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Schuldenstreit mit Griechenland
"Kein Stammtischpopulismus mehr"

Der grüne Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler hat die Bundesregierung aufgerufen, ihre "sturköpfige und gefährliche Haltung" in der Griechenlandfrage zu beenden. Es sei wichtig, schnell einen Kompromiss zu finden, sagte er im DLF vor Athens Hilfsantrag an die Eurogruppe.

Sven-Christian Kindler im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.02.2015
    Der Haushaltsexperte der Grünen, Sven-Christian Kindler, spricht am 28.11.2014 im Bundestag in Berlin in der Debatte "Verkehr und digitale Infrastruktur" zu den Abgeodneten.
    Sven-Christian Kindler hofft auf einen schnellen Kompromiss im Streit um die griechischen Schulden. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Die griechische Regierung will heute bei den Euro-Staaten einen Antrag auf Verlängerung der finanziellen Hilfen stellen. Die Grünen unterstützten, dass Athen eine Anschlussfinanzierung bekommt, sagte ihr haushaltspolitischer Sprecher im Deutschlandfunk. Den Antrag der griechischen Regierung müsse man sich jedoch genau anschauen.
    Griechenland brauche "gerechte Veränderungen", so Kindler. Die bisherige Sparpolitik sei gescheitert. Der Verhandlungsprozess mit der Eurogruppe sei schwierig, beide Seiten müssten sich bewegen. "Es ist sehr wichtig, dass man schnell einen Kompromiss findet." Es sei notwendig, dass Griechenland wieder "Luft zum Atmen" bekomme.
    Die neue Führung unter Regierungschef Alexis Tsipras sei unerfahren und agiere zum Teil naiv, doch sie habe die Chance, Reformen auf den Weg zu bringen, die die vorherige Regierung verpasst habe. Für Sommer erwartet Kindler ein Reformprogramm.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Ein Dampf aus Gift und Galle habe über dem Treffen gelegen. Das wird aus Brüssel kolportiert. Da waren die Gespräche mit Athens Finanzminister Varoufakis über einen Ausweg aus dem Schuldenstreit gerade zum zweiten Mal in Folge geplatzt. Immer unversöhnlicher stehen sich beide Seiten inzwischen gegenüber. Dieser Eindruck ist jedenfalls in den vergangenen Tagen entstanden.
    Am Telefon begrüße ich Sven-Christian Kindler, den haushaltspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen!
    Sven-Christian Kindler: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    Rausdrängen Griechenlands aus der Eurozone würde "einen Flächenbrand verursachen"
    Barenberg: Herr Kindler, wie lange sollen sich die europäischen Partner und die Geldgeber von der neuen Regierung in Athen eigentlich noch auf der Nase herumtanzen lassen?
    Kindler: Ich glaube, das ist die falsche Frage, weil wir jetzt ja in einem sehr schwierigen Verhandlungsprozess sind zwischen Griechenland und der Eurogruppe und es in den letzten Wochen zu viel Theaterdonner gekommen ist und, ich glaube, sich jetzt alle Seiten bewegen müssen, weil zu viel auf dem Spiel steht. Die Lage ist viel zu ernst.
    Heute soll ja die griechische Regierung wie angekündigt den Antrag auf Verlängerung des Programms einreichen und ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man jetzt schnell einen Kompromiss findet, weil ein möglicher Grexit, ein gefährliches Rausdrängen Griechenlands aus der Eurozone einen Flächenbrand verursachen würde. Das wäre ökonomisch wie sozial fatal für Griechenland, aber auch für die Eurozone.
    Das kann wie gerade gehört eine Kettenreaktion auslösen und die europäischen Institutionen sind darauf nicht vorbereitet. Wir sind sowieso in einer schwierigen Krise in Europa. In vielen Teilen ist die Arbeitslosigkeit hoch, wir haben Deflation, Investitionen sind gering, auch die wirtschaftliche Situation ist instabil. Und in der Situation wäre das nicht nur für Griechenland fatal, sondern für die Eurozone insgesamt. Deswegen brauchen wir jetzt Bewegung und Kompromissbereitschaft auf allen Seiten.
