Dienstag, 19. März 2024

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Schuster (CDU) zu Jamaika-Sondierungen
"Scheitern, wenn wir die Begrenzung nicht reinkriegen"

In den Sondierungsgesprächen ist die Flüchtlingspolitik ein großer Streitpunkt - vor allem zwischen der Union und den Grünen. Der CDU-Politiker Armin Schuster bekräftigte im Dlf den Standpunkt seiner Partei: Von einer Begrenzung des Zuzugs würde sie keinesfalls abrücken. "Es gibt Punkte, wo die Republik spüren muss, wer diese Wahl gewonnen hat."

Armin Schuster im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.11.2017
    Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster am 13. 2. 2017 nach einer Sitzung des Innenausschuss des Deutschen Bundestags.
    Wenn die Grünen keine Zugeständnisse in der Asylpolitik machten, wäre das "ein Knock-out-Faktor", sagte CDU-Abgeordneter Schuster im Dlf (imago / Christian Ditsch)
    Martin Zagatta: Bei den Gesprächen steht vor allem die völlig unterschiedliche Vorstellung in der Flüchtlingspolitik entgegen, Vorstellungen von CSU und Grünen vor allem zum Familiennachzug für Flüchtlinge, die nur eingeschränkten Schutz genießen. Für diese Flüchtlinge ist der Familiennachzug ausgesetzt, was die Grünen unbedingt ändern wollen und was die Union unbedingt beibehalten will, auch der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster, bisher der zuständige Obmann im Innenausschuss und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Schuster!
    Armin Schuster: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Schuster, falls die Koalitionsverhandlungen jetzt an diesem Punkt scheitern, also jetzt erst einmal diese Sondierungsgespräche, sind Sie dann einer der Hauptschuldigen?
    Schuster: Ich würde jetzt gar nicht von Schuldigen sprechen, weil ich glaube, dass bei aller Ungeduld, die wir jetzt alle haben, übrigens die Unterhändler auch, dass es zu Ende gehen muss, möchte ich doch mal alle wirklich parteiübergreifend auch loben, auch wenn es lange dauert.
    Je besser ein Koalitionsvertrag am Ende ist, desto besser laufen auch die vier Jahre. Und deswegen ist jeder Tag, den die da gerade investieren und hart verhandeln, für mich noch gut investierte Zeit. Sie haben sich ja selbst die Deadline Sonntag gestellt. Von daher gibt es eigentlich keinen Schuldigen in dem Sinne, weil du hast halt die Aufgabe – jede Partei muss nach Hause kommen können und muss die Grundprinzipien auch vertreten haben.
    Was ich schön finde, ist – ich hoffe, die Menschen draußen im Land bemerken das –, wir kriegen oft gesagt, ach, ihr seid doch alle, es ist doch alles das Gleiche bei euch. In der parlamentarischen Gesellschaft erlebt man seit vier Wochen, dass wir uns doch sehr stark unterscheiden. Zum Glück. Gutes Urteil für die Demokratie eigentlich, dass wir so lange ringen müssen.
    Zagatta: Auch wenn das schön ist, aber die so völlig gegensätzlichen Positionen zum Familiennachzug, die sind ja schon so lange bekannt, von Anfang an der Gespräche. Wieso gibt es dann da bisher keine Annäherung, keinen Kompromiss? So zumindest hören wir das ja.
    Schuster: Das ist, glaube ich, auch Verhandlungstaktik. Sagen wir mal, das sind auch kleine Machtproben, die man dann am Verhandlungstisch macht. Und jetzt muss ich halt für die Union sagen, wir sind bereit, und das muss ja jeder sein, bei dem einen oder anderen Thema Fäuste in der Tasche zu machen. Ich habe gestern in der Fraktion gesagt, notfalls nehme ich auch noch ein Beißholz. Und ich wusste …
    Atmender Richtwert: "Wir haben ein tolles Prinzip geschaffen"
    Zagatta: Und das gilt dann auch für den Familiennachzug?
    Schuster: Eben da komme ich jetzt drauf. Es gilt zum Beispiel in der inneren Sicherheit. Da bin ich überhaupt noch nicht zufrieden, da haben unsere Unterhändler bis jetzt noch immer das Schlimmste verhindert, weil Grüne und SPD vieles zurückdrehen wollten. Aber gestalterisch sind wir mit denen noch nicht weit gekommen. Da mache ich aber Fäuste in der Tasche, weil ich weiß, man muss in so einer Koalition auch Zugeständnisse machen.
