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Schwanger in Polen
Lieber mit privater Hebamme

Lange Wartezeiten und geringe Effizienz gelten als Hauptprobleme im polnischen Gesundheitssystem. Wer es sich leisten kann, wählt private Gesundheitsdienstleister - etwa die Hebamme in der Geburtsklinik. Insbesondere die gut ausgebildeten Großstadtbewohner ziehen diese dem öffentlichen System vor.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig Aster | 04.02.2020
Eine Reihe von Babybettchen in einer neuen Geburtsklinik in Krakau
Drei Optionen haben werdende Mütter in Polen für die Geburt: Privatklinik, Zubuchung einer privaten Hebamme in einem öffentlichen Krankenhaus oder kostenlose Geburt in einer öffentlichen Klinik (picture alliance/Nur Photo/Artur Widak)
Aga Ludwikowska schlendert mit ihrer Freundin Zosia lachend durch ein ehemaliges Gewerbegebiet in der Nähe der Weichsel, mitten in Krakau. Die beiden scherzen über Agas bevorstehende Geburt. Es geht um die Frage, wer sie in die Klinik fährt, wenn ihr Lebensgefährte Lukasz keine Zeit hat:
"Um ehrlich zu sein, wenn mein Freund nicht könnte, würde ich Zosia anrufen", sagt Aga. "Sie bleibt sicher cool."
"Oder falls Lukasz durchdreht", lacht Zosia, "er ist schließlich nur ein Mann."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Der polnische Patient.
Die Freundinnen biegen in eine Seitenstraße. Rechts ein Baugerüst, links eine frisch renovierte Backsteinfassade mit glänzenden Stahlbalkonen und bodentiefen Fenstern. Hier wohnt Aga. Früher war das ein Getreidespeicher, erklärt die 31-Jährige, heute sind es schicke Lofts. "Und im Erdgeschoss siedeln sich immer mehr Dienstleister an", fügt sie hinzu und deutet auf ein paar Praxis-Schilder:
"Das ist ein medizinisches Zentrum für sehr spezielle Krankheiten, eine Privatpraxis, ich bin noch nie dort gewesen", sagt Aga und steuert das trendige Café daneben an.
Gesundheitspaket im Arbeitsvertrag
Aga und Zosia machen es sich auf einem der Ledersofas bequem. Die beiden Freundinnen ordern schwarzen Tee mit Zitrone. Die zierliche Aga ist im achten Monat schwanger. Doch unter der modischen schwarzen Jacke mit den Fledermausärmeln ist davon kaum etwas zu erkennen. Die 31-Jährige zieht einen Ordner mit Laborwerten und Ultraschall-Bildern hervor. Die krisseligen Schwarzweiß-Aufnahmen zeigen ihre ungeborene Tochter. Zoya soll sie heißen.
"Da sieht sie zum ersten Mal wie ein kleiner Mensch aus, vorher ähnelte sie eher einem kleinen Hund", witzelt Aga und kramt weitere Ultraschallbilder hervor. "Meine Situation ist komfortabel. Ich bezahle meine Gynäkologin einmal im Monat. Mir ist klar, dass ich privilegiert bin. Aber wenn ich mir die ganz normalen Patienten angucke, die diese Leistungen nicht in Anspruch nehmen können..."
Aga arbeitet für ein internationales Unternehmen. Teil ihres Arbeitsvertrags ist ein sogenanntes Gesundheitspaket, das ihr ermöglicht bestimmte Privatärzte kostenlos aufzusuchen.
"Momentan haben wir so einen heftigen Wettbewerb um Arbeitnehmer, dass es wirklich zum Standard eines Unternehmens gehört, solche privaten Gesundheitspakete anzubieten. Wenn das fehlt, hat das Unternehmen keine Chance, neue Mitarbeiter zu finden."
50 Frauen im Wartezimmer
Aga reicht selbst das noch nicht. Für ihr Ungeborenes will sie die bestmögliche Betreuung. Deshalb wählt sie nicht den Frauenarzt aus ihrem Gesundheitspaket, sondern eine Gynäkologin, die sie aus eigener Tasche bezahlt, pro Besuch zwischen 35 und 50 Euro. Als einer der Labortests auf eine Infektion hindeutet, ist das erst einmal ein Schock. Toxoplasmose – für ihr Ungeborenes potentiell lebensbedrohlich. Zur Abklärung muss die 31-Jährige in die Krakauer Universitätsklinik. Es ist für Aga – seit ihrer Kindheit – der erste Kontakt mit dem öffentlichen Gesundheitswesen:
"Da waren fast 50 Frauen im Wartezimmer, wir saßen dicht an dicht. Es gab nicht genug Stühle, dafür ein paar Bänke, alles wirkte irgendwie improvisiert. Wir haben uns vielsagende Blicke zugeworfen. Aber in so einer Situation wirklich aufzustehen und sich zu beschweren und damit zu riskieren, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen – nein, das könnte Schwierigkeiten nach sich ziehen, die man nicht haben möchte."
Aga versteht, warum keine der Frauen sich beschwert hat. Ihr Freund Lukasz dagegen konnte es nicht nachvollziehen, erzählt die 31-Jährige:
"Aber er spricht als jemand, der nicht dazu verdammt ist, dort nach zwei Wochen wieder aufzuschlagen. Kann ja sein, dass ich dort in zwei Wochen wieder auf den gleichen Arzt treffe und was dann? Angst ist ein Gefühl, dass einen in dieser Situation begleitet. Und das System zu kritisieren, wenn man das schwächste Glied darin ist, ist schwierig."
Drei Minuten habe der Arzt sich schließlich für sie Zeit genommen, erinnert sich Aga. "Er hat nur ein paar Worte gesagt, ohne mich anzuschauen. Ich bekam ein Rezept für ein bestimmtes Antibiotikum und die Anweisungen wie ich es einzunehmen habe. Aber, ob es Nebenwirkungen gibt, warum ich es überhaupt nehmen soll – nichts wurde mir erklärt."
Optionen für die Geburt
Das alles erfährt sie erst hinterher, in einem ausführlichen Gespräch mit ihrer privaten Gynäkologin. Mit ihr bespricht sie auch ihre Optionen für die bevorstehende Geburt:
"Es gibt die Möglichkeit, das Kind in einer Privatklinik zur Welt zu bringen. Aber nur wenige Frauen entscheiden sich dafür, weil diese Privatkliniken nicht so viele Erfahrungen haben. Eine andere Möglichkeit ist, private Leistungen in einem öffentlichen Krankenhaus dazu zu kaufen. Das kann eine Hebamme beinhalten oder ein Einzelzimmer, in dem der Partner übernachten darf. Und die dritte Option: eine kostenlose Geburt in einer öffentlichen Klinik.
Aga hat gemeinsam mit Lukasz überlegt. Am Ende haben sich die beiden für eine Geburt in einer öffentlichen Klinik entschieden, mit Unterstützung einer privaten Hebamme. Für 1.500 Zloty, umgerechnet rund 350 Euro, wird diese die Geburt begleiten. Sparen dagegen will Aga an anderer Stelle:
"Ich könnte auch für ein Einzel-Zimmer zahlen, aber ich habe mich dagegen entschieden. Ich werde auch in einem normalen Zimmer überleben."