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Schweden-Krimis für das deutsche Fernsehen

Mit "Das vierte Opfer" startet die ARD am Sonntag eine sechsteilige Reihe mit Verfilmungen von Romanen des schwedischen Bestsellerautors Hakan Nesser. Neben Henning Mankell ist Nesser der bekannteste Protagonist der schwedischen Krimi-Szene. Warum die Schweden-Krimis gerade in Deutschland so gut ankommen, ist für Nesser "ein wenig rätselhaft".

Moderation: Eric Leimann | 03.07.2007
    Eric Leimann Neben Henning Mankell ist er der bekannteste Protagonist des schwedischen Krimi-Booms: Die Werke Hakan Nessers, Jahrgang 1950, gewinnen Preise für ihre feinmaschige Webart und erreichen in Deutschland ein Millionenpublikum. Zehn Bücher mit seinem bekanntesten Helden, Kommissar Van Veeteren, brachte Nesser zu Papier. Diese Serie ist in Schweden wie auch im Ausland überaus erfolgreich, sie erscheint in 15 Ländern. Und allein in Deutschland wurden bislang über drei Millionen Exemplare verkauft.

    Sechs der zehn Romane hat das schwedische Fernsehen nun verfilmt - mit dem Charakterdarsteller Sven Wollter (bekannt aus Andrej Tarkowskijs Film "Opfer") in der Hauptrolle. Die ARD zeigt die Schwedenkrimis ab kommendem Sonntagabend (8. Juli, 21.45 Uhr) auf dem alten Sendeplatz von "Sabine Christiansen". Im Büchermarkt-Gespräch mit Eric Leimann erklärt Hakan Nesser die ganz besondere Beziehung zu seiner Figur, Kommissar Van Veeteren. Er versucht sich an einer Erklärung des skandinavischen Krimi-Booms und er sagt uns, warum seine Literatur so anders ist als die seines Kollegen und Landsmannes Hennig Mankell.

    Ihr Held Van Veeteren ist nicht mehr der Jüngste. Im ersten der sechs Filme geht er als Kommissar in Rente. Haben Sie sich bewusst für einen älteren Helden entschieden?

    Hakan Nesser: Als ich mit dem Schreiben der Bücher begann, wollte ich eine Figur erschaffen, die etwa zehn Jahre älter war als ich. Im ersten Buch ist Van Veeteren 55, im letzten 65. Er sollte ein traditioneller Kommissar sein, so wie man ihn von Georges Simenons "Maigret" kennt: desillusioniert, ältlich, ein bisschen verbittert, was das Leben betrifft, aber mit einem goldenen Herzen. In den Romanen wird er erst in der Mitte der zehn Romane pensioniert. Dann eröffnet er ein Antiquariat und beschäftigt sich mit alten Büchern. Seine Ex-Kollegen von der Polizei, andere Charaktere also, bekommen dann mehr Raum. Weil Van Veeteren aber so ein intelligenter Polizist mit einzigartiger Intuition ist, brauchen die immer mal wieder seine Hilfe.

    Leimann: In einem älteren Interview haben Sie mal erzählt, dass Van Veeteren die Funktion einer Vaterfigur für Sie hatte. Warum war diese Romanfigur von so großer Bedeutung für Sie?

    Nesser: Wenn man über jemanden schreibt, von dem man alles weiß, über den man die absolute Kontrolle hat, kann das schnell langweilig werden. Für den Schriftsteller und den Leser ist es interessanter, wenn diese Figur ein wenig rätselhaft bleibt. Van Veeteren weiß eine Menge über das Leben und seine verschlungenen Pfade. Er ist eine Art Vaterfigur für mich, und das ist eine interessante Erzählperspektive. Mein neuer Kommissar Gunnar Barbarotti, von dem im August das erste Buch in deutscher Sprache erscheint, ist dagegen eher wie ein Bruder für mich.

    Leimann: Würden Sie sagen, dass wir uns in einer Blütezeit guter Krimis befinden?

    Nesser: Ja, das würde ich sagen. Der Grund dafür ist, dass der Krimi ein realistisches Genre ist. Was die normale Literatur betrifft, ist Realismus derzeit nicht besonders angesagt. Die Leser suchen aber nach realistischen Geschichten. Ein Krimi muss dagegen immer realistisch sein und außerdem eine gute Geschichte erzählen - mit einem Anfang und einem Ende.

    Leimann: Schwedische Kriminalliteratur ist sehr populär derzeit, vor allem auch in Deutschland. Haben Sie eine Theorie, warum das so ist?

    Nesser: Selbstverständlich bekomme ich diese Frage in Deutschland immer wieder gestellt. Vielleicht hat es mit Astrid Lindgren zu tun. Viele Deutsche haben als Kinder ihre Bücher gelesen und fühlen sich deshalb zu Schweden hingezogen. Die Deutschen mögen Schweden, weil es ein benachbartes Land ist, ein bisschen exotisch, aber doch auch gar nicht so sehr anders als Deutschland. Bei uns gibt es nette Seen, viel Platz und schöne Häuser. Schweden hat einfach einen Platz im Herzen der Deutschen, warum auch immer. Vielleicht mögen sie deshalb auch Kriminalliteratur aus Schweden. Insgesamt ist das aber durchaus auch für mich ein wenig rätselhaft.

