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Schwangerschaft, Geburt und SARS-CoV-2
Mediziner: Neugeborene immer bei der Mutter lassen

Sind schwangere Frauen durch SARS-CoV-2 besonders gefährdet? Bislang gebe es keine Hinweise darauf, sagte der stellvertretende Direktor der Erlangener Frauenklinik Alexander Hein im Dlf. Neugeborene überstünden eine Infektion "sehr gut" und sollten immer bei der Mutter bleiben - auch wenn diese infiziert sei.

Alexander Hein im Gespräch mit Lennart Pyritz | 28.07.2020
Eine Frau hält den Kopf eines Neugeborenen in den Händen.
Auch im Falle einer Infektion der Mutter mit SARS-CoV-2, sollten Neugeborene bei der Mutter bleiben, so Alexander Hein vom Universitätsklinikum Erlangen (Eyeem / Cavan Agency)
Im März wurde eine 23-jährige Frau mit Fieber und Husten in das Antoine Béclère Krankenhaus nahe Paris eingeliefert. Sie war in der 35. Woche schwanger. Im Krankenhaus wurde bei ihr eine Corona-Infektion diagnostiziert. Die Ärztinnen und Ärzte konnten außerdem zum ersten Mal nachweisen, dass das Virus in den letzten Wochen der Schwangerschaft auch von der Plazenta über die Nabelschnur auf das ungeborene Kind übertragen wurde. Wie oft eine Ansteckung auf diesem Weg stattfindet, ist noch unklar. Ebenso wie viele andere Fragen um das Thema Schwangerschaft und Corona.
Über den aktuellen Wissensstand hat der Deutschlandfunk mit Alexander Hein gesprochen. Er ist stellvertretender Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen und Leiter einer Studie zum Thema Schwangerschaft und SARS-CoV-2.
Lennart Pyritz: Müssen sich Schwangere in der Coronapandemie besondere Sorgen um sich und ihren Nachwuchs machen?
Alexander Hein: Bisher haben wir jetzt keine Hinweise darauf, dass Schwangere ganz besonders gefährdet sind durch die Pandemie und durch die Erkrankung.
Pyritz: Wenn wir jetzt einmal Schritt für Schritt den Schwangerschaftsverlauf anschauen: Gibt es bei schwangeren Frauen denn Hinweise auf spezielle Krankheitsverläufe oder Symptome?
Hein: Also, bei den Schwangeren verläuft es wie bei vielen anderen, häufig oder in den allermeisten Fällen wirklich asymptomatisch. Die scheinen da auch kein höheres Infektionsrisiko zu haben. Und wenn Schwangere dann auch wirklich erkranken, erkranken die, so wie wir das zurzeit wissen, genauso schwer wie auch nicht schwangere Patientinnen im gleichen Alter.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Hein: Risiko für Infektion eines Ungeborenen extrem niedrig
Pyritz: Wenn wir auf das Risiko einer Infektion des ungeborenen Kindes im Mutterleib schauen, da gab es jetzt kürzlich einen publizierten Fallbericht aus Frankreich, demzufolge sich eben ein Kind über die Plazenta und die Nabelschnur im Mutterleib angesteckt hat. Wie hoch schätzen Sie das Risiko für so eine Infektion ein, wie oft tritt so etwas auf?
Hein: Die Publikation aus Frankreich, die Veröffentlichung, das war eigentlich die erste Publikation, die das wirklich einwandfrei nachgewiesen hat. Man muss aber insgesamt sagen, dass da viele Voraussetzungen bestehen müssen, damit das überhaupt passieren kann. Das heißt, es muss Virus wirklich im Blut auch sein, was extrem selten vorkommt, damit es überhaupt auf Plazenta und Kind übertragen werden kann. Insgesamt handelt es sich da quasi um eine Möglichkeit, ja, die Infektion ist möglich, aber insgesamt ist das Risiko für eine Übertragung extrem niedrig.
Pyritz: Gibt es denn noch andere Möglichkeiten, denkbare Möglichkeiten, für eine Infektion eines ungeborenen Kindes durch die Mutter?
Hein: Eines ungeborenen Kindes nicht, weil das geht nur wirklich über Blut und dann die Plazenta. Wenn wir aber dann zum Beispiel über die Geburt sprechen, ja, es gibt Einzelfälle, wo man auch zum Beispiel in der Vaginalschleimhaut Virus nachgewiesen hat in extrem niedrigen Konzentrationen. Aber auch da weiß man nicht, ob dieses Virus wirklich infizieren kann. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit bei einer vaginalen Geburt ist wahrscheinlich sogar ausgeschlossen, genauso auch beim Kaiserschnitt, wenn man den durchführt. Da würden wir uns die allerwenigsten Sorgen machen, dass es währenddessen zu einer Infektion kommen kann, und würden auch immer für eine vaginale Geburt, wenn möglich, plädieren.
Eine Frau betritt die Konfliktberatungsstelle "Donum vitae" in Düsseldorf.
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Hein: Theoretisches Risiko durch Stillen besteht
Pyritz: Vor einigen Wochen wurde SarS-CoV-2-Erbgut auch in der Muttermilch einer an Covid-19 erkrankten Frau nachgewiesen. Sieht man da inzwischen klarer, ob Muttermilch ein Infektionsrisiko darstellt oder Stillen, die Situation des Stillens generell?
