Dienstag, 19. März 2024

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Schulzeit-Verlängerung
"Karrieren, die später zu hohen Sozialkosten führen"

Was kann die Gesellschaft tun, damit auch Problemschüler eine Chance bekommen? Längere Schulzeiten für Jugendliche schaffen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, forderte Wirtschaftsforscher Axel Plünnecke im Dlf. Auch Flüchtlinge benötigten mehr Bildung.

Axel Plünnecke im Gespräch mit Stephanie Gebert | 21.06.2018
    Kinder spielen Ball auf dem Schulhof einer Schule im Bezirk Kreuzberg in Berlin im März 2011. Mehr als 70 Prozent der Kinder hier haben einen Migrationshintergrund.
    Benachteiligte Schüler bräuchten zusätzliche Förderung und Unterstützung, so Axel Plünneke im Dlf (picture alliance / Wolfram Steinberg)
    Stephanie Gebert: In Deutschland herrscht Schulpflicht, das ist unbestritten. Wie lange die Pflicht aber gilt, da gibt es, wie so oft in diesem föderalen Deutschland, in Bayern andere Regeln als in Bremen. Das will das Institut der Deutschen Wirtschaft ändern. Hier ist die Forderung, Deutschland brauche eine einheitliche Regel, und zwar mit einer Schulpflicht bis zum 21. Lebensjahr. Dabei geht es den Unternehmern um zwei ganz spezielle Personengruppen: Erstens die Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, und zweitens Flüchtlinge. Die sollen länger in den Unterricht und so dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben. Axel Plünnecke ist Bildungsexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft. Herr Plünnecke, erklären Sie uns das mal: Warum reichen zehn Jahre aus Ihrer Sicht nicht mehr aus?
    Axel Plünnecke: Ja, wir haben seit wenigen Jahren wieder eine steigende Zahl von jungen Erwachsenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Und wir sehen in den Schulen auch wieder einen steigenden Anteil von 15-Jährigen beispielsweise, die nicht die Grundkompetenzen erreichen, die zur Risikogruppe gehören. Und viele von denen haben auch schon einige Schulklassen wiederholt, sind dann, wenn sie die Schule verlassen, nicht mehr automatisch in dem System, um weiter gefördert zu werden. Und hier ist es wichtig, diesen Personen, die es schwer haben, eine Ausbildungsreife zu erreichen, ein Angebot zu machen, dass sie weiter gefördert werden und dass sie auch das Anrecht darauf haben, bis zum Alter von 21 weiter systematisch gefördert zu werden, damit wir die Bildungsarmut unter jungen Erwachsenen reduzieren.
    "Ein Teil der Jugendlichen taucht ab"
    Gebert: Heißt also, die Betroffenen landen in der Perspektivlosigkeit, was nur ein hartes Schicksal für sie selbst ist. Aber das hat auch Folgen für die Gesellschaft.
    Plünnecke: Ja, sicherlich. Ein Teil der Jugendlichen taucht ab oder ist später dann in Förderkulissen unterwegs. Da entstehen hohe Sozialausgaben, Sozialkosten, und daher rentiert es sich auch für den Staat, in die Förderung der Berufsfähigkeit, der Ausbildungsreife zu investieren, damit diese jungen Menschen später in Ausbildung kommen, als Fachkräfte am Arbeitsmarkt arbeiten können und entsprechend auch mehr Steuern und Sozialabgaben leisten.
    Gebert: Gucken wir mal, was das Ganze konkret bedeutet. Die Idee ist ja, die in berufsvorbereitende Kurse zu stecken. Was soll da gelehrt werden, was soll da Ziel sein?
    Plünnecke: Wir haben eine ganze Menge an Evaluationen und auch Fortschritte in dem Bereich. Es gibt Einstiegsqualifizierungen für Jugendliche, die sehr gut funktionieren. Im Übergangssystem gibt es auch Programme speziell für Flüchtlinge, für Geflüchtete, in denen man über Sprachförderung, über Berufsorientierung erste Bausteine schafft, damit sie später die Möglichkeit haben, eine Ausbildung zu beginnen. Und diese Investitionen lohnen sich langfristig, denn damit steigt die Chance, dass diese Menschen später auch einen Beruf lernen können und als Fachkräfte auch mit zur Fachkräftesicherung beitragen.
    "Viele fallen durchs Sieb"
    Gebert: In Berlin wird über die längere Berufsschulpflicht schon diskutiert politisch. Die Arbeitssenatorin Elke Breitenbach von der Linkspartei ist aber dagegen und führt zwei Argumente an, nämlich erstens, Pflichtschuljahre kosten uns weiteres Geld - sie haben es gerade selbst gesagt, man muss investieren -, und der Zwang bringt eigentlich nichts. Was können Sie dem entgegenhalten?
    Plünnecke: Man muss schon genau hinschauen, ob das freiwillige System gut funktioniert. Und die Beobachtungen, die wir da machen, ist, dass doch viele durchs Sieb fallen, viele dann in anderen Karrieren landen, die später zu hohen Sozialkosten führen. Und da ist doch der engere Blick auf diese jungen Menschen und die doch gezieltere nachhaltige Förderung, meinen wir, der richtige Weg, und daher lohnen sich diese Investitionen auch langfristig für den Staat, indem er Sozialkosten auf Dauer reduzieren kann und Einnahmen für Steuern und Sozialabgaben erhöhen kann.
    Gebert: Jetzt kennen wir ja landauf, landab das Problem, es fehlen die Lehrer an allen Ecken und Enden. Das ist auch bei den Berufsschulen nicht anders. Wer also sollte diesen zusätzlichen Unterricht stemmen?
    Plünnecke: Hier ist es wichtig, mehr junge Menschen auch für das Lehramt zu begeistern. Wir haben in der Vergangenheit den Fehler gemacht, über Jahre zu wenig eingestellt zu haben. Wir haben in einigen Bundesländern, gerade in den neuen Ländern, teilweise bis zu 40 Prozent der Lehrkräfte, die über 55 Jahre alt sind, in den nächsten zehn Jahren ausscheiden. Hier gilt es ganz dringend, mehr in die Qualifikation von Studierenden in den Bereichen zu investieren. Mehr junge Menschen für das Lehramt, was ein sehr toller Beruf ist, zu begeistern, um damit auch über Seiteneinstiegsprogramme, weil es, glaube ich, gar nicht anders zu stemmen ist, das Angebot an Lehrkräften zu erhöhen.
    Gebert: Sagt Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft, das fordert eine längere Schulzeit für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, und für Flüchtlinge. Warum, hat er uns erläutert hier in "Campus & Karriere".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.