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Schulpflicht für geduldete Flüchtlingskinder

In vielen Bundesländern ist es für geduldete Flüchtlingskinder immer noch schwierig, an einer Schule angenommen zu werden. In Rheinland-Pfalz besteht nun für diese Kinder eine Schulpflicht. So sollen sie schneller Deutsch lernen und sich besser in ihre neue Umgebung integrieren.

Von Ludger Fittkau | 11.06.2013
    "Ich weiß das noch sehr gut, wie das war, alle sechs Monate zur Ausländerbehörde zu gehen und zu zittern: Bekommen wir jetzt ein Visum oder kriegen wir jetzt eine Ablehnung? Man hängt im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Fuß in der Luft."

    Laila Arash war 14 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Deutschland flüchtete. Sie konnte kein Wort Deutsch, als sie ins Aufnahmelager in Ingelheim am Rhein kam. Als Asylsuchende wurden Laila und ihre Familie nicht anerkannt:

    "Zu dem Zeitpunkt war es so, da war man in vielen Bundesländern der Meinung, dass es in Afghanistan keine politische Verfolgung gibt und deswegen gab es auch keine Anerkennung der Asylbewerber."

    Aber Laila Arash wusste: Ich will lernen, ich will unbedingt das Abitur machen. Das Problem: Als Flüchtlingskind ohne sicheren Aufenthaltsstatus war für sie lediglich eine Stunde Sprachunterricht pro Woche vorgesehen. Mehr nicht. Kein Intensivkurs, keine Schulpflicht, nichts. Das war im Jahr 1989. Die vierzehnjährige Laila Arash hätte zu dieser Zeit auch zu Hause bleiben können, sagt sie. Niemand hätte sich darum gekümmert. Doch eine Pfarrersfrau setzte sich entschlossen dafür ein, dass die junge Afghanin zur Schule ging:

    "Da hatte ich eigentlich auch eben Riesenglück. Weil die Frau Eichholz für mich gebürgt hat. Dass ich in der Schule angenommen werde und ins Gymnasium direkt. Da hatte ich dann sechs Monate Zeit, damit ich zeigen kann, was ich kann. Ob ich da mitkommen kann oder nicht, und dann wollte die Schulbehörde dann eben entscheiden, ob ich weiter bleiben kann als Gastschülerin, das war ich zunächst nur."

    Laila Arash es tatsächlich geschafft. Sie durfte an der Schule bleiben. Machte ein so ausgezeichnetes Abitur, dass sie ihren Traum verfolgen konnte, Kinderärztin zu werden. Doch obwohl ihre Eltern als lediglich geduldete Flüchtlinge nicht arbeiten durften und die Familie deshalb von Sozialhilfe lebte, bekam Laila Arash kein BAföG. Ihr Flüchtlingsstatus sah das nicht vor. Sie schrieb Bitt-Briefe an den damaligen rheinland-pfälzischen Innenminister Walter Zuber. Vergeblich.

    "Es war dann so, dass ich die ersten zwei Jahre samstags und sonntags und in allen Ferien und manchmal auch an den Abenden gearbeitet habe. Und dadurch war es eigentlich möglich, dass ich das dann geleistet habe."

    Heute arbeitet Laila Arash als Fachärztin an der Uniklinik Mainz. Dass die Schulpflicht für die geduldeten Flüchtlingskinder erst jetzt in das rheinland-pfälzische Schulgesetz geschrieben wird, findet sie bitter. Doch schon seit 2006 gibt es in Mainz eine Verwaltungsvorschrift, die einen Schulbesuch der Flüchtlingskinder wie eine gesetzliche Pflicht behandelte. Seitdem gibt es auch einen intensiven Deutschunterricht für die Neuankömmlinge, versichert der rheinland-pfälzische Bildungsstaatssekretär Hans Beckmann:

    "Wir haben seit letzter Woche eine schulgesetzliche Regelung, aber wir haben in Rheinland-Pfalz schon seit vielen Jahren eine gängige Praxis, dass Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrem Status ein Recht haben, eine Schule zu besuchen. Und das ist ganz, ganz wichtig, weil das die beste Möglichkeit ist, dass sich die Schülerinnen und Schüler in ihrer neuen Umgebung integrieren."

    Doch noch nicht in allen Bundesländern ist es für die Flüchtlingskinder einfach, wirklich an einer Schule angenommen zu werden. In Berlin kritisierte der Flüchtlingsrat noch vor Kurzem, dass Flüchtlingskinder aufgrund negativer Haltungen von Schulämtern und Schulen oft monatelang warten müssen, bevor sie zur Schule gehen können. Auch in Baden-Württemberg begann bis vor Kurzem die Schulpflicht erst sechs Monate nach dem Zuzug der Flüchtlinge. In Bayern besteht zwar eine Schulpflicht auch für Flüchtlingskinder bis 16 Jahre. Doch die Eltern müssen etwa bei der Anmeldung die Angaben zur Person des Kindes in der Regel durch Urkunden belegen. Für Flüchtlingsfamilien aus Afghanistan ist das oft unmöglich, so Dr. Laila Arash:

    "Aus einem Land wie Afghanistan, wo ja auch sehr viele Gebäude zerstört wurden, da existieren einfach die Papiere nicht mehr. Und natürlich kann man sich dort auch gefakte Papiere irgendwie besorgen. Aber es ist die Frage, ob das der Sinn der Sache ist."

    Außerdem sind Flüchtlingskinder in Flächenländern oft benachteiligt, wenn sie mit ihren Familien manchmal monatelang in zentralen Lagern untergebracht sind. Oft gibt es in der Nähe keine geeigneten Schulen und außerdem ist es für die Kinder in der Sammelunterkunft schwer, konzentriert zu lernen, weiß Laila Arash:

    "Am längsten war ein Onkel von mir dreieinhalb Jahre in solchen Lagern. Das bedeutet in einem Zimmer die ganze Familie. Und das sind jetzt keine großen Zimmer. Natürlich sind das nicht die idealen Bedingungen für ein Kind, um da zu lernen oder in die Schule zu gehen."

    Auch damit hat Laila Arash wieder Glück gehabt. Sie konnte die Sammelunterkunft schon nach drei Wochen verlassen. Dann hat sie sich in Schule und Hochschule unter schwierigen Bedingungen durchgebissen. Das nun ist vor allem ein Glück für unsere Gesellschaft. Denn Ärzte wie Laila Arash werden dringend gebraucht. Wohlgemerkt: Schulpflicht hatte sie nicht – sie hätte auch zu Hause bleiben können!