Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Schwebend vorwärts

Technologie.- Mithilfe sogenannter Supraleiter lassen sich extrem starke Magnetfelder erzeugen. Diese Erkenntnis haben Forscher zum Beispiel für die Entwicklung von Kernspintomografen genutzt. Das neueste Einsatzgebiet: Eine Magnetschwebebahn.

Von Viola Simank | 23.02.2011
    In einer über 100 Jahre alten Industriehalle in Dresden wird ein Stück Verkehrsgeschichte geschrieben. Davon sind Professor Ludwig Schultz und seine Kollegen vom Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung überzeugt. Denn hier kann ihr Supratrans das erste Mal eine längere Strecke schweben und sogar um Kurven fahren – bisher war dies noch nicht möglich. Besucher lädt Schultz deshalb gerne zu einer Probefahrt ein, damit sie das neue Fahrgefühl selber erleben können:

    "Okay, dürfen wir schon? Dann schauen wir doch mal."

    Wir sitzen auf einer Art Motorschlitten mit zwei hohen Sesseln, in der Mitte ein kleines Steuerpult mit einem Hebel. Den drückt Schultz nach vorn und wir setzen uns geräuschlos und ohne zu rucken in Bewegung

    "Nun wollen wir mal etwas mehr Gas geben, wir haben jetzt zwölf Kilometer pro Stunde. Ich kann leider jetzt nicht mehr beschleunigen, da wir im Moment eingebaut haben, dass man in der Kurve nicht weiter beschleunigen kann, aber der Fahrtwind hier bei zehn, elf, zwölf Stundenkilometern ist schon ganz ordentlich."

    Die erste Runde auf der 80 Meter langen ovalen Teststrecke ist geschafft – und die Fahrt beeindruckend ruhig und geräuschlos. Der Supratrans schwebt wie auf einem Luftkissen rund einen Zentimeter über den Magnetschienen. Statt Rädern hat der Zweisitzer vier rechteckige Kästen an seiner Unterseite, in denen die Supraleiter verborgen sind – schwarze Keramikstücke aus Yttrium, Barium und Kupferoxid. Sie lassen den Schlitten schweben. Allerdings nur, wenn sie auf Minus 196 Grad abgekühlt sind, erklärt Schultz. Dann erst kann der Supraleiter Strom verlustfrei leiten und vor allem Magnetfelder fixieren:

    "Die Magnetschiene liefert uns ein magnetisches Feld, eine Konfiguration des Magnetfeldes, die unverändert ist um den ganzen Kurs herum. Das heißt, wenn wir den Supraleiter über dieser Magnetschiene kalt machen, dann ist diese Magnetfeldkonfiguration in dem Supraleiter fest verankert."

    Der Supraleiter klammert sich also förmlich an den Magnetfeldlinien fest. Damit er das auch in der richtigen Position macht, wird das Fahrzeug mithilfe einer Hubvorrichtung etwa einen Zentimeter über den Schienen justiert.

    "Dann hat es eine vorgegebene Position im Magnetfeld, dann kühlen wir das ab und dann bleibt dieses Magnetfeld fest verankert, dann können wir das Hubsystem lösen und dann schweben wir."

    Und das ganz ohne Energie. Anders als bei der Magnetschwebebahn Transrapid ist keine aufwendige Regeltechnik nötig, die das Fahrzeug in der richtigen Position hält. Nur die Supraleiter müssen abgekühlt werden. Das passiert mit flüssigem Stickstoff, der in die rechteckigen extrem gut wärmeisolierten Kästen gefüllt wird, in denen die Supraleiter stecken. Ein kostengünstiges Kühlmittel:

    "Für unsere Fahrzeuge rechnen wir, wenn wir den ganzen Tag Betrieb haben, dass es ungefähr fünf Euro kostet."

    Ganz ohne elektrischen Antrieb kommt aber auch der Supratrans nicht aus. Doch Dank eines speziellen Elektromotors ist der Stromverbrauch extrem niedrig. Er bezieht den Strom berührungsfrei per Induktion aus einem Stromkabel, das in der Schiene verlegt ist.

    Am Ende der Probefahrt bremst Ludwig Schultz sachte.

    "Wo sollen wir ihn abstellen? Du hältst uns an?",

    fragt Schultz den Kollegen im Leitstand. Denn der überwacht, ob alles richtig funktioniert und kann auch schon mal in die Steuerung eingreifen, wenn ihm der Fahrer zu schnell wird. Langsam kommen der Schlitten zum Stehen. Heute lief alles nach Plan, doch der Supratrans ist nur ein erster Prototyp und anfällig für Störungen. Mit der Teststrecke wollen die Wissenschaftler das System deshalb erst einmal richtig kennen lernen, schließlich gibt es nirgendwo Vergleichbares. Gebaut hat sie die Firma evico, eine Ausgründung des Institutes für Festkörper- und Werkstoffforschung. Oliver de Haas:

    "Jetzt wo die Anlage steht, wollen wir natürlich Sachen testen wie das Magnetlagerverhalten in der Kurve. Also welche Seitenführungskräfte erlauben die Lager, wie ist die Langzeitstabilität, wenn die Kurve das zehntausendste Mal durchfahren wurde. Wir haben in das Fahrzeug einen Versuchsstand integriert, das heißt, wir haben circa 50 Sensoren , die wir alle auslesen, so dass wir da Abhängigkeiten wie zum Beispiel das Schwingungsverhalten auch studieren können."

    Visionen für mögliche Anwendungen gibt es schon viele. Am realistischsten ist zunächst eine Insellösung, also kleinere Strecken von mehreren hundert Metern, zum Beispiel in Museen, Messehallen oder an Flughäfen. Dort könnte die Schwebebahn die Passagiere zwischen den Terminals transportieren. Bevor es soweit ist, werden wohl noch ein paar Jahre vergehen. Doch testen kann man das Fahrgefühl schon eher – auch Besuchergruppen sollen demnächst den Supratrans besichtigen können und eine Probefahrt machen dürfen.