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Schweden
Wie Malmö gegen sein schlechtes Image angeht

Die schwedische 300.000-Einwohner-Stadt Malmö hat laut der Nachrichtenagentur Reuters eine drei Mal höhere Mordrate als London. Seit dem Tod eines 16-jährigen Schülers vor einem Monat haben regionale Zeitungen Kampagnen gestartet, um die Malmöer im Kampf gegen Gewalt ins Boot zu holen.

Von Victoria Reith | 07.02.2017
    Malmö, Schweden, Gedenken für Mordopfer Ahmed.
    Vor knapp einem Monat in Malmö erschossen - der 16-jährige Ahmed Obaid. (Deutschlandradio / Victoria Reith)
    Malmö, Stadtteil Rosengård. Doch der Rosengarten zeigt sich wie ganz Südschweden zu dieser Jahreszeit nicht bunt, sondern grau in grau. Die Plattenbauten und gepflasterten Wege, die das Zentrum des Viertels prägen, tragen dazu bei.
    An der Bushaltestelle Rosengård Centrum ist ein Pappschild mit Trauerflor und dem Porträt des 16-jährigen Ahmed Obaid zu sehen, davor stehen gelbe, rote, pinke Rosen - und Kerzen. Der Jugendliche wurde vor knapp einem Monat an dieser Stelle erschossen.
    Malmö hat einen Zuwandereranteil von 32 Prozent
    Die Bandenkriminalität in Malmö hat Hochkonjunktur. Doch der Teenager gehörte keiner Bande an – er ging zur Schule, war nicht vorbestraft oder in kriminelle Aktivitäten verwickelt.
    "Früher war das Leben hier gut. Aber nach dem, was mit Ahmed Obaid passiert ist, ist es traurig."
    Problemviertel Rosengård in Malmö, Schweden. Hier liegt der Einwandereranteil bei über 60 Prozent.
    Problemviertel Rosengård in Malmö, Schweden. Hier liegt der Einwandereranteil bei über 60 Prozent. (Deutschlandradio / Victoria Reith)
    Maria ist 18, sie ist in Rosengård aufgewachsen und kannte den erschossenen Jungen. Möglicherweise war er nur ein Zufallsopfer der Bandenkriminalität, so eine Theorie der Polizei. Der Angriff könnte jemand anderem gegolten haben.
    Malmö ist die Stadt in Schweden mit dem höchsten Zuwandereranteil. 32 Prozent der Einwohner sind im Ausland geboren, im Stadtteil Rosengård sind es rund 60 Prozent. "Segregation" ist einer der Begriffe, der im Zusammenhang mit Malmö häufig fällt – ebenso wie Gewalt und Kriminalität. Die 18-jährige Maria ist besorgter denn je.
    "Vor Ahmeds Tod konnte ich mit dem Bus zur Schule fahren, aber jetzt fährt mich mein Vater. Manchmal habe ich Angst, viele sagen, es wird bald noch mehr Tote geben."
    Drohungen in den Social Media
    Nach der Tat wurde ein Foto des erschossenen Jungen in sozialen Netzwerken verbreitet, gemeinsam mit der Drohung "Euer Tag kommt bald" an die Mitschüler gerichtet. Absender anonym.
    Diese 28-Jährige ist auf dem Weg in die Kita, um ihren Sohn abzuholen. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Sie arbeite als Lehrerin, erzählt sie, und beschreibt das Leben in Rosengård, wo sie seit sechs Jahren lebt, etwas trotzig so:
    "Alltäglich, gewöhnlich eben. Mist passiert überall in Malmö, überhaupt überall. Es ist leicht, ein gewisses Gebiet, das sozial und ökonomisch schwach ist, als problematisch zu bezeichnen. Klar gibt es hier mehr Armut. Deshalb muss man in Kinder und Jugendliche und Aktivitäten für sie investieren. Andernfalls landen sie in den falschen Kreisen."
    Polizei in der Kritik
    Weil sie die Gewalt nicht unter Kontrolle bekommt, ist auch die Polizei in die Kritik geraten. Und Malmös Polizeichef Stefan Sintéus zeigt sich nicht gerade zuversichtlich, dass sich das schnell ändern könnte, obwohl die Bundespolizei mit Personal aushilft. Die Polizei habe nicht nur Personalmangel zu beklagen, so Sintéus im Schwedischen Rundfunk.
    "Wenn es um die Kompetenz geht, diese Art von Kriminalität zu bekämpfen, brauchen wir mehr Erfahrung. Die ist im Moment Mangelware bei uns. Es dauert einfach, erfahrene Mordermittler auszubilden."
    In einem offenen Brief in der Malmöer Zeitung Sydsvenskan bittet Stefan Sintéus die Bevölkerung daher um Mithilfe. Der Artikel ist Teil des Projekts Hashtag #framåtmalmö, "Vorwärts Malmö", mit dem die Zeitung im Laufe dieses Jahres einen Dialog anstoßen will - über die Probleme der Stadt, aber auch über Lösungsansätze. Auch für die Zeitung Sydsvenskan war Ahmed Obaids Tod ein Anstoß, den Dialog zu fördern und konstruktive Stimmen zu Wort kommen zu lassen.
    Der Traum von einem Uni-Campus im Problemviertel
    Eine Bewährungshelferin schreibt da zum Beispiel, dass die meisten verurteilten Jugendlichen eigentlich kein kriminelles Leben führen wollten. Ein Universitätsmitarbeiter, der aus dem Iran stammt, beschreibt seinen Traum von einem Uni-Campus in Rosengård, der nicht nur den Stadtteil stärkt, sondern ganz Malmö. Auch die Berichte zur Trauerfeier für den 16-jährigen Obaid laufen unter dem Hashtag.
    Ein Teil der Lösung sein
    Das Projekt solle nicht verschweigen, dass die Gewalt existiert, erklärt der Nachrichtenchef der Sydsvenskan, Marcus Ekdahl. Aber:
    "Wir wollen einen anderen Teil von Malmö hervorheben, und die Menschen zusammenbringen, die vielleicht etwas Gutes tun wollen und nicht so richtig wissen, wie. Gute Beispiele aufzeigen, die Verantwortung zurückgeben an die Mitbürger. Zeigen, was ich als Einzelner tun kann, um die Situation zum Besseren zu verändern."
    Auch die Journalisten wissen, dass sie Malmö nicht von heute auf morgen umkrempeln werden. Aber sie haben sich vorgenommen, ein Teil der Lösung für die Probleme ihrer Stadt zu sein.