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Schuldfrage

Über 40 Tote - so lautet die traurige Bilanz der Überschwemmungen auf Madeira. Eine gute Woche nach der verheerenden Flut wird auf der Insel nun nach den Verantwortlichen gesucht.

Von Tilo Wagner | 03.03.2010
    Nicht einmal 48 Stunden nach der schwersten Überschwemmungskatastrophe der vergangenen Jahrzehnte auf der Atlantikinsel Madeira trat der Regierungschef der autonomen portugiesischen Region, Alberto João Jardim, vor die Mikrofone und verkündete:

    "Der Insel Madeira hilft man am besten, wenn man zum Blumenfest im April kommt. Ich kann nicht den Tourismus zerstören, der unser Überleben ist. Deshalb werde ich nicht den Ausnahmezustand ausrufen, damit die Bewohner von Madeira nicht darunter leiden, dass ihre Wirtschaft schwere Einbußen hinnehmen muss."

    Zu diesem Zeitpunkt war fast die gesamte Hauptstadt Funchal von einer dicken Schlammschicht überzogen; Häuser und Autos waren von den Fluten ins Meer gespült worden; über 40 Menschen kamen dabei ums Leben; Hunderte hatten ihr Eigenheim verloren. Doch Alberto João Jardim bat die Journalisten, in ihren Berichten die Katastrophe nicht allzu plastisch darzustellen, um Touristen nicht unnötig zu verschrecken. Der Schuss ging nach hinten los. Portugiesische Medien berichteten nicht nur ausführlich und kritisch, sondern warfen der Regionalregierung vor, die genaue Zahl der Toten vertuschen zu wollen. Die unbeholfene Reaktion von Regierungschef Alberto João Jardim lässt sich damit erklären, dass der ehemalige Rechtsanwalt seine lokale Macht seit über 30 Jahren auf zwei Säulen baut, die von der Katastrophe schwer getroffen wurden: auf den Tourismus und den Straßenbau.

    André Freire von der Universität Lissabon erklärt:

    "Auf Madeira existiert eine große Klientelwirtschaft. Personen, die zum engen Kreis der regierenden sozialdemokratischen Partei gehören, sitzen in allen großen Firmen, insbesondere in der Bauindustrie, die so gut wie alle öffentlichen Aufträge erhält. Und weil die Insel mit ihren rund 250.000 Einwohnern relativ klein ist, lässt sie sich auch leichter kontrollieren, und sei es durch einen sozialen Druck auf den Einzelnen, so zu wählen, wie die Mehrheit immer schon gewählt hat."

    Und ausgerechnet das von Korruption durchzogene Baugewerbe wird auch noch der große Gewinner der Katastrophe sein. 1,3 Milliarden Euro soll der Wiederaufbau von Straßen, Brücken und Gebäuden in Funchal und Umgebung kosten. Der 67-jährige Jardim, der eigentlich 2011 als Parteipräsident zurücktreten sollte, will sich jetzt persönlich um den Wiederaufbau kümmern und erwähnt mittlerweile, erneut für das Regierungsamt zu kandidieren. Ein Verhängnis, meint Politikwissenschaftler André Freire:

    "Wir brauchen einen politischen Neuanfang. Es kann doch nicht sein, dass nur dieser Mann den Wiederaufbau leiten kann. Für Portugal und Madeira ist es wichtig, dass beim Wiederaufbau nicht wieder die gleichen Fehler gemacht werden. Doch Jardim glaubt, er hätte alles richtig gemacht und die Missstände würden alle aus der Zeit der Salazar-Diktatur stammen. Das ist schlichtweg falsch."

    Schließlich wurden die natürlichen Wasserwege zu Zeiten Jardims betoniert und Abflussflächen wie Wiesen und Wälder in den letzten Jahrzehnten verbaut. Eine positive Signalwirkung scheint von der Katastrophe dennoch auszugehen. Noch vor einem Monat drohte die gesamtpolitische Stabilität Portugals an einem Streit zwischen Premierminister José Sócrates und Alberto João Jardim, in dem es um die Höhe der Zuschüsse der Zentralregierung an die Inselregion ging, zu zerbrechen. Von Meinungsverschiedenheiten zwischen Lissabon und Funchal ist jetzt nichts mehr zu spüren:

    "Dramatische Ereignisse, wie sie in Madeira stattfanden, beeinflussen die Politiker. Sie legen ihre persönlichen oder parteipolitisch geprägten Streitigkeiten beiseite und zeigen im Angesicht der Tragödie, dass sie an einem Strang ziehen. Das halte ich für eine positive Entwicklung."