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Bandenkriminalität in Schweden
Ausweg aus der Gewaltspirale gesucht

In Stockholm, Malmö, Göteborg, aber auch auf dem Land kommt es in Schweden seit Jahren immer wieder zu Gewalt durch verfeindete Banden. Polizei, Behörden und Politik versuchen, die Lage jetzt präventiv in den Griff zu bekommen - mit mäßigem Erfolg.

Von Sofie Donges | 05.08.2022
Kriminaltechniker in Malmö
Kriminaltechniker in Malmö: Jede Woche wurde in Schweden in diesem Jahr durchschnittlich mindestens ein Mensch durch Bandenkriminalität erschossen. (pa/TT/Johan Nilsson)
Es gibt kaum ein anderes Land in Europa, in dem so viele Menschen mit Schusswaffen getötet werden wie in Schweden. Seit Jahren bekämpfen sich verfeindete Banden, es geht um Drogen und Rache. Immer mehr Tote, immer jüngere Täter. Bisher gelingt es Schweden nicht, den Negativtrend zu brechen.

„Hier sehen wir Bilder aus Eskilstuna, ein 25-Jähriger wurde heute erschossen.“

„Gegen 18 Uhr wurde die Polizei zu einem Verkehrsunfall gerufen. Einer Person im Auto war in den Kopf geschossen worden.“

„Der Mann, der bei einer Schießerei in Göteborg verletzt wurde, ist im Krankenhaus verstorben. Das teilte die Polizei gerade mit.“

Pro Woche ein Toter in Schweden durch Banden-Schießereien

Jede Woche wurde in Schweden in diesem Jahr mindestens ein Mensch erschossen – 30 waren es bis Mitte Juni. Schon wieder mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. In 2021 sind in Schweden und Deutschland fast die gleiche Zahl Menschen mit einer Waffe getötet worden, dabei hat Schweden nur einen Bruchteil der Einwohner Deutschlands. Einer der Toten aus dem vergangenen Jahr ist ein junger Mann Anfang 20 aus Stockholm. Sein Vater möchte im Interview mit Sveriges Radio anonym bleiben, er erinnert sich:

„Es war furchtbar, ein Albtraum. Mein Sohn wollte im Zentrum stehen und tat so, als wäre er tough. Aber er war nicht böse. Man kann das nicht vergessen. Er hatte jede Menge Kugeln im Kopf. Jede Menge.“
Warum der junge Mann ermordet wurde, weiß der Vater nicht. Denn auch das ist ein Problem: Mögliche Zeugen sprechen nicht mit der Polizei – aus Angst.

„Ich höre, dass Jugendliche darüber sprechen: „Die dort auf dem Platz – sie wissen was, wollen aber nichts sagen“. Dabei ist das so wichtig. Man kann andere Leben retten. Die, die einen töten, können zwei, drei, vier töten. Ich will, dass sie bestraft werden und dass sie ihre Tat bereuen.“
Menschen legen Bilder nieder nach einer Schießerei in einem Restaurant in Göteborg
Einer der zahlreichen Fälle von Banden-Kriminalität in Schweden: Im März 2015 starben bei einer Schießerei in einem Restaurant in Göteborg zwei Menschen, mehrere Personen wurden verletzt. Die Tat wurde rivalisierenden Gangs zugeschrieben. (pa/dpa/Adam Ihse)

Aus Angst schweigen die, die was zu sagen hätten

Im Schnitt wird nur einer von fünf Morden aufgeklärt. Und schon längst sind die Banden nicht mehr nur ein Problem der berühmt berüchtigten Vororte großer Städte wie Stockholm, Malmö und Göteborg. Geschossen wird genauso auf dem Land – die Hälfte der Toten in diesem Jahr sind hier brutal ermordet worden. Ministerpräsidentin Magdalena Andersson von den Sozialdemokraten fasste die Situation Ende April so zusammen:

"Dass sich diese Kräfte in unserer Gesellschaft festsetzen konnten, beruht im Grunde darauf, dass die Trennung sich so ausgebreitet hat, dass wir jetzt Parallelgesellschaften in Schweden haben. Wir leben im gleichen Land, aber in völlig unterschiedlichen Realitäten. Die Gesellschaft ist zu schwach, um die Segregation zu brechen und die Parallelgesellschaften zurückzudrängen.“

