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Schulbuchstudie
Migration als Unterrichtsthema

Viele deutsche Schulbücher stellen Migration und Integration vor allem als Problem und Krisen dar - das hat eine Studie schon vor fast einem Jahr kritisiert. Zwar haben mehrere Verlage ihre Schulbücher überarbeitet, doch nicht alle Länder können oder wollen die neue Literatur beschaffen.

Von Kemal Hür | 13.01.2016
    Eine Grundschülerin sortiert ihre Schulbücher
    In vielen Schulbüchern fehlt noch die Darstellung der gesellschaftlichen Vielfalt. (picture alliance / dpa / Holger Hollemann)
    Das Albrecht-Dürer-Gymnasium in Berlin-Neukölln. 70 Prozent der Schüler sind Kinder aus Einwanderfamilien. 31 Muttersprachen werden an dieser Schule gesprochen. Nichts Seltenes in Berlin-Neukölln. Doch diese Diversität findet sich kaum in den Büchern wieder, mit denen die Jugendlichen tagtäglich arbeiten. Schulleiter Rainer Kistermann blättert in zwei Büchern, zunächst in einem Englischbuch.
    "Hier sehen Sie zum Beispiel im Englischbuch eine Methodenseite, wo die Schülerinnen und Schüler lernen sollen, eine Bildbeschreibung in einer Fremdsprache vorzunehmen. Und hier sind ein paar Schüler abgebildet in London Eye, diesem Riesenrad. Und da ist sehr deutlich, zu erkennen, dass diese Schüler unterschiedlicher Herkunft sind."
    Diese selbstverständliche Darstellung der Vielfalt vermisst Kistermann in anderen Büchern. In einem Geografiebuch sind Fotos von Kindern aus unterschiedlichen Regionen abgebildet. Das brasilianische Kind hat Kriegsbemalungen im Gesicht. Eine problematische, stereotype Darstellung, sagt Kistermann.
    Studie im März 2014
    Auf diese Mängel hatte eine Studie im März vergangenen Jahres hingewiesen. Die Kritik lautete: Das Thema Integration/Migration werde sehr krisen- und problembehaftet dargestellt; Migranten würden einseitig als hilfsbedürftige Menschen beschrieben; für die der Staat fürsorglich Leistungen bereitstelle. Perspektiven der Migranten selbst fehlten. Diese Mängel seien beim Lehrpersonal bereits angekommen. Die Lehrer seien mittlerweile für das Thema Vielfalt sensibilisiert, sagt Schulleiter Kistermann.
    "Die Auswahl der Schulbücher obliegt ja den Fachkonferenzen. Und ich wage zu behaupten, dass die Lehrkräfte bei der Auswahl von neu anzuschaffenden, neu einzuführenden Lehrwerken heute den Aspekt Diversität mit im Auge haben."
    Rainer Kistermann nimmt zur Stunde an einer Tagung im Bundeskanzleramt teil. Dort diskutieren Experten über Konsequenzen aus der Schulbuch-Studie. Politiker und Wissenschaftler treffen auf Lehrer und Vertreter der Migrantenorganisationen. Inga Niehaus vom Georg-Eckert-Institut, das die Untersuchung durchgeführt hatte, ist zufrieden, wie die Schulbuchverlage die Kritik aus der Studie aufgenommen haben.
    "Es hat Workshops gegeben, und einige sind geplant, mit den Schulbuchverlagen. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass die neuen Ausgaben der Schulbücher etwas anders und ausgewogener dieses Thema aufgreifen werden."
    Neue aufgelegte Schulbücher
    Mehrere Verlage hätten bereits neue Schulbücher aufgelegt. Aber viele Länder können oder wollten keine neuen Bücher anschaffen, sagt Aydan Özoğuz, Staatsministerin für Integration. Die Tagung soll auch dazu beitragen, die Bildungsverantwortlichen in diesem Punkt umzustimmen.
    "Ich glaube, wenn wir heute die ganzen Befunde zusammentragen, können wir das vielleicht noch ein Stück voranbringen, dass wirklich in der Schule mit Büchern gearbeitet wird, die den Kindern helfen, sie auch einbeziehen in den Unterricht als eben Schülerinnen und Schüler Deutschlands und nicht ihnen sagen: Eigentlich bist du ein Außerirdischer."
    NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann als Vertreterin der Kultusministerkonferenz lobt die Zusammenarbeit mit den Migrantenorganisationen.
    "Es gibt jetzt ein Verfahren, einen direkten Draht soll es geben zwischen den Vertretern der Migrantenorganisationen und den Schulbuchverlagen, direkt auf die zuzugehen, damit wenn was aufstößt und wenn was nicht in Ordnung ist, dass man es dann korrigiert bei einer weiteren Bearbeitung. Das finde ich sehr pragmatisch und sehr vernünftig."