Donnerstag, 28. März 2024

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Schwarz-grüne Regierung in Hessen
Koalitionsfrieden statt Inhalte?

Seit einem Jahr regieren CDU und Grüne zusammen in Hessen - und das reibungsloser und erfolgreicher, als ihnen zugetraut wurde. Mit dieser Harmonie macht sich das Bündnis zu einer realistischen Option auf Bundesebene. Oder werden für den Koalitionsfrieden Inhalte geopfert?

16.01.2015
    Ein Jahr nach dem Start der schwarz-grünen Koalition in Hessen ziehen Volker Bouffier (CDU) und Tarek Al-Wazir (Grüne) Bilanz
    Regierungspartner im Gleichschritt: Tarek Al-Wazir (Die Grünen) und Volker Bouffier (CDU) (picture alliance / dpa / Boris Roessler )
    Freundlich lächelnd sitzen sie nebeneinander: Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir. Der hessische Ministerpräsident, ein Christdemokrat. Neben ihm sein Stellvertreter, ein Grüner. Sie haben in die prächtige Wiesbadener Staatskanzlei eingeladen, um Bilanz zu ziehen. Bilanz nach einem Jahr gemeinsamer Regierungsarbeit in Hessen. Fangen wir an. Volker Bouffier lässt dem Jüngeren charmant den Vortritt. Nicht nur einmal, sondern mehrmals. Die Beiden sitzen einträchtig nebeneinander, das hat noch vor Jahresfrist kaum jemand so erwartet.
    "Ich weiß, das manchmal schon Witze darüber gemacht werden, wann streiten die sich endlich..."
    Das wird man so schnell nicht erleben, lautet die Botschaft des Grünen Tarek Al-Wazir. Keinerlei persönliche Konkurrenz ist zu spüren, wenn es etwa darum geht, wer als erster die Fragen der Journalisten beantworten darf. Dabei nehmen beide immer wieder die Perspektive des anderen ein.
    "Aus grüner Sicht ist es natürlich klar, wenn ich in eine Regierung eintrete, dann muss ich auch meine Positionen durchsetzen."
    Volker Bouffier galt als langjähriger Innenminister im Kabinett des CDU-Hardliners Roland Koch als „schwarzer Scheriff", als Law and Order-Mann. Und nicht gerade als Freund der Ökopartei. Im Gegenteil. Doch seine heutige Körpersprache ist ganz anders. Der Ministerpräsident signalisiert: Zwischen ihm und seinem Wirtschafts- und Verkehrsminister - der Sohn einer rebellischen Aktivistin gegen die Startbahn-West ist, passt kein Blatt Papier. Auch inhaltlich nicht.
    Blaupause für Berlin?
    "Wenn wir alleine regieren würden, dann würden wir vielleicht das eine oder andere ein bisschen anders nuancieren. Aber wir sind ja diese Koalition eingegangen ganz bewusst, gerade als Union."
    Eine Entscheidung mit Hintergedanke: Denn die CDU will die Politikfelder beackern, die bisher als von den Grünen gepachtet gelten. So argumentiert Volker Bouffier seit einem Jahr. Er nennt Themen wie gentechnikfreie Landwirtschaft oder erneuerbare Energien als Beispiele:
    "Es heißt, Ökologie und Ökonomie nicht als Gegensatz zu begreifen, sondern zum ersten Mal in einem großen Land in einer Regierung beides unter einen Hut zu bekommen."
    Bouffiers politisches Projekt reicht jedoch weit über mehrere tausend mögliche Windräder sowie ökologisch bewirtschaftete Felder im hessischen Hügelland hinaus. Es reicht bis nach Berlin, wo er einer der Stellvertreter der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ist. Denn er weiß, dass ein geräuschlos funktionierendes schwarz-grünes Bündnis in einem Flächenland auch ein Modell für die Bundespolitik sein kann. 2017 findet die nächste Bundestagswahl statt. Und Angela Merkel sucht nach Alternativen zur Koalition mit der SPD.