Polizeipräsenz im Quartier je nach Schweregrad

Das klingt nach Kapitulation. Doch seit Jahren versuchen Polizei, Behörden und Politik den Banden etwas entgegenzusetzen. Zunächst wurden Problemviertel benannt. Die betroffenen Gegenden werden in ein dreistufiges Raster einsortiert: Exponiertes Gebiet, Risikogebiet und besonders exponierter Bereich. Grundlage für die Klassifizierung sind beispielsweise sozioökonomische Faktoren wie Arbeitslosigkeit und Einkommen. Dann noch die Anzahl von Verbrechen und die Entstehung von Parallelgesellschaften. Je nach Grad der Klassifizierung wird entschieden, wieviel Polizei dort präsent ist und welche präventiven Maßnahmen eingesetzt werden. Doch was genau bedeutet das für die Viertel und wie könnte Schweden den Ausweg aus der Gewaltspirale schaffen? Polizisten, Lokalpolitiker und Bewohnerinnen aus einem der Gebiete könnten eine Antwort liefern.

Tjärna Ängar - bekannt als Klein-Mogadischu

Ich fahre nach Borlänge. In eine Industriestadt mit 50.000 Einwohnern. Sie liegt gute zwei Stunden Autofahrt von Stockholm entfernt. Vom Protz und Glanz der schwedischen Hauptstadt ist hier nichts zu spüren. Seit 2015 hat Borlänge ein ausgewiesenes Risikogebiet – also Stufe 2. Es handelt sich um den Stadtteil Tjärna Ängar. Schießereien gibt es hier so gut wie nie, aber beispielsweise Drogendelikte, eine hohe Arbeitslosigkeit und Anzeichen für eine Parallelgesellschaft. Lilla Mogadischu nennen ihn einige auch – kleines Mogadischu. Ungefähr die Hälfte der Einwohner stammt aus Somalia. In Tjärna Ängar bin ich mit Mural Isa verabredet. Auch er stammt ursprünglich aus Somalia und arbeitet inzwischen als Lokalpolitiker verantwortlich für Kultur und Ausbildung in der Region Borlänge.

„Als ich noch hier in Tjärna Ängar gearbeitet habe, da habe ich zum Beispiel in Bullermyren, gegenüber gewohnt. In Tjärna Ängar habe ich im Klöverstigen 25 gewohnt, aber auch hier in der 7, Klöverstigen 7, da habe ich auch gewohnt.“

Nach Wasserverbrauch leben hier 10.000 Menschen, nicht nur 3.000

Mursal Isa zeigt auf verschiedene Eingänge der Wohnblocks. Dreistöckig, viele Sattelitenschüsseln an den kleinen Balkonen, dazwischen Grünflächen. Das Wetter ist schlecht, wenig Menschen sind draußen. Warum die große Straße, die hierherführt, ausgerechnet Paradiesstraße heißt, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Gemeldet sind in Tjärna Ängar um die 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner, laut Schätzungen könnten es jedoch bis zu 10.000 sein. Die Wohnungsbaugenossenschaften sagen, dass der Wasserverbrauch deutlich höher sei als das, was man bei 3.000 Menschen erwarten könnte. Wie viele hier leben, weiß niemand so genau.

„Es kommt öfter vor, dass mehr Menschen als gemeldet hier wohnen, das zum Beispiel Asylsuchende bei Freunden unterkommen. Vier bis fünf Leute in einer Zweizimmerwohnung – das kommt öfter vor.“

Lokalpolitiker mit Migrationshintergrund als Brückenbauer

Mit Anfang 20 kam Mural Isa als Flüchtling nach Schweden. Er kennt beide Seiten: Die des Neuankömmlings und die des Politikers, der seine Region nach vorne bringen will.

„Ich hatte eine eigene Strategie damals: Versuche es und gebe nicht auf, dann klappt es. Man muss es versuchen und dann kann man ein, zwei, dreimal scheitern. Aber wenn man nicht aufgibt, dann kann man es am Ende auch schaffen.“

„Ali, hallo Kumpel, tschüss Kumpel“

Hallo Ali, Kumpel – Ciao! Mural Isa ist bekannt im Viertel, viele vertrauen ihm, weil er ihre Sprache spricht. Der Politiker ist wie eine Brücke zwischen dem Teil der Stadt außerhalb von Tjärna Ängar und dem Viertel selbst.

