Donnerstag, 18. April 2024

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Schweden
Wiedereinführung der Wehrpflicht wird diskutiert

Schweden war seit mehr als 200 Jahren in keinem Krieg mehr aktiv. Seine Streitkräfte hat das Land schon in den 90er-Jahren reduziert. Jetzt wird sich das aller Voraussicht nach ändern, denn der andauernde Konflikt mit Russland und die Flüchtlingskrise lassen auch den Ruf nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht laut werden.

Von Carsten Schmiester | 12.05.2016
    Farbfoto einer energisch ausschreitenden Einheit von Soldaten der schwedischen Königsgarde vor dem Schloss in Stockholm
    Soldaten der Königsgarde während der Wachablösung vor dem Stockholmer Schloss (Imago/Lindenthaler)
    Wachwechsel vor dem Stockholmer Schloss. Blaue Uniformen, altmodische Pickelhauben, Pferde, Säbel, Blechbläser. Theater für Touristen, anders wird die Armee kaum noch wahrgenommen. Schweden und Soldaten, das ist eben - eigentlich - ein Widerspruch. Das notorisch neutrale Land ist seit mehr als 200 Jahren in keinen Krieg mehr aktiv verwickelt gewesen, es hat die Stärke der Streitkräfte seit Mitte der 1990er Jahre auf heute nur noch knapp über 30.000 Frauen und Männer deutlich reduziert und dann nach mehr als einem Jahrhundert die Wehrpflicht ausgesetzt:
    Zu teuer, nicht mehr nötig angesichts kaum noch spürbarer Bedrohungen. Das war 2010 und womöglich etwas voreilig. Die Zeiten haben sich geändert, plötzlich fühlen sich die Schweden wieder von Moskau bedroht und gleichzeitig von der Flüchtlingskrise überfordert. Außenministerin Margot Wallström denkt seither gerne mal laut darüber nach, junge Schweden wieder zum Dienst für den Staat zu verpflichten.
    Masse macht man nur mit Wehrpflichtigen
    "Neben einer allgemeinen Wehrpflicht sollte man vielleicht auch über einen zivilen Teil nachdenken, den Männer und Frauen machen könnten. Das könnte helfen, um Naturkatastrophen zu bekämpfen. Dafür braucht man viel Personal. Man könnte auch der Einwanderungsbehörde helfen, Flüchtlinge aufzunehmen oder es könnten verschiedene Umwelteinsätze sein."
    Auch das Militär ist inzwischen der Meinung, dass Wehrpflichtige wieder wichtig wären, um den gewachsenen Bedrohungen zu begegnen. Allerdings gab es zu Beginn der Debatte noch kritische Stimmen. Etwa die von Jan Thörnqvist, damals Kommandeur der Marine.
    "Seit wir die Wehrpflicht abgeschafft haben, sehen wir weiterhin gute Leistungen der Zeit- und Berufssoldaten. Angesichts der komplexen Aufgaben, die wir heute haben, passt die Wehrpflicht nicht mehr zur Marine. Aber vielleicht sieht das in anderen Teilen der Armee anders aus.
    Das ist offenbar der Fall. Experten, und das sind Zeit- und Berufssoldaten, werden als Spezialisten benötigt, Masse macht man aber nur mit Wehrpflichtigen. Die Idee, diese Wehrpflicht wieder einzuführen, wird deshalb offen und mehrheitlich positiv diskutiert. Viele Schweden stimmen Kalle Olsson zu, der als Sozialdemokrat im Verteidigungsausschuss der Regierung sitzt.
    "Eine sehr gute Basis fürs ganze Leben"
    "Die Lage hat sich verschlechtert, wir hatten den Georgienkrieg, die Ukrainekrise, wir haben ein Russland, das immer unberechenbarer auftritt und das auch wir immer aggressiver behandeln. Das muss man im Blick haben, wenn man über die schwedische Verteidigung nachdenkt - jetzt und in Zukunft."
    Die Debatte ist also in vollem Gang und alles läuft auf eine Stärkung der Streitkräfte hinaus. Wahrscheinlich mit Wiedereinführung der Wehrpflicht, aber weder sie im Allgemeinen, noch ihre künftige Ausgestaltung ist bereits beschlossene Sache.
    Und dann sitzen da ja noch die Grünen als Partner der Sozialdemokraten in der aktuellen Minderheitsregierung. Sie wollen nicht mehr, sondern weniger Militär. Im Gegensatz zu vielen Bürgern dieses Landes, die zum Großteil selbst ja noch, nein, nicht gekämpft, aber eben "gedient" haben und die das rückblickend gut finden, so wie dieser Stockholmer:
    "Man sollte sie wieder einführen. Und zwar für Männer und für Frauen. Ich habe selbst Ende der 80er Jahre Wehrdienst geleistet. Für mich war das eine sehr gute Basis fürs ganze Leben."