüler bräuchten gerade jetzt mehr Unterstützung.
    Imani will nach dem Mittleren Abschluss noch das Abitur machen. Das ist auf ihrer Stadtteilschule möglich.
    Für alle gibt es jetzt das Angebot der Hamburger Schulbehörde, bei fehlendem Platz oder fehlender Ruhe zu Hause in die Schule zu kommen und allein in einem Klassenzimmer zu lernen. Das hat aber bislang keiner der Schüler hier angenommen.
    Werden Kinder aus einkommensschwachen Familien durch Corona zu Bildungsverlierern? Während viele Eltern jetzt Großartiges leisten, können andere ihre Kinder wenig oder gar nicht beim Lernen unterstützen. In rund einem Viertel der Hamburger Familien wird kein Deutsch gesprochen. 40 Prozent gelten als einkommensschwach.
    Schulbehörde hat Sorgentelefon eingerichtet
    Christine Vaske von der Stadtteilschule Bahrenfeld, in deren Umgebung viele nicht so begüterte Familien leben: "Ich weiß aus Jahrgang 5,6,7, da ist das deutlich schwieriger. Erstens, die Kinder sind kleiner, es gibt einfach nicht so viel Equipment zu Hause und es gestaltet sich für die Familien wirklich deutlich schwieriger auch mit der Unruhe und auch die Eltern müssen da viel mehr mithelfen und sind da zum Teil auch überfordert."
    Wichtig ist für alle Lehrkräfte derzeit Kontakt zu den Eltern. Alle Klassenlehrer sind vom Schulsenator angehalten, jede Woche mit jedem Schüler persönlich zu sprechen, übers Telefon oder Internet. Manche erreiche man aber über Tage nicht, sagt Christine Vaske.
    "Ja, wir hatten auch einen Fall jetzt bei uns und da sind der Sozialpädagoge und ich einfach hingefahren und haben an der Tür geklingelt und haben uns unten vors Haus gestellt und mit der Schülerin gesprochen und jetzt ist sie wunderbar eingebunden."
    17.000 der rund 200.000 Schülerinnen und Schüler in Hamburg bereiten sich gerade auf Prüfungen vor. Dass sie stattfinden, hat Hambugrs Schulsenator Ties Rabe (SPD) noch einmal für alle in einem Youtube-Video klargestellt:
    "Die Kultusministerkonferenz hat beschlossen, dass in diesem Schuljahr alle Abschlussprüfungen stattfinden sollen, solange es vom Infektionsschutz her sicher durchgeführt werden kann auch dann, wenn Schulen geschlossen sind. Und wir sind jetzt dabei die entsprechenden Rahmenbedingungen umzusetzen."
    So hat die Schulbehörde auch ein Sorgentelefon eingerichtet. Innerhalb der ersten fünf Tage riefen dort 110 Schüler und Eltern an. Bei der Versorgung der Prüflinge wie der übrigen Schüler mit Lernstoff sind der Fantasie und der Technik fast keine Grenzen gesetzt. Auch wegen Datenschutz-Problemen sonst verpönte Dienste wie WhatsApp oder Skype werden in Hamburg benutzt. Die Schulbehörde sagt dazu salomonisch: Man begrüße pragmatische und kreative Lösungen.
    Eins wollen Imami, Ibrahim, Majid und ihre Lehrerin aber jetzt auf keinen Fall: dass ihre Prüfung wegen der Coronakrise doch noch abgesagt wird. Zu viel haben sie dafür schon in die Vorbereitung gesteckt.