    Leimann: Vielen skandinavischen Krimis ist eine gewisse Düsterheit, ein Gefühl der Melancholie gemeinsam. Ist das Zufall ,oder lieben es die Schweden beispielsweise, melancholische Kriminalgeschichten zu erzählen?

    Nesser: Wir haben den Ruf, ein wenig melancholisch oder düster zu sein. So wie Ingmar Bergmann, der hat auch nicht allzu viele lustige Filme gedreht. Dafür war sie aber ziemlich gut. Wenn man Krimis oder überhaupt Literatur schreibt, ist immer gut, aus der Dunkelheit zu kommen. Das mögen auch die Deutschen offensichtlich. Warum sollten Kriminalromane auch lustig sein? Das ist unmöglich, denn es geht um Tod, um die dunklen Aspekte des Lebens.

    Leimann: Sie leben zurzeit in den USA, der Heimat der Hard-Boiled Kriminalliteratur. Was sagen die Amerikaner über die schwedischen Autoren?

    Nesser: Momentan werden eine ganze Reihe schwedischer Krimiautoren übersetzt und in den USA, Kanada und Großbritannien veröffentlicht. Autoren wie Henning Mankell und ich unterscheiden uns aber doch deutlich voneinander. Was uns gemeinsam ist: Wir legen ein langsameres Tempo an den Tag als es die Amerikaner tun. Bei uns gibt es kein "hard boiled" und viel weniger Action. Stattdessen nehmen wir uns Zeit. Das ist typisch europäisch. Man kann ja auch einem Film anhand seines Tempos sofort ansehen, ob er europäischer oder amerikanischer Herkunft ist. Wir Europäer wagen die Langsamkeit und vielleicht haben die Amerikaner erkannt, dass genau das unsere Stärke ist.

    Leimann: Sie haben Hennig Mankell erwähnt, wie gut kennen Sie ihn? Lesen Sie seine Bücher?

    Nesser: Ich lese seine Bücher. Ich glaube sogar, dass ich sie alle gelesen habe, auch wenn ich mir da nicht ganz sicher bin. Er ist kein persönlicher Freund, aber selbstverständlich haben wir uns bei einigen Gelegenheiten getroffen. Ich mag seine Bücher und freue mich darüber, dass sie so anders sind als meine.

    Leimann: Wenn Sie jemandem erklären müssten, wo die Unterschiede liegen zwischen Mankells Krimis und Ihren, wie würden Sie das machen?

    Nesser: Wir unterscheiden uns auf jedem Fall darin, dass Henning Mankell einen politischen Ansatz verfolgt. Er ist ein Mann mit einer Mission. Er hat schon zu Anfang seiner Wallander-Reihe gesagt, dass er die schwedische Gesellschaft beschreiben möchte: Rassismus, Korruption und andere Dinge, die zur Erosion des Systems Schweden beitragen. Er ist ein politischer Autor, und in vielerlei Hinsicht teile ich seine Ansichten. Trotzdem bewege ich mich selbst auf einem anderen Feld. Ich möchte jetzt nicht sagen Familiendrama, aber es sind auf jeden Fall unpolitischere Geschichten. Kritik der sozialen Verhältnisse gibt es bei mir zwischen den Zeilen viel weniger explizit als bei Mankell. Mein Genre ist eher das, was man als psychologisches Drama bezeichnet.

    Leimann: Ihre Van-Veeteren-Romane spielen in einer fiktiven Stadt in einem fiktiven Land. Das lässt den Schluss zu, dass Ihnen die Fantasie des Lesers sehr am Herzen liegt. Nun gibt es Filme, die konkrete Bilder erzeugen. Wie gut können Sie damit leben?

    Nesser: Wenn man Bücher mit Filmen vergleicht, ist es doch immer so: Als Leser ist man selbst aktiver im Prozess des Lesens. Beim Filme schauen wird einem der Kopf gefüllt. Ich mag die Filme, ich bin glücklich damit und verstehe, warum man viele Dinge verändern oder vereinfachen musste. Wie soll man auch sonst 400 Seiten in 90 Minuten verpacken? Ich finde alle sechs Filme gelungen, wenn man sich vorher klar macht: Ein Buch ist ein Buch, ein Film ein Film. Sie dürfen niemals erwarten, bei einer Romanverfilmung die Bilder zu sehen, die Sie beim Lesen im Kopf hatten. Es wird immer anders sein.

    Leimann: Hatten Sie ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Schauspielers, der Ihre Romanfigur Van Veeteren verkörpert?

    Nesser: Nein, ich hatte weder mit dem Drehbuch noch mit dem Casting etwas zu tun. Als sie mich aber fragten, was ich von Sven Wollter als Hauptdarsteller halte, war ich natürlich sehr zufrieden. Sven Wollter ist ein äußerst bekannter, sehr guter schwedischer Schauspieler. Er ist über 70 und besitzt diese seltsame Energie, die einige Schauspieler einfach haben. Wenn man ihn auf der Bühne erlebt, muss man ihn ständig beobachten, auch wenn er einfach nur so da steht. Wenn ich einen weiteren Van-Veeteren-Roman schreiben würde - was ich allerdings nicht vorhabe - hätte ich jetzt sicher Sven Wollter im Kopf. Ich sehe sein Gesicht ständig vor mir.