    Neue Regierung gibt Griechen "nationale Selbstachtung" zurück
    Barenberg: Sie haben die unabsehbaren Folgen eines Austritts Griechenlands angesprochen. Auf der anderen Seite muss man ja sagen, dass der Antrag, die Hilfskredite zu verlängern, schon mal angekündigt war. Erst gab es überhaupt keine schriftlichen Unterlagen, dann wurde dieser Antrag jetzt noch mal verschoben. Heute nun soll der Brief kommen. Es entsteht doch der Eindruck, oder sehen Sie das anders, dass sich die griechische Regierung durchaus dilettantisch und unprofessionell verhält.
    Kindler: Man muss, glaube ich, sehen: Diese neue griechische Regierung ist jetzt drei Wochen im Amt. Ich war die letzten Tage auch in Athen, habe Gespräche geführt, unter anderem mit dem griechischen Wirtschaftsminister, mit Beratern von Tsipras, mit der Opposition habe ich auch geredet, mit dem IWF, mit der griechischen Zentralbank, und natürlich ist diese Regierung unerfahren. Das sagt Finanzminister Varoufakis auch. Sie sind jetzt neu ins Amt gekommen. Zum Teil ist da wenig klare Linie. Zum Teil, glaube ich, auch Naivität über die Verhandlungstaktik und auch, was möglich ist.
    Aber insgesamt muss man ja sagen, dass es auch Punkte gibt, die einfach verständlich sind. Die bisherige Krisenpolitik hat in Griechenland nicht funktioniert. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch, wir haben eine schwere Rezession in den letzten Jahren erlebt, die soziale Situation ist dramatisch, der Schuldenberg ist weiter gewachsen in Griechenland, und deswegen muss man auch sagen, dass dieser Austeritätskurs auch gescheitert ist in Griechenland. Das heißt, es braucht auch gerechte Veränderungen in Griechenland, um die soziale Situation zu verändern und zu verbessern. Das ist, glaube ich, der eine Punkt.
    Und man muss klar machen, dass auch in dem Bereich der Strukturreformen, die sehr wichtig sind für Griechenland, weil es wirklich in dem Bereich massiv Probleme gibt, dass da das jetzt angegangen werden muss.
    Das wurde von der letzten griechischen Regierung nur halbherzig oder zum Teil gar nicht angegangen. Das heißt, es besteht eine Chance jetzt mit dieser neuen griechischen Regierung mit Syriza, die nicht Teil des alten Klientelsystems war, wirklich in den Bereichen Modernisierung des öffentlichen Sektors für mehr Effizienz, Modernisierung der Steuerverwaltung, um Vermögen zu besteuern und mehr Einnahmen zu erzielen, da bestehen wirklich Chancen, glaube ich, das auch zu machen und das voranzutreiben, den Kampf gegen Korruption und mehr Rechtsstaatlichkeit.
    Und man muss sehen, dass diese Regierung gerade für diesen Kurs jetzt auch viel Unterstützung hat in der Bevölkerung. Das ist noch gestiegen nach der Wahl, weil man das Gefühl hat, endlich steht mal eine Regierung auf und sagt, okay, so und nicht weiter, dass es da zu einer nationalen Selbstachtung und wieder einem Gefühl von "wir können auch mitreden" kommt. Das glaube ich schon, das merkt man in Griechenland, dass es dafür Unterstützung gibt.
    Trotzdem ist natürlich auch klar, dass die griechische Regierung nicht alles durchsetzen werden wird. Das ist, glaube ich, auch richtig, dass es da auch zu deutlichen Kompromissen kommen wird jetzt diese Woche.
    Man sollte neuer griechischer Regierung "eine Chance" einräumen
    Barenberg: Es gibt Verständnis bei den Menschen in Griechenland für die Notwendigkeit von Reformen. Über die Chancen für Reformen haben Sie gesprochen. Sehen Sie denn auch, dass die griechische Regierung diese Chance genutzt hat bisher, konsequente Reformen, wenn es um Steuerflucht, um Steuervermeidung geht, wirklich anzupacken?
    Kindler: Ja die letzte Regierung eben nicht!
    Barenberg: Nein, ich meine jetzt die neue Regierung.
