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Schulversuch in Wilhelmsburg
Regelschule mit ein bisschen Waldorfpädagogik

In Wilhelmsburg werden im Unterricht von drei ersten Klassen Elemente der Waldorf-Pädagogik fester Bestandteil. Der Hamburger Landesschulrat hat seine Skepsis abgelegt. Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften kritisiert jedoch weiterhin die Grundlagen der Waldorf-Pädagogik.

Von Axel Schröder | 26.08.2014
    Leeres Klassenzimmer mit hochgestellten Stühlen, aus dem ein Drittklässler läuft.
    In einer Hamburger Schule zieht die Waldorfpädagogik als Experiment in den Alltag ein. (picture alliance / dpa - Armin Weigel)
    Andrea Meyer-Stoll wirkt begeistert, als sie durch die neuen Unterrichtsräume geht. Sie gehört zum dreiköpfigen Leitungsteam an der Schule Fährstraße in Hamburg-Wilhelmsburg und zeigt dem Hamburger Schulrat Norbert Rosenboom, wie die Klassenräume nach Waldorf-Prinzipien gestaltet wurden.
    Kleine Holzbänke für je zwei Schüler stehen im Kreis des Klassenraums. In der Mitte ein weicher heller Teppich, die Wände in gelben Pastelltönen. Vorn an die Tafel hat eine Kollegin mit Pastellkreiden ein kunstvolles Bild gemalt: Eine junge Frau kniet im Inneren eines hohlen Baums. Die Sonne leuchtet. Andrea Meyer-Stoll erklärt das Prinzip der Raumgestaltung.
    Bewegtes Klassenzimmer
    "Das ist das Prinzip des bewegten Klassenzimmers. Die Kinder können die Bänke verstellen. Man kann sie auch umdrehen und darauf balancieren. Es gibt dann Sitzkissen und man kann sie auch als Tische benutzen. Die Kinder können knien und dann eben auf den Tischen schreiben. Es ist sehr auf Übersichtlichkeit geachtet worden, also keine Materialflut, keine Zettel überall, sondern Übersichtliches und Gerades. Es ist in hellen, freundlichen Farben angemalt und lasiert. Da hinten gibt es eine Kuschelecke und auch schöne Holz- und Naturmaterialien."
    Die Zeit drängt, gleich beginnt die Einschulungsfeier. Schnell zeigt sie noch den zweiten Raum, das von der Klassenlehrerin gemalte Tafelbild: Ein Junge liegt im Gras unter einem Birnbaum voller Früchte, beschützt durch einen schwebenden weißen Engel.
    Andrea Meyer-Stoll und Schulrat Norbert Rosenboom eilen in die Aula, wo gleich die Feier beginnt. Drei erste Klassen starten ab heute in den Schulversuch, bei dem Elemente der Waldorf-Pädagogik fester Bestandteil des Unterrichts sind. Rhythmisch-musikalisch sollen die Kinder die deutsche Sprache erkunden. Gelernt wird kognitiv, emotional und sensomotorisch, mit einem Bezug zur Natur. Viele Eltern aus dem Stadtteil waren von diesem Schulversuch überhaupt nicht begeistert. Die Schulleitung hat bei drei Informationsveranstaltungen versucht, ihre Bedenken zu zerstreuen:
    "Sie hatten vor allem Sorge, dass ihr Kind womöglich weniger lernt. Weil die Waldorf-Pädagogik ja ein vertieftes Lernen anstrebt und sich auch insgesamt mehr Zeit für bestimmte Prozesse lässt. Dann war auch eine Sorge, dass es eventuell eine christliche Schule sein würde."
    Aber diese Bedenken, so Meyer-Stoll konnte sie zerstreuen.
    Zweifel am Versuch von der GWUP
    Nicht aber die der GWUP, der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Die ist mit dem Versuch, Waldorfpädagogik jetzt in einer Regelschule zu etablieren, gar nicht einverstanden. Julia Offe ist Mitglied dieser skeptischen Wissenschaftler-Gruppe und kritisiert die Grundlagen der Waldorf-Pädagogik, die in weiten Teilen auf den Lehren ihres Vordenkers Rudolf Steiner beruht:
    "Er glaubt zum Beispiel, dass sich die Kinder in Jahrsiebten entwickeln. Dass sie erst nach den ersten sieben Jahren lesen lernen dürfen. Und dann dürfen sie erst mit 14 abstraktere Theorien lernen, weil sie dazu vorher nicht in der Lage sind. Weil sich dann erst der Astral- und dann der Ätherleib entwickelt."
    Und diese Esoterik, so Julia Offe, habe an staatlichen Schulen nichts zu suchen. Sie kritisiert, dass Rudolf Steiners Schriften rassistische Elemente enthalten, die möglicherweise ihren Niederschlag auch in der Waldorf-Pädagogik fänden.
    Hamburger Landesschulrat zeigt sich von dem Versuch überzeugt
    Der Hamburger Landesschulrat Norbert Rosenboom will diese Argumente nicht gelten lassen. Zumindest nicht, wenn es um den Schulversuch in Wilhelmsburg geht. In acht Treffen hat sich die Schulbehörde mit den Waldörflern ausgetauscht. Und am Ende war von der anfänglichen Skepsis nicht mehr viel übrig, erzählt Rosenboom in der voll besetzten Aula der Fährstraßen-Schule:
    "Es gab bestimmte Sachen, die man nicht mochte an der anderen Seite. Also, ich mag keinen Buchstabentanz, ich mag nicht den Zahnstand als Kriterium, aber ich finde das auch nicht problematisch, sich das anzuschauen. Und auch der konkreten Ebene, je konkreter wir wurden, desto besser stimmten wir überein. Und ich muss zugeben: Waldorf hat eine Sprache, die ist einfach besser als unsere technokratische. Also, wenn die über eine kindliche Entwicklung sprechen oder einen Drei-Tages-Schritt des Lernens, dann kann ich mir sofort vorstellen: Das sind drei Tage. Oder drei Stadien. Da haben wir hochgeklärte Begriffe, die nichts aussagen."
    In jedem Fall, so Rosenboom, werde der Schulversuch durch das Institut für Bildungsmonitoring wissenschaftlich begleitet.
    Bei der Einschulungsfeier tanzten die Schülerinnen und Schüler einer reinen Hamburger Waldorfschule dann keineswegs ihren Namen, sondern sie flöteten den Erstklässlern ihre Lieder vor. Und der Sprecher der Freien-Waldorf-Schulen Henning Kullack-Ublick wünschte den Neuen an der Schule nicht nur viel Spaß beim Lernen, sondern vor allem aber "Mut, Licht und Kraft".