    Dass die Grünen auch auf Bundesebene diese Alternative sein können, sieht der bekennende Realo Tarek Al-Wazir ebenso. Sein Fazit hört sich an wie eine Botschaft an die Spitze und den linken Flügel seiner eigenen Partei:
    "Dass diese Koalition ein Wagnis war, aber dass sich das Wagnis gelohnt hat. Wir als Grüne haben gesagt, wir wollen eigenständig sein, wir wollen an den Inhalten entlang entscheiden, mit wem wir koalieren und ob wir koalieren. Und unter dem Strich kann man sagen, dass es sich gelohnt hat im Sinne unserer Inhalte. Und natürlich bedeutet das, dass es eine Option ist; eine Option, kein Automatismus."
    Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Die Grünen) hantieren mit einem schwarz-grünen "Hessenlöwen"
    Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir mit einem schwarz-grünen "Hessenlöwen" (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Jenseits von Hessen sei Schwarz-Grün zwar kein Automatismus, aber eine realistische Option – diese Ansage Richtung Berlin könnte deutlicher nicht sein.
    In Hessen ist das Bündnis ohnehin längst auf dem Weg zur festen Größe: Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir, die sich auch öffentlich duzen, agieren in diesen Tagen beinahe zärtlich miteinander – sie wirken auf Außenstehende wie ein fürsorglicher politischer Ziehvater Schulter an Schulter mit dem dankbaren und gelehrsamen Sohn.
    Kaum vorstellbar, dass Schwarz-Grün hier ein auf fünf Jahre beschränkter politischer Flirt bleiben wird. Auch der 63-jährige lässt das in seiner Bilanz durchblicken:
    "Wir leben und arbeiten in langen Linien, nicht für die Schlagzeilen des Tages. So schön das auch für Politiker ist."
    Die mit deutlicher Mehrheit regierende Wiesbadener Koalition vermeidet Schlagzeilen zu Lasten des Koalitionspartners. Das hat man sich vorgenommen und das funktioniert jetzt ein Jahr lang ausgezeichnet. Tarek Al-Wazir ist damit sehr zufrieden:
    "Der Streit in der Politik ist kein Selbstzweck. Wir setzen uns auseinander, wir diskutieren durchaus, intern durchaus kontrovers, aber am Ende kommen wir immer mit einer gemeinsamen Lösung heraus."
    Die Opposition wundert sich über Eintracht
    Auch wenn das für die politischen Berichterstatter in Hessen manchmal etwas langweilig wirke, räumt neben ihm der Regierungschef ein. Diskretion beim Austragen interner Konflikte – das ist das Erfolgsrezept dieses Bündnisses, das seit dem 18. Januar 2014 so geräuschlos arbeitet. Differenzen werden diszipliniert hinter verschlossenen Türen ausgetragen, beobachtet auch Jürgen Falter, Parteienforscher an der Uni Mainz:
    Ja, es ist ganz erstaunlich, dass es wirklich ohne Knirschen läuft. Das hat natürlich damit zu tun, dass beide Seiten das wollen und dass an der Spitze beider Seiten relativ vernünftige Menschen stehen. Herr Bouffier ist längst nicht der Eisenfresser, als der er früher dargestellt worden ist und Herr Al-Wazir hat auch viel von der Schärfe verloren, die er damals im Landtag hatte, als der damals beste Redner.
    Selbst SPD, FDP und Linkspartei - die Opposition im hessischen Landtag - erkennen an, dass Schwarz-Grün ungewöhnlich reibungslos funktioniert. Auch wenn damit eigene Machtoptionen in weite Ferne rücken. Janine Wissler ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Linkspartei und seit 2008 Mitglied im hessischen Landtag:
    "Wir wundern uns auch, dass diese Koalition doch so harmonisch zusammenarbeitet. Angesichts der Tatsache, dass Tarek Al-Wazir noch wenige Tage vor der Landtagswahl Volker Bouffier als Rechtspopulisten bezeichnet hat. Die Grünen haben noch kurz vor der Landtagswahl den Rücktritt von Volker Bouffier gefordert und jetzt regiert man einträchtig zusammen."
