Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Schwan: Friedensnobelpreis an EU ist Ehrung und Ermutigung

Der Friedensnobelpreis für die EU sei eine Ermutigung, die Krise zu einem guten Ende zu bringen, meint Gesine Schwan (SPD), Präsidentin der Humboldt Viadrina School of Governance. Die Krise dürfe die EU nicht in eine Regression führen. Europa könne aber nur als "Europa des bürgerschaftlichen Engagements" einen Ausweg finden.

Gesine Schwan im Gespräch mit Christine Heuer | 13.10.2012
    Christine Heuer: Das war gestern ein großer Tag für die Europäer. Wir bekommen den Friedensnobelpreis. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt Viadrina School of Governance und bekannten SPD-Politikerin. Guten Morgen, Frau Schwan!

    Gesine Schwan: Guten Morgen, Frau Heuer!

    Heuer: Das ist ja ein Preis für alle 500 Millionen Europäer. Fühlen Sie sich auch ganz persönlich geehrt?

    Schwan: Ich fühle die Anstrengung geehrt von denen, die sich dafür einsetzen. Ich bin aber vor allen Dingen dankbar und auch voller Freude darüber, dass daran erinnert wird, und ich glaube, das ist sehr wichtig, welche große Leistung in dieser Europäischen Union über Jahrzehnte hinweg liegt. Einerseits von den politischen Initiatoren und vielen auf den Entscheidungsebenen, aber eben auch ganz in der Gesellschaft, bei vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen, bei Städtepartnerschaften und so weiter.

    Aber ich habe auch ein kleines bisschen das Gefühl, dass die Dramatik der Situation das Nobelpreiskomitee dazu animiert hat, den Preis an die Europäische Union zu geben. Das heißt, es ist einerseits eine Ehrung und eine Auszeichnung, aber es ist auch der Versuch, zu ermutigen, dass wir vernünftig mit dieser Krise umgehen und sie zu einem guten Ende bringen.

    Heuer: Wozu genau will uns denn das Nobelkomitee dann ermutigen?

    Schwan: Ich glaube, dass wir nicht einfach nur nach innen, jedes Land nach innen gucken – wir haben ja gesehen, dass die Krise in vielen Ländern, aber auch sehr deutlich in Deutschland, wo es am besten geht, ziemlich nationale Reaktionen ausgelöst hat. Und das ist eigentlich Gift für die Europäische Union. Wir wollen schauen wie auch darauf zeigen, wie auch der Erweiterungsprozess, der kleine Aufstand von Schröder hat darauf hingewiesen, doch zu einer großen Bereicherung beigetragen hat. In jeder Hinsicht, nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell.

    Und sie wollen darauf hinweisen, dass Weiteres ansteht, das heißt, dieses Werk soll jetzt nicht, weil eine Krise eingetreten ist, plötzlich alle in eine Art Regression führen und dazu bringen, dass sie jetzt auf ihre kleinen Groschen gucken, sondern dass sie die geschichtliche Dimension dieser Europäischen Union sich wieder ins Bewusstsein rufen.

    Heuer: Angela Merkel, Frau Schwan, hat gestern gesagt, der Preis sei Ansporn und Verpflichtung auch für sie ganz persönlich. Dann machen wir es mal konkret: Was genau erwarten Sie bei dieser Vorlage von der deutschen Kanzlerin?

    Schwan: Ich erwarte, dass, A, jede Form von nationaler Zuordnung, rein nationaler Zuordnung der ökonomischen Probleme aufhört. Damit ist viel Unheil geschehen. Denn eine solche Krise, die in einer globalisierten Ökonomie entstanden ist, ist nicht national zuzuordnen. Wir können gar nicht mehr von rein spanischen, irischen, deutschen und so weiter Banken sprechen. Die sind alle miteinander vernetzt, und wir haben alle, auch wir Deutsche, unseren Anteil, und Institutionen, deutsche Institutionen, unseren Anteil daran. Also die Zuordnung, die nationalen Zuordnungen, die zu Beginn auch von der Kanzlerin vorgenommen worden sind und die implizit immer wieder vorgenommen werden, müssen aufhören.

