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Schweden
Muslime in Gefahr

In Schweden werden Moscheen und muslimische Gebetsräume häufig bedroht oder attackiert. Auf staatliche Hilfe konnten sie bisher nicht setzten. Eine Erhebung des Muslimischen Rates soll nun zeigen, wie es um die Sicherheit der Gläubigen tatsächlich steht.

Von Randi Häußler | 25.03.2014
    In einem kleinen Gebetslokal in Stockholm macht Shazad Kayani eine Runde durch die Räume. Er gehört zur islamischen Gemeinde hier und kümmert sich um das Lokal, das die Muslime mieten, um sich zum Gebet zu versammeln. Das Lokal besteht aus fünf Zimmern im Erdgeschoss, es gibt nur einen einzigen Eingang, und alle Fenster sind vergittert.
    "Die Gitter sind hier in den Mauern festgeschraubt. Sollte etwas geschehen, dann käme hier keiner raus. Wir haben keinen Notausgang."
    Shazad Kayani hat die Kommune gebeten, Gitter zu installieren, die sich aufschließen lassen. Doch er wurde vertröstet, aufs nächste Jahr, wenn ohnehin die Hausfassade renoviert werden soll.
    Nur stellt sich die Frage, ob das nicht zu spät sein könnte. Schwedens Moscheen und Gebetsräume werden vermehrt bedroht und angegriffen: In ihren Briefkästen finden sich Messer und Glasscherben, Mauern und Türen werden mit Hakenkreuzen beschmiert, Schweinefüße oder Schweineköpfe vor die Eingänge gelegt. In einem Fall wurden die Türen von außen blockiert und dann die Fensterscheiben eingeschlagen, während sich drinnen Menschen befanden.
    200 Fragebögen verschickt
    Im Schnitt werde jede große Moschee im Land einmal pro Woche attackiert, sagt Helena Hummasten vom Verband der Muslime in Schweden. Sie ist sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis jemand durch eine Attacke ernstlich verletzt wird oder gar ums Leben kommt.
    Um einen Überblick über die Bedrohung muslimischer Einrichtungen und deren Sicherheitsvorkehrungen zu bekommen, hat der Verband jetzt eine Umfrage an alle Moscheen und Gebetsräume des Landes gerichtet, 200 Fragebögen wurden verschickt.
    "Wir möchten einen Überblick bekommen, ob man auf eventuelle Anschläge vorbereitet ist. Ob es zum Beispiel Gitter vor den Fenstern gibt oder Kameras montiert wurden, solche Fragen stellen wir auch in der Umfrage - wie man möglichen Attacken gegenüber gerüstet ist."
    Häufig wüssten die muslimischen Gemeinden nicht, was sie nach einem Anschlag tun sollen. Ob sie Anzeige erstatten sollen - oder nicht. Viele fühlten sich einfach machtlos, glaubten, dass die Täter sowieso nicht gefasst würden, sagt Hummasten. Oder man will die Sache nicht an die große Glocke hängen, um keine Nachahmer anzuspornen.
    "Aber dann muss man auch einfach irgendwann aufhören Angst zu haben und stattdessen etwas unternehmen. Wir müssen uns einfach überlegen, wie wir uns schützen können."
    Kurz nach 12 Uhr, im zentral gelegenen Stockholmer Stadtteil Södermalm. Hier liegt auf einer Anhöhe eine von Stockholms größeren Moscheen. Ein stetiger Strom von Gläubigen steigt die Stufen zur Moschee hinauf.
    Rechtsextreme Aktivitäten von Neo-Nazi-Gruppen gestiegen
    In einer Nacht Anfang Januar war das Eingangstor der Moschee mit Hakenkreuzen beschmiert worden. Dennoch haben die meisten Besucher keine Angst, herzukommen.
    "Ich mache mir keine Sorgen", sagt dieser Mann. "Natürlich, hin und wieder kommen mal Kinder her und machen solchen Unsinn. Aber es ist dennoch sicher."
    Auch diese Frau hat keine Bedenken, herzukommen.
    "Ich fühle mich sicher. Wir kommen jeden zweiten Freitag her oder auch zwischendurch, wenn wir Zeit haben - kein Problem!"
    Wer genau für die Anschläge auf die Moscheen und Gebetsräume verantwortlich ist, bleibt meist unbekannt. Doch Forscher sind sich einig: Rechtsextreme Aktivitäten schwedischer Neo-Nazi-Gruppen sind in letzter Zeit dramatisch gestiegen. Die Stiftung "Expo", die sich mit Rechtsextremismus befasst, glaubt, dass die erhöhten Aktivitäten mit den anstehenden Wahlen zu tun haben. Schweden wählt nämlich im Herbst ein neues Parlament, und vor den Europawahlen im Mai bringen sich die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten" in Stellung.
    Erst vor wenigen Tagen haben rund 9.000 Menschen in der südschwedischen Stadt Malmö gegen Rechtsextremismus demonstriert. Anlass war eine Messerattacke, bei der mehrere Männer wahrscheinlich von Rechtsextremen zum Teil schwer verletzt worden waren. Eine Demonstrantin sagte dem schwedischen Fernsehen:
    "Wir sind heute so viele hier, weil wir zeigen wollen, dass Neo-Nazis hier in Malmö nicht willkommen sind. Und das werden sie auch in Zukunft nicht sein."
    Politologin: Kein Rechtsruck in der schwedischen Gesellschaft
    Dennoch: Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt fürchtet bereits um das Image des Multikulti-Landes. Nationalismus und Rassismus beschmutzten vieles, was die Menschen positiv mit Schweden verbinden, sagte er der Zeitung Aftonbladet. Die Politologin Marie Demke, die jahrelang zu diesem Thema geforscht hat, sieht allerdings keinen Rechtsruck in der schwedischen Gesellschaft:
    "Schaut man in die Breite, dann sieht man, dass die schwedische Gesellschaft langsam aber stetig immer offener gegenüber kultureller Vielfalt wird - was aber nicht bedeutet, dass sich nicht Gruppen gegen diese Entwicklung mobilisieren."
    In den Stockholmer Gebetsräumen begrüßt Shazad Kayani an manchen Tagen bis zu 40 Menschen zum Gebet. Konkrete Drohungen oder Attacken haben sie hier bislang zum Glück nicht erlebt. Dennoch hält er die Umfrage des muslimischen Verbandes für wichtig:
    "Vielerorts gibt es wirklich große Probleme. Auch wenn ich nicht finde, dass das, was wir hier tun, Anlass für Probleme zwischen Menschen sein sollte. Religion spendet doch Ruhe."
    Shazad Kayani faltet das Formular mit den Fragen des Muslimischen Verbandes zusammen und steckt es in den Rücksende-Umschlag. Gleich wird er es zum nächsten Briefkasten bringen.