    Florian Rentsch war bis vor einem Jahr liberaler Wirtschaftsminister im damaligen schwarz-gelben Kabinett von Bouffier. Heute ist Rentsch Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion. Auch er erklärt sich die Harmonie in Hessen mit Berlin:
    "Volker Bouffier hat ja hier die große Planung, Schwarz-Grün im Land zu etablieren, um es auch als Bundesmodell zu ermöglichen. Und insofern merken wir schon, dass die CDU an vielen Stellen alte Positionen räumt, um Schwarz-Grün überhaupt zu ermöglichen."
    Der Landesvorsitzende der Hessen-SPD Thorsten Schäfer-Gümbel (l.) und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU)  am 07.11.2013 im Landtag in Wiesbaden (Hessen).
    Der hessische SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sieht die schwarz-grüne Koalition skeptisch (picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Zum Verdruss des stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel, der bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr gegen Bouffier unterlag. Der Sozialdemokrat muss zur Kenntnis nehmen, dass sein ehemaliger Wunsch-Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen nun drauf und dran ist, Schwarz-Grün auch im Bund hoffähig zu machen:
    "Die Grünen in Hessen (...) wollen als diejenigen, die da möglichst harmonisch an der Seite der Union ein Bündnis führen können, wahrgenommen werden."
    Schäfer-Gümbel hat damit seinen Lieblingspartner vorerst verloren. Die Grünen haben hingegen bereits nach einem Jahr Koalition Haltungen in der hessischen CDU verändert, die jahrzehntelang als besonders konservativ galt. Das jedenfalls glaubt Al-Wazir. Diese Veränderung sei ein Reflex auf die Veränderung des ganzen Landes. Hessen sei in den vergangenen Jahrzehnten kulturell vielfältiger geworden, beobachtet der Spitzen-Grüne:
    CDU und Grüne im Wandel
    "Und sowas verändert auch eine betont konservative Partei wie die Hessen-CDU. Ich mache mir da nix vor, es gibt auch immer noch Leute, für die ist das alles sehr gewöhnungsbedürftig, aber das Land ist schon ein anderes geworden - zum Glück."
    Wobei es in der CDU-Landtagsfraktion immer noch politische Rechtsausleger gibt, die im Pegida-Stil von sich reden machen. SPD-Oppositionspolitiker Thorsten Schäfer-Gümbel hat vor allem eine Person vor Augen – den umstrittenen Fraktionsvize der CDU:
    "Das ist der Rechtsaußen Hans-Jürgen Irmer. Ein rechts-populistischer Abgeordneter der CDU Hessen, der immer wieder durch ausländerfeindliche, Homosexuellen-feindliche Äußerungen auffällt. Der mit Schwarz-Grün erneut in eine führende Rolle gekommen ist. Er war ja schon mal ausgesteuert durch die damalige FDP. Da ist genügend Druck aufgebaut worden. Jetzt darf er wieder. Hat sich auch schon wieder genügend Dinge in diesem Jahr wieder erlaubt. Es ist wirklich unerträglich, so einen Mann in der ersten Reihe zu sehen. Und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier wird auch nicht müde, Herrn Irmer zu schützen."
    Hans-Jürgen Irmer (CDU) im hessischen Landtag
    In der Kritik: Hans-Jürgen Irmer (CDU) (picture-alliance/ dpa/ Arne Dedert)
    Trotz Rücktrittsforderungen der Opposition wird Irmer in der CDU-Fraktionsspitze gehalten - die Grünen nehmen das hin. Volker Bouffier wiederum betont, dass Schwarz-Grün für ihn nicht bedeute, die großen politischen Unterschiede zu verkleistern, die beide Parteien in die Koalition einbringen:
    "Wir haben auch von vorne herein vereinbart, dass wir die Geschichte nicht umschreiben. Sondern die Grünen waren 15 Jahre Opposition und hatten den großen Wunsch, uns endlich nach Hause zu schicken. Und wir haben sehr unterschiedliche Positionen eingenommen in der Vergangenheit. Und wir bleiben bei unseren Identitäten und schauen nach vorne. Und ich glaube, das gelingt uns gut. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass das auch auf Dauer sowohl im Stil wie im Inhalt erfolgreich ist."