Hein: Ein theoretisches Risiko gibt es da schon. Jetzt muss man sagen, wenn man Virus-DNA in der Muttermilch nachweist, heißt das noch lange nicht, dass da auch wirklich intaktes Virus vorhanden ist und dass dieses Virus auch wirklich infizieren kann. Und nachdem dieses Risiko nach dieser Beurteilung jetzt extrem niedrig ist, würden wir nicht dazu übergehen und den Schwangeren, auch die erkrankt sind, das Stillen verbieten. Das heißt, da würden wir weiterhin empfehlen, dass die Schwangeren stillen, weil dieses theoretische Risiko extrem niedrig ist.
Pyritz: Was ist denn eigentlich, wenn es zu einer Infektion bei einem Neugeborenen kommt, über den Krankheitsverlauf bei so einem kleinen Kind bekannt?
Hein: Die kleineren Kinder überstehen die Infektion sehr gut, so wie das nach den jetzigen Daten ausschaut. Das heißt, sie erkranken auch selten schwer, das weiß man schon.
Pyritz: Wenn man diesen Erkenntnisstand, den Sie jetzt kurz geschildert haben, so zusammenfasst: Welche Rückschlüsse lassen sich daraus für den klinischen Alltag ziehen? Sie haben schon gesagt, Sie würden immer für eine normale Geburt und für das Stillen plädieren. Sollten Neugeborene infizierter Mütter aber zum Beispiel automatisch so behandelt werden, als ob sie infiziert sind?
Hein: Nein. Das Wichtigste ist, dass das Neugeborene, so wie wir das sonst auch immer handhaben, wirklich auch bei der Mutter bleibt, auch wenn die Mutter eine Infektion hat, weil das Risiko insgesamt, dass das Kind schwer erkrankt, einfach viel zu niedrig ist, als man diese ganzen Vorteile des Stillens und das Bonding der Mutter und dem Kind verwehren würde.
"Szenario"-Studie des Universitätsklinikums Erlangen
Pyritz: Sie haben jetzt schon gesagt, die Datenlage ist eben auch noch beschränkt bei vielen Aspekten zu Corona und Schwangerschaft. Sie sind selbst Leiter einer Studie namens "Szenario" an der Uniklinik in Erlangen. Welche Erkenntnisse kann und soll diese Studie liefern?
Hein: Wir führen in Erlangen die "Szenario"-Studie durch und wollen damit eigentlich feststellen, wie hoch ist denn die Prävalenz, das heißt wie viele Schwangere sind denn überhaupt jetzt mal an Sars-Covid-2 erkrankt gewesen oder hatten jemals schon Kontakt und welche Auswirkungen hat das möglicherweise auf die Schwangerschaft. Wir haben jetzt noch keine Hinweise, dass das wirklich auch zu schweren Verläufen führt, aber es kann dennoch sein. Und das ist auch das Ziel.
Das heißt, wir wollen erst mal feststellen, wie viele Schwangere sind erkrankt und welche Folgen hat das bei den Erkrankten für die Mütter und für die Kinder. Und da untersuchen wir dann Schwangere im Verlauf, bei denen wir Antikörper nachweisen, mit Ultraschall, ob das Kind auch gut wächst. Und wenn die Frauen dann entbinden, schauen wir auch nach, ob wirklich in der Plazenta Virus nachweisbar ist, wie das im kindlichen Blut ist, ob das Kind vielleicht eine Infektion hat oder eine Infektion durchgemacht hat und zu Beispiel auch Muttermilch, um hier herauszufinden, wie sich die Infektion, auch eine asymptomatische Infektion auf Kind und Mutter auswirken.
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Pyritz: Zum Schluss noch der Blick darauf, dass sich Sars-CoV-2 nicht nur über Infektionen auf Schwangerschaften auszuwirken scheint. Es gibt zumindest Berichte aus mehreren Ländern, dass während der Lockdownphasen dort deutlich weniger Frühchen geboren wurden als normalerweise. Welche Zusammenhänge könnte es da geben?
Hein: Na ja, wenn man zum Beispiel die Publikation nimmt aus Dänemark, die festgestellt hat, dass die Anzahl der extrem früh Geborenen, also unter 28. Schwangerschaftswoche, um 90 Prozent gefallen ist, dann ist das schon sehr beeindruckend und muss auch weiter verfolgt werden.
Allerdings sehe ich die Rückschlüsse der Autoren sehr kritisch, indem sie sagen, dass weniger physische Aktivität und weniger Stress eventuell dazu geführt haben. Denn man muss sagen, während der Lockdownmaßnahmen haben zumindest die Mütter sicher nicht weniger Stress gehabt mit geschlossenen Kitas und Schulen. Und auch dass Umwelteinflüsse wie auch die Luftreinheit so schnell einen Effekt hervorrufen, dass die Anzahl der extrem früh Geborenen so runtergeht, das mag ich persönlich nicht glauben. Ich denke, dass da ganz andere Faktoren im Vordergrund stehen.
Wir haben immer den Effekt in so einem Lockdown, dass Patienten einfach später ins Krankenhaus kommen, wir sehen ja auch das Gleiche bei den Herzinfarkten zum Beispiel. Und wenn man natürlich später kommt, kommt es auch später zur Entbindung. Wir wissen aber zum Beispiel in dieser Studie auch nicht, wie es den Kindern geht, denn wenn man zum Beispiel einen Blasensprung, der verschleppt wird, dann kommt es zu einer Infektion, weil das nicht diagnostiziert wird, dann wird das Kind zwar später entbunden, ist aber krank. Und der andere große Nachteil dieser Untersuchung ist, dass sie die Anzahl der Totgeburten gar nicht kennen. Und man hat zum Beispiel in London jetzt vor ein paar Tagen eine Untersuchung publiziert, wo man schon gesehen hat, dass auch die Anzahl der verstorbenen Kinder im Mutterleib insgesamt um das Vierfache angestiegen ist. Und das wird hier gar nicht berücksichtigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.