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Schulz nennt von der Leyens Job-Initiative kontraproduktiv

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will arbeitslose Fachkräfte aus Krisenländern anwerben. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz lehnt das ab, denn gut qualifizierte Arbeiter würden in ihren Heimatländern gebraucht. Stattdessen schlägt er zwei Maßnahmen zur Ankurbelung der notleidenden Wirtschaften vor.

Das Gespräch führte Peter Kapern | 28.05.2013
    Peter Kapern: In Spanien liegt die Arbeitslosenquote der jungen Menschen bei 55 Prozent, in Italien bei 40 und in Griechenland liegt der Anteil erwerbloser Jugendlicher bei unfassbaren 70 Prozent. Diese Zahlen sind mehr als nur Ausdruck einer traurigen wirtschaftlichen Lage, diese Zahlen stehen für echten sozialen Sprengstoff. Denn solche Erwerbslosenquoten können langfristig wohl kaum ohne Auswirkungen auf die Stabilität einer Gesellschaft und einer Demokratie bleiben. Das wissen auch Europas Politiker – sagen sie zumindest –, doch allzu viel ist ihnen bislang im Kampf gegen die grassierende Jugendarbeitslosigkeit noch nicht eingefallen. Heute gibt es ein Spitzentreffen in dieser Angelegenheit in Paris, das – so die vollmundige Ankündigung – konkrete Vorschläge zur Behebung der Misere produzieren soll. Mit am Tisch sitzen wird auch Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments. Guten Morgen!

    Martin Schulz: Guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Schulz, eine Jugendarbeitslosenquote von 70 Prozent wie in Griechenland – können Sie unseren Hörern erklären, was das für eine Gesellschaft und einen Staat bedeutet?

    Schulz: Das ist, wie Sie richtigerweise gesagt haben, Sprengstoff für das soziale Gewebe einer Gesellschaft. Und deshalb ist nach meinem Dafürhalten der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit nicht erst seit heute, sondern seit Jahren das Topthema, und wir haben uns im Europäischen Parlament mit dem Thema seit vielen Jahren intensiv befasst – ich habe, seit ich Präsident des Europaparlaments bin, seit Januar 2012, in jeder Rede, die ich vor dem Europäischen Rat der Regierungschefs gehalten habe, auf dieses Thema hingewiesen und festgestellt, dass mit einer Schrecksekunde von mehreren Jahren offensichtlich jetzt ein paar aufgewacht sind und das Thema erkannt haben. Denn das ist ja ein Thema, das ist dazu angetan, eine ganze verlorene Generation zu produzieren.

    Kapern: Bevor wir auf die Rolle der Politik und der Politiker zu sprechen kommen, noch eine Frage zu den betroffenen Menschen: Sind Sie eigentlich erstaunt darüber, mit welchem Langmut die jungen Menschen in den Südländern der Europäischen Union das ertragen, außer ein paar Demonstrationen keine heftigen Reaktionen?

    "Sie haben 700 Milliarden Euro für das Bankenrettungssystem – sagen Sie mir doch mal, wie viel Sie für mich haben."
    Schulz: Ich bin nicht nur erstaunt über den Langmut, sondern ich bin zutiefst beeindruckt von der Disziplin und übrigens auch der Vernunft, der Überlegtheit, mit der da viele junge Leute an ihre Lebenssituation, die sehr dramatisch ist, herangehen. Ich habe mir das ja angeschaut, ich war in Athen, ich war in Rom, ich war in Madrid, viele junge Männer und Frauen in Madrid getroffen in den letzten Jahren, ich bin zu denen gefahren, auch nach Lissabon, habe mit denen diskutiert und festgestellt, dass ganz viele von denen nicht ihre eigene Regierung da kritisieren, nicht die EU kritisieren oder wen auch immer, sondern sehr konkrete Fragen stellen, und eine der konkretesten Fragen, die mir gestellt worden ist, und die mich bis heute wirklich umtreibt, ist folgende Frage einer jungen Frau mit zwei akademischen Abschlüssen, arbeitslos, die mir gesagt hat: Sie haben 700 Milliarden Euro für das Bankenrettungssystem – sagen Sie mir doch mal, wie viel Sie für mich haben.

    Und die Antwort, die ich ihr geben konnte, war, dass die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union für die nächsten sieben Jahre sechs Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im EU-Haushalt zur Verfügung stellen wollen. Ich wiederhole die Zahlen noch mal: 700 Milliarden sind Garantien für das Bankensicherungssystem, sechs Milliarden für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, das ist weniger als ein Prozent. Ich will es mal so zusammenfassen: Wenn wir nicht begreifen, dass unsere junge Generation mindestens so systemrelevant ist wie Banken, dann weiß ich nicht, wie lange dieser Langmut noch anhält.

    Kapern: Damit haben Sie ja dieses Drama dieses kleinen Hilfspakets noch gar nicht umfassend beschrieben, Herr Schulz, denn zur Wahrheit gehört auch, dass dieses Geld noch gar nicht abgeflossen ist, dass nicht mal Einigkeit besteht unter den Regierungen, wie es verwendet werden soll.