    Wo wir das nicht tun werden, ist beim Thema Asylpolitik, und dort nicht in erster Linie der Familiennachzug, das greift mir hier zu kurz, sondern in der Frage: Werden wir in Deutschland Flüchtlingszugang steuern, ordnen und begrenzen? Das ist die entscheidende Frage, wo wir auch noch keine Einigkeit haben. Die liegt noch oberhalb vom Thema Familiennachzug. Da können wir nicht anders, weil es ein Unionskompromiss ist, den wir gefunden haben, der aus meiner Sicht schon so kooperationsfähig gestaltet war – ich hätte es mir auch knackiger vorstellen können …
    Zagatta: Sie meinen da jetzt, wenn ich Sie recht verstanden habe, diesen Richtwert von 200.000 Flüchtlingen im Jahr, den man jetzt nicht mehr Obergrenze nennen darf, was die CSU eigentlich wollte.
    Schuster: Das kann ich Ihnen auch erklären. Wir haben ein ganz tolles Prinzip geschaffen, ein Angebot an alle Parteien. Wir haben gesagt, wir nennen ihn atmenden Richtwert deshalb, weil er im Deutschen Bundestag mit politischer Mehrheit verändert werden kann. Das heißt, wir meißeln nicht eine Zahl in Stein, sondern wir fangen mit einer Zahl an – das war jetzt 200.000 –, aber wir bieten allen Parteien die parlamentarische Möglichkeit – das nenne ich Atmen –, dass man diesen Wert verändern darf.
    "Am Ergebnis spüren dürfen, dass die Union immer noch die Hand führt"
    Zagatta: Herr Schuster, das kennen die Grünen ja wohl auch, wenn ich das recht verstanden habe. Aber Sie sagen jetzt – nennen wir diese 200.000 jetzt Richtwert, damit es darüber keinen Streit gibt –, darauf haben sich CSU und CDU nach einem ganz langen Streit geeinigt. Warum sollen sich die Grünen jetzt daran halten?
    Das wäre doch genauso, wie wenn sich jetzt der linke und der rechte Flügel der Grünen auf was einigen, und die sagen Ihnen dann, das ist ja schon ein Kompromiss, also akzeptiert das mal.
    Schuster: Das kann ich Ihnen sagen: Wir hätten die Lösung auch ganz anders finden können zwischen CDU und CSU, also ich sage mal, noch konservativer. Für mich war es der Versuch, eine salomonische Lösung zu finden, den gordischen Knoten zu durchschlagen und den anderen Parteien ein attraktives Angebot zu machen, gerade weil er atmet.
    Die FDP hat das sofort verstanden und hat, glaube ich, Zustimmung signalisiert. Und ich glaube insgeheim auch, dass die Grünen am Ende dem zustimmen können. Ich würde gern den Grünen auch sagen, ich weiß, das ist natürlich für kleine Parteien, also sagen wir so Zehn-Prozent-Parteien, in Koalitionsverhandlungen immer eine günstige Position: Man verhandelt auf Augenhöhe, so als hätte man selbst auch 35 Prozent. Das ist aber nicht so.
    Deswegen sind wir, ich glaube, das kann man in den Koalitionsverhandlungen erkennen, verhandlungsbereit auch beim Klima et cetera. Aber es gibt Punkte, wo die Republik spüren muss, wer diese Wahl gewonnen hat. Wir haben zwar nicht gut gespielt, aber wir haben die Wahl klar gewonnen. Wir sind deutlich stärker als die beiden anderen, und ich glaube, man muss am Ergebnis nachher auch spüren dürfen, dass die Union hier immer noch die Hand führt.
    Familiennachzug: "Das würde unsere Aufnahmefähigkeit übersteigen"
    Zagatta: Sie sagen jetzt Union. Sie haben auch angedeutet, beim Familiennachzug möglicherweise doch kompromissbereit zu sein. Gilt das denn auch für die CSU? Man hat ja so ein bisschen den Eindruck, CDU und Grüne hätten sich vielleicht schon längst auf einen Kompromiss geeinigt, mit der CSU ist das schwierig. Ist die CSU so was wie der Problembär bei diesen Jamaikagesprächen?
    Schuster: Nein, das würde ich jetzt so nicht sehen. Ich kann es jetzt auch sagen, weil ich es in der Fraktion gestern auch gesagt habe: Die mediale Zuspitzung auf die CSU, die gefällt mir jetzt nicht. Die braucht keine Hilfe von mir. Ich muss noch mal dran erinnern: Wir verhandeln wirklich Schulter an Schulter, CDU und CSU in dieser Frage.
