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Schulkampf in Mitte

Einst stand die Berliner Mauer zwischen dem Arbeiterbezirk Wedding und Alt-Mitte. Heute trennt eine virtuelle Wand den von sozialen Problemen bestimmten Stadtteil vom Aufsteigerviertel. Die Trennung zeigt sich bereits an der Grundschule: Viele Mitte-Eltern wollen ihre Kindern nicht an Wedding-Schulen schicken.

Von Claudia van Laak | 19.08.2011
    Elena zeigt stolz ihren Schulranzen. Pink ist er, blau und weiß, mit Blumen. Morgen ist Elenas erster Schultag. Sie braucht nur aus dem Haus zu gehen, einmal um die Ecke, schon ist sie da. Den Platz an der Arkonaschule hat sich Elenas Vater Jan Rameken allerdings erklagt - hatte das Schulamt seiner Tochter doch zunächst eine Grundschule im Stadtteil Wedding zugewiesen, dort, wo die Schulen von türkischen und arabischen Kindern dominiert werden.

    "Wir haben eine sehr aufgeweckte Tochter. Sie ist blond, sie ist sehr hellhäutig, wir haben einfach die Befürchtung, dass sie untergeht ein bisschen, weil die große Masse eben anders ist."

    Rechtsanwalt Jan Rameken ist mit seiner Frau und den zwei Kindern vor zwei Jahren von Nordrhein-Westfalen nach Berlin gezogen, in den Stadtteil Alt-Mitte. Bevor sie sich für die jetzige Wohngegend entschieden, haben sie zunächst einen Blick auf die Schulen im Umkreis geworfen. Dass das Schulamt ihnen eine Grundschule im benachbarten Wedding zuweisen würde, war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar.

    "Ich habe einfach Bedenken nach dem, was ich an den Schulen drüben gesehen habe, dass das für unsere Tochter das Richtige ist. Und deswegen haben wir uns entschieden, wir machen das anders als viele andere."

    Jan Rameken sagt die Schulen "drüben", so als ob diese in einer anderen Welt lägen, obwohl der Wedding nur eine Viertelstunde Fußweg entfernt liegt. In der Tat: Dazwischen stand einmal die Mauer, sie trennte den Westberliner Arbeiterbezirk von der Hauptstadt der DDR. Heute trennt eine virtuelle Mauer den von Migranten und vielen sozialen Problemen bestimmten Stadtteil Wedding vom Aufsteigerviertel Alt-Mitte. Bezirksstadträtin Petra Schrader möchte, dass die Kinder diese Mauer überwinden. Die Politikerin der Linken wünscht sich eine gemischte Schülerschaft:

    "Es ist für mich der Idealfall, weil so ist unsere Gesellschaft strukturiert, so ist sie nun einmal. Und die Kinder tun das im Kindergarten, dass sie gut miteinander auskommen, warum sollten sie das nicht in der Schule. Ich finde, das ist der Idealfall."

    Außerdem quellen die Schulen in Alt-Mitte über, in Wedding dagegen ist noch Platz. Doch viele Eltern beschwerten sich gegen einen Schulplatz im Wedding, so auch Helge von Niswandt.

    "Die Politik denkt, man kann die Leute einfach so verteilen und die Kinder quer durch den Bezirk schicken. Das halte ich für einen großen Fehler, weil man dabei verkennt, wie die Realität ausschaut."

    Anders als Jan Rameken hat sich Helge von Niswandt allerdings nicht für den Klageweg entschieden. Seine Tochter Henrieke wird morgen im Stadtteil Wedding eingeschult, allerdings in einer besonderen Klasse.

    "Es ist ja jahrgangsübergreifendes Lernen. Also die zweite Klasse ist komplett aus Wedding, die erste komplett aus Mitte. Und alle Kinder sprechen brauchbar deutsch. Das war für uns sehr wichtig, weil, wenn man einfach ständig Begriffe erklären muss, der Lernerfolg doch auf der Strecke bleibt."

    Ein Schulexperiment mit ungewissem Ausgang, meint der besorgte Vater Helge von Niswandt. Für viele Weddinger Schulen aber eine große, wenn nicht die einzige Chance. Um nicht endgültig in den Status einer Getto-Schule abzurutschen, brauchen sie bildungsbewusste Eltern, egal ob diese deutsche, chinesische oder arabische Wurzeln haben.