    Schulz: Ja, wir haben eine Menge konkreter Vorschläge gemacht – Sie haben völlig recht, es gibt nicht nur keine Einigung, sondern es gibt da häufig auch gar keine Vorstellung, wie das gehen soll. Und was mich ein bisschen ärgert, ist, dass die Vorstellung, man könne mit dem Einladen von jungen Spanierinnen und Spaniern nach Deutschland, dass die dort Arbeit finden, das dauerhafte Problem lösen in Spanien. Ganz im Gegenteil: Wenn also Leute hingehen und Überlegungen anstellen, mehrere Tausend solcher Arbeits- oder Ausbildungsplätze für die Spanierinnen und Spanier in Deutschland zur Verfügung zu stellen, ...

    Kapern: Damit meinen Sie die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen.

    Schulz: ... dann hat man ja, dann verstärkt man ja eines der größten Probleme, nämlich den Verlust der richtig gut qualifizierten Leute in einem Land, das dauerhaft, wenn es wirtschaftlich wieder auf die Füße kommen soll, genau diese jungen Leute braucht. Das ist völlig kontraproduktiv, ich werde mich auch, sollte das hier in Paris diskutiert werden, nicht dafür aussprechen, sondern ganz im Gegenteil, wir müssen doch Überlegungen anstellen, wie wir die Wirtschaft in diesen Ländern wieder ans Laufen bekommen. Und da gibt es sicher auch Ideen, über die man diskutieren muss.

    Kapern: Was bringt dieser Gipfel heute in Paris?`

    Schulz: Ja, das ist ein Meinungsaustausch, es ist ja gut, wenn sich Leute treffen, die Ideen vortragen wollen. Ich werde mir heute die Mühe machen, noch mal zu wiederholen, was ich seit mehreren Jahren in unterschiedlichen Funktionen auf der europäischen Ebene gesagt habe, zum Beispiel für Spanien. Eines der größten Probleme mittlerer und kleinerer Unternehmen in Spanien – das sind insbesondere die mittleren und kleinen Unternehmen, die die meisten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen –, eines der größten Probleme ist nicht, dass die keine Arbeit hätten oder keine Ideen, aber die haben keinen Zugang zu Krediten, die kriegen keine Kredite, weil, das spanische Bankensystem leiht kein Geld aus, fremde Banken gehen nicht in dieses Land, um Geld zu verleihen, das heißt, die Kreditklemme ist eines der größten Probleme, die wir überwinden, das wir überwinden müssen. Zweitens, ich glaube, dass die Mittelmeerunion, das heißt, der Handel und Austausch von Dienstleistungen und Produkten mit dem nördlichen Teil Afrikas eine große Chance für den südlichen Teil Europas ist. Die Transformationsstaaten des nördlichen Afrika, also da, wo der sogenannte Arabische Frühling stattgefunden hat, die müssen stabilisiert werden, weil das sind ganz wichtige Märkte und ganz wichtige Handelspartner für die Südschiene Europas. Wann fangen wir endlich an, über die Mittelmeerunion zu reden? Oder der Freihandel mit Lateinamerika ist gerade für die iberische Halbinsel von größter Bedeutung, also der Handel mit Argentinien, mit Brasilien, ist gerade traditionell in diesem Ländern ein großes Potenzial, und deshalb, glaube ich, gibts Chancen, dass die Wirtschaft dort wieder auf die Füße kommt, aber wenn sie dann auf die Füße kommt, wenn es dann wieder eine wirtschaftliche Erholung gibt, dann sitzen die gut qualifizierten Ingenieure, wie der Herr Martinez, den Sie gerade gezeigt haben, in Deutschland, würden aber in Spanien gebraucht, deshalb muss man da, glaube ich, sehr vernünftig mit umgehen.

    Kapern: Herr Schulz, ganz kurz zum Schluss noch eine Frage zu einem anderen Thema. Die EU-Außenminister sind in der vergangenen Nacht beim Versuch gescheitert, sich über eine Fortsetzung des Waffenembargos gegen Syrien zu einigen. Ist das mal wieder ein Niederschlag für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – jeder macht jetzt, was er will?

    Schulz: Es gibt sie ja nicht, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, es gibt sie im Vertrag, da ist sie angelegt, aber wir nehmen ja ein ums andere Mal zur Kenntnis, dass es einfach einheitliche Linien nicht gibt, weil die Interessenlagen einzelner Mitgliedsländer der EU so unterschiedlich sind, dass sie in dieser häufig nicht zu einer Einigung kommen. Was die Waffenlieferung an die Opposition angeht, sollten wir uns in einem Punkt allerdings auch keine Illusionen machen: Diese Opposition ist kein einheitlicher Block, sondern besteht aus vielen Gruppen, und innerhalb dieser Opposition gibt es Gruppen, die ideologisch, glaube ich, den Leuten nahestehen, die gerade in London oder hier in Paris aktiv geworden sind mit ihren Bluttaten, deshalb ist das sehr, sehr differenziert zu betrachten, und ist jetzt mal auf eine Zeit nach einer eventuellen Friedenskonferenz zu verlagern. Das ist vielleicht kein befriedigender Kompromiss, aber möglicherweise ein Akt der Vernunft.

    Kapern: Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Schulz, danke für das Gespräch, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag nach Paris!

    Schulz: Vielen Dank, Herr Kapern, tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.