    Kindler: Na ja, die neue Regierung ist drei Wochen im Amt. Das muss man, glaube ich, einfach sehen, dass das eine sehr kurze Zeit war. Die hatten jetzt vor allen Dingen als Erstes auf der Tagesordnung die Neuverhandlung über das griechische Anpassungsprogramm und die Kreditverlängerung mit der Eurogruppe und bisher, glaube ich, wenig Zeit, einfach sich dort einzufinden. Aber das ist in Deutschland mit neuen Regierungen im Bund und in den Ländern, gerade mit Parteien, die noch nie in einer Regierung waren, glaube ich, nicht anders, dass man dann erst mal natürlich auch Fehler macht, handwerkliche Fehler, und gleichzeitig die Erfahrungen erst aufbauen muss.
    Der unabhängige Leiter der Steuerverwaltung wurde im Juni 2014 von der alten Regierung geschasst und zum Rücktritt gedrängt, der gerade wirklich Reformen anstoßen wollte. Das heißt, die Regierung Samaras war in dem Punkt kein guter Partner.
    Gerade Syriza ist eine linke Partei, hat auch das Interesse, glaube ich, mehr Einnahmen zu erzielen, einen Primärüberschuss im Haushalt weiter zu haben, nur nicht so einen hohen wie angesetzt von der Eurogruppe, der auch unrealistisch ist. Deswegen, glaube ich, gibt es schon die Chance, dass da auch Reformen kommen werden.
    Das wird man abwarten, bisher ist da wenig konkret vorgelegt. Das muss man, glaube ich, auch sehen. Trotzdem ist es zu früh, das zu bewerten. Deswegen ist ja, glaube ich, die Notwendigkeit, dass Griechenland mehr Zeit bekommt, Griechenland Luft zum Atmen bekommt und man jetzt eine Verlängerung für wenige Monate macht, das Programm verändert und verbessert auch. Ich glaube, ein Teil des Programms wird auch weiterlaufen. Die griechische Regierung hat ja gesagt, 70 Prozent werden wir akzeptieren und bei 30 Prozent muss es zu Veränderungen kommen. Ich glaube, das ist auch realistisch, dass es dazu gerechten Veränderungen, wirtschaftlich sinnvollen Veränderungen kommt.
    Dann muss die neue Regierung ein Reformprogramm natürlich im Sommer vorlegen und konkret sagen, in welchen Bereichen sie wo genau im öffentlichen Sektor, bei der Steuerverwaltung, bei der Korruption wirklich dann Reformen anstoßen will. Ich glaube nur, dass man diese Chance auch einräumen sollte.
    "Destruktive und gefährliche sturköpfige Haltung der Bundesregierung"
    Barenberg: Herr Kindler, geben Sie mir noch eine Chance für eine Frage in den letzten Minuten, die wir noch haben. Es wird ja erwartet, dass Griechenland die Hilfsgelder beantragen wird, die Verlängerung des Programms, unter Verzicht und Ablehnung der bisher vereinbarten Auflagen. Würden Sie dafür im Bundestag die Hand heben?
    Kindler: Wir unterstützen, dass Griechenland eine Anschlussfinanzierung bekommt, weil ein Grexit viel zu gefährlich wäre, und wir unterstützen auch, dass es gerechte Veränderungen auf der Grundlage des bestehenden Programms gibt, und ich glaube, um diese gerechten Veränderungen, wirtschaftlich sinnvolle Veränderungen für Strukturreformen, im öffentlichen Sektor und bei der Steuerverwaltung geht es jetzt auch.
    Man muss sich jetzt, glaube ich, genau angucken, was der Antrag der griechischen Regierung ist. Wir wissen alle, dass, wenn es zu keiner Verlängerung kommt, wir in Griechenland und in der Eurozone in sehr schwere Probleme kommen und das eine brandgefährliche Situation ist, in der wir dann wären.
    Von daher muss man das alles, finde ich, klug bedenken und es sollte jetzt auch gerade diese destruktive und gefährliche sturköpfige Haltung der Bundesregierung überdacht werden und aus der Union, gerade aus der CSU, finde ich, sollte jetzt da auch der Stammtischpopulismus enden.
    Barenberg: ... , sagt Sven-Christian Kindler, der haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Kindler: Ihnen auch vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.