    Darüber hinaus, meine ich, muss eben über dieses Auf-Sicht-Fahren gesehen werden, dass wir eine längerfristige Perspektive haben und dass wir auch nicht nur auf einer bestimmten wirtschaftspolitischen Position beharren können. Diese Sparpolitik, das ist von vielen vorhergesagt worden und allmählich sozusagen von der ganzen Welt gegen die deutsche Bundesregierung, ist zu einspurig. Die etwas zögerlichen Konzessionen an den französischen neuen Präsidenten, dass man auch Wachstumspolitik machen müsse, waren eigentlich eher verbal, denn, was da beschlossen wurde, war der Sache nach die Wiederholung von Dingen, die schon stattgefunden haben.

    Das heißt, die Grundeinstellung, dass nur die eigene Position zählt, und dass man gleichsam aus Charakterstärke nichts anderes, keinen anderen Rat, keine andere Perspektive anhören muss, die hat, finde ich, auch psychologisch die Deutschen, jedenfalls ihre Repräsentanten isoliert, und das finde ich nicht gut.

    Und man muss drittens den Deutschen immer wieder sagen, es ist nicht so, dass wir alle richtig gemacht haben und wir deswegen wunderbar dastehen. Sondern die Abhängigkeit aller von allen, sowohl in der Entstehung der Krise als auch jetzt in der Heilung, die notwendig ist, ist klar, das wird, denke ich, jetzt in der Rezession, die anhebt, ganz stark in Südeuropa, und von der wir natürlich als Exportnation abhängig sind, auch deutlich werden.

    Und in dem Maße, wie wir nicht einfach nur als wunderbare Sieger dastehen, wird auch viel mehr, glaube ich, Gerechtigkeit und Solidarität möglich sein. Und Solidarität darf nicht immer einfach verdächtigt werden als Förderung von Verantwortungslosigkeit. Das finde ich grundfalsch.

    Heuer: Zur Integration, die These stelle ich jetzt mal auf, gehört Leidenschaft, Frau Schwan. Haben Sie denn, oder man hat nicht den Eindruck eigentlich, dass Angela Merkel oder die meisten Politiker, die heute Verantwortung tragen, Europa wirklich zu ihrem Herzensthema gemacht hätten. Waren Politiker früher engagierter für Europa?

    Schwan: Das würde ich nicht total sagen, und ich finde auch, man kann nicht von einzelnen Politikern sagen wir mal eine persönliche Ausstattung oder eine Persönlichkeitsstruktur fordern, die sie nicht haben. Ich denke, Angela Merkels Stärke liegt in der Analyse. Aber in der Tat, man hat nicht den Eindruck bisher, wenn sie von Herzblut spricht, dass man dann wirklich das Herzblut fließen sieht. Aber das muss man auch gar nicht. Sie müsste einfach mehr in Alternativen denken. Es ist nicht zufällig, dass sie die Thatcher-Formulierung "Da ist keine Alternative, da gibt es keine Alternative" so übernommen hat.

    Es gibt immer Alternativen. Die können schlechter sein, aber das Diskutieren in Alternativen und dann auch wirklich dafür kämpfen, nicht nur begründen die eigene Position und dann Schluss, sondern Gegenargumente wägen, hören und da leidenschaftlich sich dann für einsetzen, das ist wichtig. Ich erinnere mich, dass Willy Brandt damals die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als notwenigen Schritt, um zu einer Aussöhnung mit Mittel- und Osteuropa zu kommen, wirklich mit Leidenschaft und argumentativ gegen viele, viele Argumente und Anfeindungen vertreten hat offensiv. Und daran würde sich dann die politische Leidenschaft zeigen.

    Heuer: Wäre das Symbol des Friedensnobelpreises stärker gewesen oder würde es stärker ausfallen, wenn der Preis nicht der gesamten Europäischen Union, sondern einem einzelnen Politiker verliehen würde, Helmut Kohl etwa oder auch Jacques Delors?