    Koalitionsfrieden statt Inhalte?
    Für den SPD-Landeschef ist das keine gute Nachricht. Denn eine eigene, etwa rot-rot-grüne Mehrheit in Wiesbaden ist möglicherweise für lange Zeit nicht mehr zu erreichen, weil Schwarz-Grün so gut funktioniert. Übrigens nicht nur auf Landesebene, sondern auch in den Stadtparlamenten von Frankfurt am Main oder Darmstadt. Aktuell versucht es die SPD damit, der Landesregierung vorzuwerfen, sie opfere für den Koalitionsfrieden die Inhalte:
    Dort sehen Sie, dass extrem viel Energie darauf verwendet wird, nach außen ein harmonisches Bild zu geben. Aber die Themen, die fallen dabei hinten runter.
    Das mit Abstand wichtigste politische Thema in Hessen ist die Entwicklung des Flughafens Frankfurt am Main. 175.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom größten deutschen Airport ab. Gleichzeitig macht zunehmender Fluglärm vielen Anwohnern schwer zu schaffen. Doch der Rhein-Main-Airport soll weiter wachsen. Für mehr als zwei Milliarden Euro will der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport ein neues, drittes Terminal auf der Südseite bauen. Im Wahlkampf waren die Grünen noch vehement gegen diesen Ausbau. Daran erinnert die Linke Janine Wissler:
    "Ja, hier haben die Grünen ja im Wahlkampf versprochen – Tarek Al-Wazir – mit mir wird es keinen Terminal 3 geben. Das ist eine klare Ansage. Und wir sind sehr gespannt darauf, wie er dieses Versprechen jetzt einlösen will. Er ist ja schon ganz klar zurückgerudert und hat gesagt: Es ist ja alles rechtssicher planfestgestellt, und eigentlich kann man nichts mehr machen."
    Streitthema Frankfurter Flughafen
    Im Koalitionsvertrag hatten CDU und Grüne vereinbart, die Pläne für den Bau des Terminals 3 sollen noch einmal überprüft werden. Doch Volker Bouffier weist darauf hin, dass die Entscheidung über den Ausbau nicht mehr bei der Landesregierung liege – sondern bei Fraport. Sein grüner Verkehrsminister Al-Wazir hat diese Linie übernommen:
    "Es ist völlig klar, dass die Fraport im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses das T 3 planerisch genehmigt bekommen hat. Aber natürlich ist es eine Riesen-Investition. Und die Fraport selbst weiß natürlich, dass die Flugbewegungen und die Passagierzahlen sich nicht so entwickelt haben, wie man das in den letzten Jahren prognostiziert hat. Und deswegen bin ich sehr sicher, dass sie ein eigenes Interesse daran hat, diese Bedarfsprüfung wirklich vertieft vorzunehmen.
    Und Volker Bouffier fragt deshalb: "Gibt es Möglichkeiten, die wir zunächst nutzen können, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die Frage eines Baus nochmal zu überprüfen."
    Flughafen Frankfurt am Main: Start einer Lufthansa-Maschine am 17.01.2014
    Flughafen Frankfurt am Main (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Diese Äußerung des Ministerpräsidenten wertet der ehemalige Wirtschaftsminister Florian Rentsch von der FDP als eine Abkehr der Union vom früheren wirtschaftsfreundlichen Kurs. Schwarz-Grün gefährde mit den öffentlich geäußerten Zweifeln an der Notwendigkeit des Baus von Terminal 3 die sogenannte „Hub-Funktion" des Rhein-Main-Flughafens. Dabei geht es um die Rolle als Umschlagplatz für Luftfracht und Umsteigepunkt für Passagiere im weltweiten Flugverkehr, erklärt Rentsch:
    Und insofern ist die Frage, wollen wir diese Hub-Funktion weiter ausbauen, ja oder nein. Die Union ist in den letzten Monaten unglaublich flexibel.
