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Schweden
Nobelpreiskomitee: erst Belästigungsskandal, jetzt Überlebenskampf

Die Schwedische Akademie, die Jury für den Literaturnobelpreis, droht nach einem Belästigungsskandal zu zerbrechen. Mehrere Mitglieder sind zurückgetreten - nun ist das Gremium nicht mehr handlungsfähig. Möglicherweise kann König Carl-Gustaf dabei helfen, einen Neubeginn zu ermöglichen.

Von Carsten Schmiester | 13.04.2018
    Dachspitze der Schwedischen Akademie in Stockholm: Hier werden jedes Jahr die Nobelpreise bekanntgegeben.
    Dachspitze der Schwedischen Akademie in Stockholm: Hier werden jedes Jahr die Nobelpreise bekanntgegeben. (imago/stock&people/Jochen Tack)
    Die Schwedische Akademie erlebt zurzeit die schwerste Krise seit ihrer Gründung im Jahr 1786. Das Institut, das den Literaturnobelpreis vergibt, muss ums Überleben kämpfen. Gestern traten die Vorsitzende Sara Danius sowie das Mitglied Katarina Frostenson zurück. Es herrscht Katerstimmung. Der Vertrauensverlust ist bei den Beteiligten groß.
    "Ich verlasse den Posten der Ständigen Sekretärin. So hat es die Akademie gewollt. Der Beschluss bedeutet für mich auch, dass ich mit sofortiger Wirkung meinen Stuhl verlasse, Stuhl Nummer sieben. Und wie fühlt sich das an? Ganz gut!".
    Das sagte die Literaturwissenschaftlerin Danius gestern Abend in Stockholm nach einem Treffen der verbliebenen aktiven Mitglieder. Sie war die erste weibliche Vorsitzende des Gremiums.
    Die Akademiemitglieder sind in Schweden allesamt Berühmtheiten. Sie gelten als Kulturbotschafter des Landes. Ihr Gremium wurde bisher als eine Art Geheimbund der Erleuchteten verehrt. "Die Achtzehn" - oft werden sie nur mit der Nummer der von ihnen nach bisherigen Statuten auf Lebenszeit besetzten Stühle bezeichnet.
    Tiefer Riss in der Akademie
    Neben Danius‘ Stuhl Nummer sieben ist seit gestern auch die Nummer 18 vakant. Die Lyrikerin Frostenson war ebenfalls zur Aufgabe gedrängt worden. Ihr Mann steht im Zentrum der Krise, er soll 18 Frauen aus dem Umfeld der Akademie sexuell belästigt, sieben Mal jeweils noch geheime Namen von künftigen Trägern des Literaturnobelpreises ausgeplaudert und für einen von ihm betriebenen Kulturklub Gelder der Akademie angenommen haben. Ein Versuch, Frostenson per Abstimmung aus der Akademie auszuschließen, war gescheitert.
    Ex-Akademiechef Horace Engdahl stellte sich in dem Gremium gegen den Ausschluss von Frostenson. Im Radio berichtete er von einem großen Krach gestern während der Sitzung.
    "Wir hatten eine sehr tiefgehende Diskussion über die Tatsache, dass die Mehrheit der Akademie ein schwerwiegenes Problem mit der Führung hatte", sagte er. "Das hat zu einem derart tiefen Riss geführt, dass es einfach unmöglich war, so weiterzumachen." Ein radikaler Schnitt sei nötig gewesen, damit es einen Neubeginn geben könne.
    Schwieriger Neubeginn
    Nur, wie könnte dieser Neubeginn aussehen? Weil vor Danius und Frostenson bereits drei Mitglieder im aktuellen Streit ihre Mitarbeit für beendet erklärt und zwei weitere sich zuvor aus anderen Gründen zurückgezogen hatten, sind von den 18 Akademiemitgliedern derzeit nur elf aktiv.
    Das sind zu wenige für die Wahl neuer Mitglieder - und wohl auch für die Vergabe des Literaturnobelpreises. Die Institution ist dabei, sich selbst zu zerstören. Der Ruf ist bereits ruiniert.
    Heute trifft sich der kommissarische Leiter der Akademie, Anders Olsson, mit König Carl-Gustaf. "Wir arbeiten jetzt am Übergang zu einer neuen Akademie und müssen versuchen, sie wieder aufzubauen", sagt er. "Wir tun das in einer enorm kritischen Lage."
    Statuten ändern als möglicher Ausweg
    Ein Machtwort des Königs, des Schirmherren der Akademie, würde sicher helfen. Carl-Gustav sagte, dass er bereit sei, die Statuten zu ändern, um inaktiven Mitgliedern vor ihrem Tod den Ausstieg zu ermöglichen. Nur so könnten neue Mitglieder gewählt und damit auch ein Neubeginn möglich werden.
    Sollte das nicht passieren, will Olsson versuchen, möglichst viele der "Aussteiger" zur Rückkehr zu überreden, auch die zurückgetretene Chefin Danius. Das klingt verzweifelt, denn dafür dürfte sich das Verhältnis zwischen ihr und den anderen Mitgliedern der Akademie inzwischen zu sehr verschlechtert haben.