    Schwan: Ich glaube, das wäre dann eine Schwierigkeit, weil man immer irgendwelche Politiker benachteiligt. Aber es ist auch wichtig, dass, so meine ich, das Nobelpreiskomitee daran gedacht hat – das kommt zwar nicht direkt zum Ausdruck in der Begründungserklärung – dass Europa nur als ein Europa des bürgerschaftlichen Engagements wirklich einen Ausweg finden kann. Europa muss durch die Teilhabe der Bürger weiterkommen, und dass gilt auch übrigens ganz konkret, denn die Problematik der Rückbeugung auf nationale Interessen liegt daran, dass die Wahlen und die Machtpotenziale aus nationalen Wählerschaften kommen, und deswegen auch die Argumentationen immer wieder sehr national ausgerichtet sind.

    Deswegen brauchen wir viele transnationale Aktionen, wir brauchen viele Initiativen von, würde ich sagen, organisierter Zivilgesellschaft, die all diese großen Themen, die uns begeben, die Regulierung der Finanzmärkte und so weiter, über nationale Perspektiven und Grenzen hinweg voranbringen. Und dieser Appell des Nobelpreiskomitees geht eben an die Bürger, also auch an diese Akteure, die jetzt, finde ich, für die Zukunft immer wichtiger werden.

    Heuer: Sie sind ja, Frau Schwan, selber eine Grenzgängerin. Sie haben sehr gute Kontakte zu Polen, unter anderem waren Sie bis 2009 Koordinatorin für die deutsch-polnische Zusammenarbeit, um nur das zu nennen. Wie nehmen denn die Polen den Preis auf?

    Schwan: Ich muss sagen, ich bin jetzt unterwegs irgendwo in Deutschland. Das konnte ich empirisch nicht sehen. Deswegen kann ich es jetzt nur vermuten. Ich nehme an, dass sie diesen Preis mit – jedenfalls eine große Mehrheit – mit großer Begeisterung aufnehmen. Und es ist übrigens interessant, wenn ich recht sehe, sind die Polen bis heute die Gesellschaft, die am meisten pro-europäisch ist. Denen ist übrigens ein großes Engagement vor Jahren, vor dem Eintritt Polens in die Europäische Union, vorangegangen, weil es ein hohes Quorum gab, es mussten mehr als 50 Prozent der Polen abstimmen bei einer Volksabstimmung für den Beitritt, und davon wiederum musste natürlich mehr als die Hälfte zustimmen.

    Und da sind die Politikerinnen und Politiker dauernd durchs Land gezogen und haben plädiert. Die Polen haben sich auch dankbar gezeigt für die Unterstützung, die ihnen übrigens gerade für die Innovation ihrer Landwirtschaft gegeben worden ist. Das wollten sie zunächst nicht gern, aber sie haben die positiven Effekte gesehen und sie sind sehr, sehr offen und positiv.

    Und ich wünschte mir, dass auch die Deutschen viel deutlicher sähen und die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker das auch viel deutlicher zeigten und sagten, wie viel wir von der Währungsunion hatten und dass das sehr viel mehr ist als natürlich auch ein problematisches Ausnutzen der Regierungen der südlichen Staaten, die zu wenig Prozent sozusagen Anleihen zu bekommen und damit nicht wirklich investiv genug umzugehen.

    Ich will damit auch sagen, dass es natürlich auch Verantwortlichkeiten von Regierungen in Spanien und so weiter gibt, aber übrigens nicht wegen der Schulden. Spanien etwa oder Irland hatten überhaupt keine überhöhte Verschuldung, sondern sind wegen der Banken in Probleme geraten.

    Heuer: Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt Viadrina School of Governance, und eine bekannte SPD-Politikerin ist sie sowieso. Frau Schwan, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

    Schwan: Ich danke Ihnen, Frau Heuer!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.