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Schutz per Gesetz
Frankreichs Whistleblower sollen mehr Unterstützung erhalten

Ein Kinofilm, zahlreiche Bücher, Reportagen in allen Medien - sogenannte Whistleblower erhalten in Frankreich viel Aufmerksamkeit. Nur Schutz genossen sie wenig. Ein neues Gesetz soll das nun ändern. Nach Ansicht der Antikorruptionsorganisation "Transparency International" ist es geradezu vorbildlich.

Von Bettina Kaps | 01.12.2016
    Stéphanie Gibaud steht vor einen Plakat.
    Stephanie Gibaud zeigte ihren Arbeitgeber wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung an, aber die Justiz reagierte nicht. (Bettina Kaps)
    Eine Frau schaut von der Litfaßsäule. Sie sitzt vor Akten, bietet einem unsichtbaren Gegner entschlossen die Stirn. Das Plakat wirbt für den neuen Kinofilm "La fille de Brest". "Das Mädchen aus Brest" erzählt den Kampf der Lungenärztin Irène Frachon gegen den französischen Pharmariesen Servier. Die Ärztin aus der Provinz hat nachgewiesen, dass das Medikament "Mediator", ein Appetitzügler, zum Tod führen kann. Sie hat dazu beigetragen, dass das Medikament 2009 verboten wurde. Frachon hat ihren Posten im Universitätskrankenhaus von Brest nicht verloren, sie hat auch keine Prozesse am Hals. Damit ist sie eine große Ausnahme unter den Whistleblowern in Frankreich. "Ich bin privilegiert. Wie ich das geschafft habe? Die Antwort ist schrecklich: 2.000 Todesopfer. Bei wirtschaftlichen Verbrechen oder Umweltskandalen ist der Schaden oft nicht so klar sichtbar. Aber ein Arzneimittelskandal mit vielen Toten, das setzt die Politiker unter wahnsinnigen Druck."
    Frachon wurde von ihren Kollegen und Vorgesetzten im Krankenhaus unterstützt. Auch das erleben Informanten eher selten.
    Nur wenige Whistleblower erhalten für ihr Tun Unterstützung
    Stéphanie Gibaud ist das Gegenbeispiel zur Ärztin Frachon: Die 51-jährige Marketingspezialistin hat der Schweizer Großbank UBS die Stirn geboten und einen enormen Steuerskandal ins Rollen gebracht. Dafür büßt die allein erziehende Mutter bis heute. "Seit Februar 2012 habe ich kein Einkommen mehr. Ich lebe von der Sozialhilfe, werde wohl bald auf der Straße sein und dann vermutlich von meinen Kindern getrennt werden, weil ich kein Geld mehr habe."
    Vor acht Jahren gab es in der Pariser UBS-Filiale, wo Gibaud tätig war, eine Hausdurchsuchung. Kurz davor wurde den Angestellten befohlen, Dateien von Kunden und Kundenberatern zu löschen. Nur Gibaud weigerte sich. "Von diesem Augenblick an hat sich mein Leben komplett gewandelt. Meine Vorgesetzte hat mich isoliert und gemobbt. Ich habe meine Direktoren aufgesucht, habe bei Sitzungen gefragt: 'Handelt es sich um Steuerbetrug?' Es hat alles nichts genutzt, mein Leben wurde zur Hölle."
    Stephanie Gibaud zeigte ihren Arbeitgeber wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung an, aber die Justiz reagierte nicht. Der Skandal flog erst drei Jahre später auf, durch das Enthüllungsbuch eines Journalisten. Seither ermittelt ein Untersuchungsrichter. Die Hinweisgeberin aber wurde gefeuert und niemand will sie wieder einstellen. Inzwischen hat auch Stéphanie Gibaud ein Buch über die Affäre veröffentlicht, mit dem Ergebnis: "…. dass UBS mich verklagt hat. Im Februar muss ich vor Gericht beweisen, dass ich die Wahrheit sage. Obwohl andere Richter UBS wegen Steuerhinterziehung den Prozess machen wollen. Die Bank will mich klein kriegen. Dagegen kann ich nur mein bisschen Energie und mein Gewissen setzen. Es zermürbt mich, das dauert nun schon zehn Jahre lang."
    Ein Gesetz soll Hinweisgeber in Zukunft besser schützen
    So etwas will der Staat in Zukunft verhindern. Die Nationalversammlung hat Anfang November ein Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern verabschiedet. Es sei eins der fortschrittlichsten in der Welt, sagt Nicole Marie Meyer von der Antikorruptionsorganisation "Transparency International". "Es bietet Hinweisgebern breiten Schutz, wenn Schaden oder Bedrohung des Gemeinwohls im Spiel ist. Informanten dürfen beruflich nicht benachteiligt werden. Sie erhalten Anspruch auf finanzielle Unterstützung und können sich Gerichtskosten vorstrecken lassen. Wer Whistleblower behindert oder sie missbräuchlich mit Verleumdungsklagen überzieht, dem drohen erhöhte Strafen."
    Das Gesetz muss jetzt noch eine letzte Hürde nehmen: Der konservativ regierte Senat hat Einspruch vor dem Verfassungsrat eingelegt. Die zweite Kammer ist der Ansicht, dass der Schutz für die Hinweisgeber zu ungenau und zu breit formuliert ist und dadurch private und staatlichen Interessen beeinträchtigt werden können. Das Urteil der Verfassungsrichter wird dieser Tage fallen.
    Selbst wenn das Gesetz unverändert in Kraft treten kann, hat es für die Whistleblowerin Stéphanie Gibaud doch eine große Schwäche: "Mich überrascht, dass man laut Gesetz soll man zuerst intern aktiv werden. Ich bin absolut dagegen. Wenn man Missstände aufdecken will, muss man sich eine andere Arbeit suchen, erst danach kann man anonym Alarm schlagen. Das ist die einzige Möglichkeit, sich zu schützen."