„Ein Problem hier ist, dass es zu wenig Vertrauen gibt – zum Beispiel zur Polizei. Und wenn Kriminelle das wissen, dann kommen sie her und machen dumme Sachen, weil sie sicher sein können, dass Zeugen sich nicht bei der Polizei melden.“

Misstrauische Bewohner, erlebte Stigmatisierung

Dieses mangelnde Vertrauen in die Gesellschaft bekomme ich kurz darauf zu spüren. Eine Frau kommt auf mich zu und beschuldigt mich lautstark, sie und ihre Kinder heimlich mit dem Handy gefilmt zu haben. Ich versichere ihr, dass das nicht stimmt und zeige ihr meine letzten Aufnahmen. Dann erkläre ich ihr, dass ich Journalistin bin und mehr über diesen Stadtteil erfahren möchte. Sie überlegt kurz, holt eine Freundin und beide geben mir ein Interview. Nur anonym, ihre Namen wollen sie nicht nennen. Die beiden Frauen, Anfang und Ende 20, stammen ursprünglich aus Somalia und wohnen seit über zehn Jahren in Tjärna Angär:

„Also immer wenn ich im Radio oder im Fernsehen höre oder bei Politikern, was hier passieren soll und dass es unsicher ist, verletzt mich das. Man fragt ja nie uns.“

Sie sehen sich und ihren Stadtteil oft ins falsche Licht gerückt: Hier könne man nachts um 2 Uhr alleine rausgehen ohne Angst zu haben, wiederholen beide öfter. Sie fühlen sich sicher. Außerhalb des Viertels hingegen erlebten sie Stigmatisierung.

Vertrauensbildung durch im Viertel bekannte Polizisten

„Das erste, was ich hier gelernt habe ist, dass in Schweden gelten soll: „Alle sind gleich viel wert“. Aber das stimmt nicht. Ich erlebe das nicht so. Ich bin eine schwarze, muslimische Frau. Alles drei Dinge, die schlecht sind. Wenn Leute das hören, nicht nur in Schweden sondern in der gesamten Welt, dann denken sie nur: Weg hier. Schlecht. Negativ. Dunkel.“

Doch das Tjärna Ängar als Stadtteil durchaus auch seine Probleme hat, lässt sich mit der Kriminalstatistik schnell belegen: Raub, Drogen, Vandalismus. Deshalb ist jeden Tag eine spezielle Einsatzgruppe der Polizei in Tjärna Ängar unterwegs. Immer dieselben Polizistinnen und Polizisten fahren Streife mit dem Ziel, Vertrauen zu den Bewohnerinnen und Bewohnern aufzubauen. Bei den beiden Frauen haben sie das noch nicht geschafft:

“Ich habe im Fernsehen gesehen, dass ein Junge eine Straftat angezeigt hat und erstochen wurde. Wer will das schon? Ich würde Straftaten anzeigen, aber vielleicht auch lieber nicht.“

Furcht vor Rache, Skepsis gegenüber der schwedischen Polizei

Ein sicheres Viertel, sagen sie, und fürchten sich gleichzeitig vor schwerer Rache, sollten sie eine Straftat anzeigen. Beide zweifeln daran, dass Zeugen von Polizei und Staatsanwalt geschützt würden, dass anonyme Anzeigen überhaupt möglich sind.

“Ich sehe hier kein Problem, nur mehr und mehr Polizei. Sie machen bestimmt einen guten Job und sorgen für die Sicherheit Schwedens. Aber man wird verunsichert, habe ich jetzt was falsch gemacht, laufe ich auf der falschen Stelle, verstehst du? Man vertraut der Polizei einfach weniger, wenn die hier plötzlich so auftauchen wie die da drüben, siehst du? Die sich da einfach so hinstellen.”

Sie zeigt auf vier Polizistinnen und Polizisten, die in einer Gruppe vor einem Supermarkt stehen. Sie beobachten, wer rein und raus geht und sprechen hin und wieder mit dem einen oder anderen. Die vier gehören zur Polizeistation Borlänge. Jeden Tag sind sie oder ihre Kolleginnen und Kollegen auf Streife in der Gegend, immer handelt es sich um dieselben Beamten.

Niedrige Bildung, niedriges Einkommen, Kriminalität

Später treffe ich den Leiter der Gruppe Johan Sohlberg und Borlänges Polizeichef Thomas Hellgren auf dem Revier. Tjärna Ängar - das sei ein vielschichtiges Problem, sagt Hellgren:

“Wir wissen, dass die Menschen sehr eng aufeinander leben. Das Bildungsniveau ist niedrig, das Einkommen auch – oder auch gar nicht vorhanden. Das sind die Faktoren, die die Situation dort am meisten beeinflussen. Und eine gewisse Kriminalität gibt es dort auch. Ich behaupte, dass die Mischung das Problem ist. Aber insbesondere die Sozioökonomie. Die Kriminalität ist der Teil, der sich leichter lösen lässt. Die anderen Voraussetzungen machen es deutlich schwerer.”