    Nicht flexibel sei die Position der Landesregierung zum Ausbau des Frankfurter Flughafens, sondern unehrlich. Das sagt Thorsten Schäfer-Gümbel. Aktuelle Gutachten, mit denen Schwarz-Grün noch einmal den Bedarf für den Neubau ermitteln will, wertet der SPD-Politiker als Manöver zum Erhalt des Koalitionsfriedens:
    "Na ja ich glaube, dass sie mit gespaltener Zunge agiert bei diesem wichtigen Thema. Weil öffentlich ein Eindruck geweckt wird, den die Regierung selber gar nicht mehr verfolgt. Mein Eindruck ist auch, dass so, wie sich die Fraport hier positioniert hat, dass das Terminal 3 nicht nur gebraucht wird aus ihrer Sicht, sondern auch gebaut wird. Dass das Land im Moment – oder die Landesregierung – versucht, ein bisschen das Gesicht zu wahren. Deswegen jetzt Gutachten, die formal überhaupt keine Bedeutung mehr haben - dass es am Ende nur darum geht, eine einigermaßen gesichtswahrende Lösung für den schwarz-grünen Koalitionsvertrag zu sehen."
    Grüne verlieren Rückhalt in Kommunen
    Das Gesicht wahren müssen die Grünen insbesondere in den Anliegergemeinden des Frankfurter Flughafens wie Mörfelden-Walldorf. Hier war vor rund 30 Jahren der Widerstand gegen den Bau der Starbahn-West besonders groß. Weshalb die Grünen hier Jahrzehnte lang außerordentlich hohe Wahlergebnisse einfuhren. Und hier weiß man auch noch, dass Tarek Al-Wazir als kleiner Junge von seiner Mutter zu den Widerstandsaktionen im Wald am Flughafen mitgenommen worden ist. Heute sind viele über dessen Flughafen-Politik enttäuscht:
    "Wir hatten hier immer 20 Prozent Grün – von Anfang an. Und das denke ich, wird vorbei sein bei der nächsten Kommunalwahl."
    "Ich bin hier als Anwohner gegen den weiteren Ausbau des Flughafens, und damit haben mich die Grünen enttäuscht."
    "Sie hatten ja versprochen, dass das Terminal 3 nicht gebaut wird mit den Grünen. Jetzt schwenken sie wieder um, das ist natürlich für die Wähler und für die Menschen nicht zu verstehen."
    Doch die Stimmenverluste, die den Grünen bei den hessischen Kommunalwahlen im kommenden Jahr rund um den Flughafen drohen, kompensieren sie in landesweiten Umfragen im Augenblick spielend. Rund 16 Prozent der hessischen Wahlberechtigten würden zurzeit ihre Stimme den Grünen geben – damit steht die Ökopartei blendend da. Dass auch die Umfragewerte für die CDU stabil sind, stimmt die Landtagsopposition nicht gerade optimistisch. Doch sie sucht beharrlich Angriffspunkte: Themen wie die Energiewende, den Ausbau der Ganztagsschulen oder auch die Stärkung der kommunalen Finanzen gehe die schwarz-grüne Landesregierung nicht entschlossen genug an, weil ihr der Koalitionsfrieden wichtiger sei als die Inhalte, kritisiert die Opposition. Der SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel nennt die Energiewende als Beispiel:
    Kritikpunkte Energiewende und Bildungspolitik
    "Ja, wir sehen auch hier ein doppeltes Spiel, insbesondere der Union. Auf der einen Seite wird hier auf den Energiegipfel verwiesen, insbesondere auf den Ausbau der Windenergie. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Union immer vor Ort dabei ist, wenn es darum geht, gegen Windkraft und die Energiewende zu polemisieren. Ich nehme Tarek Al-Wazir als Wirtschaftsminister ausdrücklich ab, dass er die Energiewende will, aber ich glaube, dass er erhebliche Auseinandersetzungen hat in der Koalition über den richtigen Weg, und Sie sehen ja, die Debatten über die Energiewende werden munter geführt."
    Das Beispiel Energiewende zeigt auch: Bundesländer wie Hessen sind in vielen Politikfeldern stark abhängig von den Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung schafft. Das räumt auch Volker Bouffier ein. Etwa bei der Planung der neuen Stromautobahn, die von der Küste kommend auch durch Hessen nach Süden führen soll:
    "Wir sind auch nicht allein auf der Welt. Das ist eine Bundesangelegenheit. Und dann die Frage: Wie macht man es. Da sind noch viele offene Fragen."