    Volker Kauder und wen immer ich für uns aufzählen könnte, sind exakt in den Verhandlungen mit Horst Seehofer, Andreas Scheuer auf einer Linie. Und deswegen steht da nicht die CSU gegen die Grünen, sondern die Union. Und das will ich halt auch noch mal sagen: Dieses Thema Familiennachzug wird ja jetzt so in einem Brei herumgerührt.
    Das Gros der Asylbewerber, die wir in Deutschland haben, die also anerkannt sind, erhält bereits Familiennachzug, sogar nach einem privilegierten Modell. Eigentlich müssten die Asylbewerber, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder nach dem Grundgesetz anerkannt sind, für ihre nachziehenden Familienangehörigen selbst sorgen können. Sie müssten einen Arbeitsplatz haben et cetera. Das haben wir zu deren Gunsten einfach mal suspendiert und haben gesagt, nein, diese Pflicht müssen sie nicht erfüllen. Wer bei uns anerkannt ist nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder nach dem Grundgesetz, darf seine Familie nachziehen.
    Es geht also ausschließlich um die Frage, können wir es auch noch für die, die wir nur als subsidiär schutzbedürftige anerkennen, also nicht als Flüchtlinge, die also, sobald ihr Problem zu Hause erledigt ist, wieder zurück müssen. Und da behaupten wir jetzt das, was wir seit zwei Jahren sagen: Dass das unsere Aufnahmefähigkeit bei Weitem übersteigen würde.
    Zagatta: Aber ist das so? Da geht es doch eigentlich um eine viel geringere Zahl. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnet da für den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz mit 60- bis 70.000 Leuten. Das wäre doch verkraftbar. Das ist doch irgendwie ein Nebenkriegsschauplatz, oder sehe ich das falsch?
    Schuster: Wenn ich jetzt mit Ihnen – der Deutschlandfunk gibt mir sowieso immer sehr viel Interviewzeit, das ist sehr angenehm, dass man mit Ihnen noch ausführlich reden darf. Aber das reicht jetzt nicht, um Ihnen zu erklären, was bei der IAB alles nicht beachtet wurde. Ich hätte mindestens vier, fünf Punkte, wo ich bei der Studie so meinen Zweifel habe. Nehmen Sie es mir nicht böse – wir orientieren uns an einer Studie, an einer Erhebung aus der Praxis, direkt im BAMF, die sehr intensiv gemacht wurde, also im Bundesamt für Migration, und an einer sehr seriösen seitenlangen Berechnung des Bundesinnenministeriums.
    Und das alles haben auch die Grünen. Wir müssen uns nicht auf ein fernes Institut beziehen, das irgendwelche Befragungen macht. Wir haben seriöse Erhebungen als Datenbasis in allen Parteien zur Verfügung gestellt, was das BAMF aus seinen Befragungen vor Ort, aus seinen Erfahrungen mit Familiennachzug – die genehmigen es ja auch, die sehen es ja auch –, was die an Erfahrung gesammelt haben. Und da muss man einfach sagen, ich sage mal jetzt round-about, ich könnte jetzt verschiedene Gruppen aufmachen …
    Keine Zugeständnisse in der Asylpolitik: "Für mich ein Knock-out-Faktor"
    Zagatta: Müssen wir gar nicht, Herr Schuster, ich zweifle die Zahlen auch gar nicht an. Aber ich verstehe Sie richtig, Sie gehen davon aus, an diesem Familiennachzug, an diesem Thema werden die Koalitionsgespräche nicht scheitern?
    Schuster: Sie könnten daran scheitern, wenn wir die Begrenzung nicht reinkriegen. Für mich ist es ein Knock-out-Faktor, wenn wir die Asylpolitik nicht hinkriegen, wie die Union sie sich vorstellt.
    Zagatta: Also eine Obergrenze beim Familiennachzug.
    Schuster: Ja. Ich glaube aber, dass wir uns mit den Grünen am Ende einigen werden. Davon bin ich ziemlich überzeugt, dass die noch ein Stück aufeinanderrücken, weil die Grünen verstehen werden, dass wir nicht in allen Zugangsarten für Flüchtlinge naiv einfach eine Open-Door-Politik machen können. Das wollen wir nicht. Das wollen auch nicht die Menschen im Land.
    Die Menschen wollen sehen, dass es geordnet, gesteuert abläuft. Und wenn wir eine Grenze erreichen, die eben auch dann Wirkung zeigt, das ist Ordnungspolitik. Steuerungspolitik ist vor allen Dingen das, was die Menschen von der Union verlangen, und da müssen wir liefern.
    Zagatta: Sagt der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. Herr Schuster, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch!
    Schuster: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.