Und auch das mangelnde Vertrauen sei ein zentrales Problem, sagen beide. Jeden Tag versuchen sie, daran zu arbeiten, so Gruppenleiter Johan Sohlberg:

“Wir arbeiten viel mit Präsenz, wir wollen bekannt sein. Manchmal kann es so sein, dass man nicht das Vertrauen zur Polizei hat, das man haben sollte. Vielleicht wegen früherer Erfahrung mit der Polizei in anderen Ländern. Es ist aber wichtig, damit wir nicht parallele Rechtssysteme bekommen. Die Polizei soll sich um Straftaten kümmern, es ist wichtig, dass sie angezeigt werden und dass man nicht selbst die Sache in die Hand nimmt.”

Mütter einbinden zur Lösung des Gewaltproblems in Schweden

In einem Viertel mit wenig Vertrauensvorschuss für die Polizei und nicht selten auch wenig schwedischen Sprachkenntnissen ist das keine leichte Aufgabe und auch nichts, das sich von heute auf morgen lösen lässt. Ein wichtiges Puzzlestück sind die Bewohnerinnen, berichten die Polizisten:

“Grundsätzlich sind die Frauen und vor allem die Mütter eine wichtige Gruppe für eine langfristige Lösung. Es geht schließlich um ihre Kinder. Die Väter sind auch wichtig, aber es ist ja nicht neu und da gibt es auch Forschung zu: Die Mütter spielen eine entscheidende Rolle.”

Gruppenleiter Johann Sohlberg bestätigt diese These mit einem konkreten Fallbeispiel:

“Im letzten Sommer sind Polizisten mit Steinen beworfen worden. Und da kamen einige Mütter aus den Häusern und haben sehr dazu beigetragen, dass sich die Situation wieder beruhigt hat. Sie sind sehr wichtig.”

Schon Achtjährige werden in Schweden von kriminellen Banden rekrutiert

Polizistinnen bieten beispielsweise auch Gruppen für junge Mütter an, denn sie wollen gleich von Anfang an mit ihnen ins Gespräch kommen. Die Pandemie allerdings hat viele dieser Bemühungen für lange Zeit ausgebremst. 

Die kriminellen Karrieren beginnen meist schon in sehr jungem Alter, das ist nicht nur in Tjärna Ängar so, sondern in ganz Schweden. Bereits 8-Jährige werden von kriminellen Banden angesprochen für kleinere Dienste; natürlich auch mit dem Ziel perspektivisch für Nachwuchs zu sorgen. Und Kinder und Jugendliche seien leichte Beute für die Kriminellen, glaubt Polizeichef Hellgren. Denn wer ausgegrenzt ist, wenig Geld hat, ist offen für ein schnelles Geschäft.

“Du hast vielleicht kein Geld, keinen Einfluss, nicht das soziale Niveau wie andere in deiner Umgebung. Und dann kommt ein Typ und sagt: Nimm dieses Paket und bring es dorthin. Du bekommst 50 Euro oder vielleicht sogar 100 Euro. Da kann man gut verstehen, dass ein Jugendlicher das macht. Und da müssen wir ansetzen. Dass sie sagen, nein danke, kein Interesse.”

Schärferes Jugendstrafgesetz, auch das Abhören ist leichter geworden

Die Polizeigruppe, die in Tjärna Ängar arbeitet, ist derzeit unterbesetzt. Zehn Polizistinnen und Polizisten sollen es irgendwann mal sein. In ganz Schweden soll die Polizei deutlich verstärkt werden, denn im Vergleich zu anderen Ländern Europas gibt es hier nicht besonders viele Beamtinnen und Beamte – im Gegenteil. Doch Polizeichef Thomas Hellgren aus Borlänge sagt auch: Quantität alleine reicht nicht. Mehr Polizistinnen und Polizisten müssten ausgebildet sein für kritische Gebiete wie Tjärna Ängar. Und im Idealfall sollten einige von ihnen von hier stammen, aber so weit sei man noch nicht:

“Das scheitert oft daran, dass Menschen eine kriminelle Vergangenheit haben, es scheitert an der Staatsbürgerschaft aber auch am Bildungsniveau. Leider. Es wäre ideal, wenn wir Menschen von dort bei uns hätten, die eine Brücke zu den Bewohnern schlagen würden. Aber es scheitert oft an so vielem.”