    Windräder und Stromleitungen
    Die Energiewende ist einer der Kritikpunkte der hessischen Opposition (picture alliance / dpa / Bernd Settnik)
    Für die Energiewende benötigen die Länder den Bund - in der Bildungspolitik ist das anders. Da hat auch Hessen nach wie vor große Gestaltungsmöglichkeiten. Die FDP-Opposition kritisiert, dass Schulen und Hochschulen Freiheiten genommen werden, die in der Zeit der schwarz-gelben Regierung geschaffen wurden. Florian Rentsch:
    "Unser Ziel war: Selbstständige Schulen. Freie Schulen, die auch vor Ort entscheiden können, wie sind ihre Profile. Wo wollen wir hin – Schüler, Eltern und Lehrer. Die Union hat das wieder mit den Grünen komplett zurückgedreht. Aus Wiesbaden heraus wird jetzt wieder entschieden, was in Eschwege oder in Wetzlar an den Schulen passiert."
    Janine Wissler von den Linken moniert insbesondere, dass unter Schwarz-Grün der Ausbau der Ganztagsschulen nur sehr schleppend vorangehe:
    "Und ich glaube, das wird eine große Auseinandersetzung werden in den nächsten Jahren. Weil wir der Meinung sind, dass Ganztagsschulen Aufgabe des Landes, und es nicht sein kann, dass am Ende Kommunen und Eltern dafür zahlen müssen, dass ihre Kinder ganztätig betreut sind."
    60% der hessischen Bevölkerung zufrieden mit der Koalition
    Doch trotz der Kritik der Opposition etwa an der Schulpolitik sind nach aktuellen Umfragen mehr als 60 Prozent der hessischen Wähler zufrieden mit der bislang einjährigen Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung. SPD und Linkspartei reiben sich vor allem an Volker Bouffier auf. Der Regierungschef steht im Zentrum zweier parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Der eine beschäftigt sich mit dem Mord, den die rechtsextremistische Untergrundorganisation NSU in Kassel verübt hat. Thorsten Schäfer-Gümbel:
    "Das, gerade mit Blick auf die Ereignisse in Kassel, muss man feststellen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln wollten und dass das Landesamt für Verfassungsschutz mit der massiven Rückendeckung des damaligen Innenministers Volker Bouffier sich daran nicht beteiligt hat und verhindert wurde, dass da weitere Ermittlungen stattfinden. Das hinterlässt Fragen, die wollen wir auch geklärt haben."
    In einem weiteren Untersuchungsausschuss geht es um die Rolle, die die von Volker Bouffier geführte frühere Landesregierung bei der schnellen Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis gespielt haben soll. Das Aus für Biblis kam nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. Janine Wissler von der Linkspartei vermutet, dass sich der Schaden fürs Land auf eine Zahl in dreistelliger Millionenhöhe summiert:
    "Es geht um viel Geld bei der Abschaltung von Biblis. (...) Wir haben damals gewarnt im Bundestag, im Landtag, dass man rechtssicher die Atomkraftwerke abschalten muss und kann. Doch damals war das Ziel, vor allem über die Landtagswahl in Baden-Württemberg zu kommen. Deswegen ist man hier einen Weg gegangen, vor dem viele gewarnt haben. Und wir werden hier in Hessen aufarbeiten, wer dafür die Verantwortung trägt. Aber jetzt ist schon deutlich, dass der Ministerpräsident aktiv beteiligt war und seine damalige Umweltministerin. Und das kann dem Land sehr teuer zu stehen kommen."
    Doch trotz aller Versuche der Opposition in Hessen, Schwarz-Grün politisch in die Enge zu treiben: Nach einem Jahr steht die Regierung weitgehend unangefochten da. 2017 wird im Bund gewählt. Und Hessen bietet die Blaupause für neue machtpolitische Perspektiven in Berlin. Damit kann Angela Merkel sehr zufrieden sein.