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Schulen im Gazastreifen
Unterricht im Schichtbetrieb

Anderthalb Jahre ist es her, dass der letzte große militärische Konflikt zwischen Israel und der Hamas in Gaza stattfand, im Sommer 2014. Mittlerweile ist wieder so etwas wie Alltag in Gaza eingekehrt. Das gilt auch für die Schulen – allerdings haben die trotzdem mit vielen Problemen zu kämpfen.

Von Anna Kohn | 25.01.2016
    "I love the school very much. And the teachers, and the subjects, all, all of them."
    "Ich liebe die Schule sehr. Und die Lehrer. Und alle Fächer, wirklich alle."
    Aseel Elouh sitzt im Englischunterricht in der Zaytoun Preparatory Girls School im Gazastreifen. Die Schule wird von der UNRWA betrieben, dem UN Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge. Der kleine Klassenraum platzt aus allen Nähten – um Elouh herum sitzen rund 40 weitere Mädchen. Überfüllte Klassenräume: symptomatisch für die Situation an den UNRWA-Schulen in Gaza, erklärt Milina Shahin, Sprecherin der UNRWA in Gaza.
    "Immer mehr Schüler kommen an die UNRWA-Schulen. Jedes Jahr bekommen wir 8.000 bis 10.000 zusätzliche Schüler. Manche Schulen unterrichten deshalb schon in Doppel- oder sogar Dreifach-Schichten. Und natürlich wird es so immer schwieriger für uns, ein hohes Unterrichtsniveau zu halten."
    Die erste Schulschicht beginnt morgens um sechs, ab 11 Uhr folgt dann die Nachmittagsschicht mit neuen Lehrern und Schülern. Nur so kann für die rund eine Viertel Million Schüler an den UNRWA-Schulen in Gaza der Schulunterricht aufrechterhalten werden. Etwa 100 neue Schulen würden zusätzlich zu den rund 250 schon bestehenden gebraucht, um einen regulären Betrieb zu ermöglichen, sagt Milina. Das Problem: Kein Platz in Gaza. "Wir versuchen es jetzt mit vertikalem Bauen. In der Vergangenheit hatten wir UNRWA Schulen, die nur ein Stockwerk hatten. Jetzt haben wir ein zweites und drittes, und wir bauen die Gebäude so, dass in Zukunft auch noch ein viertes Stockwerk möglich wäre."
    Viele Lehrer werden nur unregelmäßig bezahlt
    Doch Baumaterial ist schwierig zu bekommen. Das liegt nicht nur an der Blockade der Israelis, mit der die Menschen in Gaza seit rund acht Jahren leben, seit die radikale Hamas im Gazastreifen an die Macht kam. Auch der bürokratische Prozess, um das Baumaterial nach Gaza zu schaffen, ist schwer berechenbar – manchmal kommt unser Antrag durch, manchmal nicht, erzählt Milina Shahin.
    An den Schulen der Regierung in Gaza bietet sich ein ähnliches Bild. Auch hier wird an zwei Dritteln der Schulen in Doppelschicht unterrichtet, auch hier würden eigentlich jedes Jahr 20 neue Schulen gebraucht. Dazu kommt allerdings noch ein weiteres Problem, beschwert sich der stellvertretende Bildungsminister Ziyad Thabet, der seinen Amtssitz in Gaza hat: "Mehr als 9.000 Beamte in Gaza werden nicht von der Einheitsregierung von Fatah und Hamas in Ramallah bezahlt. Ab und zu zahlt ihnen das Finanzministerium in Gaza einen Teil ihres Gehalts, aber die Situation ist sehr problematisch für sie."
    Zu diesen Beamten gehören auch Lehrer, die ursprünglich von der Hamas-Regierung eingestellt wurden – sie gelten als Hamas-Sympathisanten und die Einheitsregierung will ihnen kein Gehalt zahlen. Das Bildungsministerium in Ramallah hat sich auf Anfrage nicht zu diesen Vorwürfen aus Gaza geäußert. Fakt ist: Hamas und Fatah sind sich genauso spinnefeind wie vor der 2014 gebildeten Einheitsregierung, und in diesem Fall leidet die Bildung darunter. Neben den unterbezahlten Lehrern werden nämlich wegen des Geldmangels der Hamas auch noch keine weiteren eingestellt. "Wir brauchen 500 bis 600 neue Lehrer. Aber weil wir das Geld nicht haben, machen wir Druck auf die alten Lehrer, damit sie mehr Stunden unterrichten."
    Möglichkeit eines neuen militärischen Konflikts bleibt
    Das macht die Unterrichtsqualität nicht besser. Yasser, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen möchte, hat zwei ältere Söhne, die auf Schulen der Regierung gehen. Die zwei Jüngeren besuchen Schulen der UNRWA. Yassers Urteil ist eindeutig: "Um ehrlich zu sein: Die Situation an den Schulen der Regierung ist sehr, sehr schlecht. Als meine Söhne auf die Regierungsschule gekommen sind, musste ich ihnen private Nachhilfe verschaffen, weil die Situation dort so schlecht ist." Private Nachhilfe, die sich in Gaza kaum jemand leisten kann.
    Und neben schlecht bezahlten Lehrern und überfüllten Klassenräumen leben die Schüler in Gaza auch immer mit der Möglichkeit eines neuen militärischen Konflikts. Nach dem Krieg im Sommer 2014 zwischen Israel und Hamas gab es therapeutische Betreuung für die Kinder. Aseel Elouh erinnert sich an die Kriegszeit: "Es war unheimlich, vor allem nachts. Aber tagsüber war meine Mutter da. Da haben wir uns besser gefühlt, weil die Eltern da waren."
    Und Mais Ellaham, ein Jahr jünger als Elouh, fügt hinzu: "Es war Krieg, und das war normal. Das ist schon der dritte Krieg, wir sind das gewöhnt."