Mehr Polizei und härtere Strafen – das scheint eine Lösung zu sein, glaubt man der Politik. Sowohl die regierenden Sozialdemokraten als auch die bürgerliche Opposition halten das für eine gute Idee. Und einiges hat sich in den letzten Jahren bereits getan: Das Jugendstrafgesetz wurde verschärft, Abhörmaßnahmen können leichter eingesetzt werden.

Schulen, Kindergärten und Sozialdienste müssen mit den ganz Jungen arbeiten

Anders Thornberg ist Polizeichef von ganz Schweden und verantwortlich für 22.400 Polizistinnen und Polizisten. Wir treffen uns im Polizeipräsidium Stockholm zu einem Pressegespräch, dass seit einigen Monaten jede Woche stattfindet. Die Nachfrage bei den Medienvertretern ist groß und auch dieses Mal wollen fast alle Anwesenden über die Bandenkriminalität sprechen. Direkt kommentieren will Polizeichef Anders Thornberg die politischen Maßnahmen und Entscheidungen nicht... zumindest zunächst nicht.

“Ich bin kein Politiker, ich bin seit 42 Jahren Polizist. Wir geben unser bestes. Die Polizei muss gestärkt werden. Schweden gehört zu den Ländern mit den wenigsten Polizeikräften in Europa, und dass obwohl unsere Bevölkerung wächst und die Kriminalität zunimmt.”

Und es sei falsch, sagt er, nur auf die Polizei zu zeigen. Denn Kinder und Jugendliche müssten bereits ganz früh angesprochen werden, damit Hilfe vor der ersten Straftat bereit steht.

“Was aber nicht im gleichen Takt wie die Kriminalität zunimmt, das sind die Ressourcen für Schulen, Kindergärten und Soziale Dienste. Die müssen mit den ganz jungen arbeiten. Das ist eigentlich nicht die Aufgabe der Polizei. Meine Leute da draußen, die schreiben mehrere hundert Meldungen jeden Tag an die Sozialbehörden über junge Menschen, denen es schlecht geht. Über die, von denen wir wissen, dass diese Kinder Kriminelle werden, wenn niemand eingreift. Da muss die ganze Gesellschaft mithelfen und wir müssen auch unseren Job machen und mehr werden.”

Kein „Wir-Gefühl“: "Man muss das Problem sehr, sehr ernst nehmen"

Auch der Lokalpolitiker Mural Isa glaubt, dass das Problem so vielschichtig ist, dass es keine einfache Lösung gibt. Nur gemeinsame Anstrengungen aller Seiten könnten die Situation verbessern.

„Es braucht radikale Veränderungen in der Art und Weise, wie mit den Menschen hier gesprochen wird. Man muss einen Dialog führen, Polizei und Bewohner müssen noch enger zusammenarbeiten – mit deutlicher Ansprache. Um die Arbeitslosigkeit zu senken, müssen Unternehmen in der Region sich öffnen und den Bewohnern eine Chance geben, damit sie praktische Erfahrung sammeln können. Es braucht ein „Wir-Gefühl“, man muss das Problem sehr, sehr ernst nehmen.“

Die beiden Bewohnerinnen aus Tjärna Änga hätten vermutlich genickt, hätten sie Mural Isa zugehört. Auch sie vermissen etwas wie ein “Wir-Gefühl”:

„Nicht nur die Migranten, auch die Schweden sollten alle zusammenarbeiten für eine beste Gemeinschaft. Ich will, dass man wirklich beide Perspektiven berücksichtigt und dann das Problem gemeinsam löst.“

Mehr Polizisten einstellen, als Kriminelle rekrutiert werden

Ideen gibt es viele. Und auch schon erste Ergebnisse: Schärfere Strafen auch für junge Täter, mehr Polizei als früher und auch mehr Überwachung. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass auch in diesem Jahr die Zahl der Toten durch Schusswaffen wieder ansteigen wird. Doch wann ist die Trendwende zu erwarten? Anders Thornberg, der Polizeichef des Landes kann es nicht sagen:

„Ich kann das nicht sagen, es wird lange dauern. So lange mehr Kriminelle von Banden rekrutiert werden, als neue Polizisten eingestellt werden oder andere Stellen gestärkt werden, wird es so weitergehen und vielleicht noch schlimmer werden. Wir haben eine Chance, aber es wird lange dauern. Wir müssen jetzt mit den Maßnahmen starten.“