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Schweinegrippe
Narkolepsie als seltene Nebenwirkung der Impfung*

Im Jahr 2009 war die Nachfrage nach einer Impfung gegen die Schweinegrippe groß. Auch damals wurden im Eiltempo Vakzinen entwickelt. In extrem seltenen Fällen löste einer der Impfstoffe - Pandemrix - offenbar Narkolepsie aus, eine Art Schlafkrankheit. Aufgefallen war dies vor allem in Schweden.

Von Christine Westerhaus | 09.09.2020
Ein Arzt impft am 13.11.2019 einen Patienten
Nach der Schutzimpfung gegen Schweinegrippe im Jahr 2009 traten extrem seltene Nebenwirkungen auf (picture alliance / Robert Guenther)
Emma Rosenqvist ist eine von fünf Millionen Schweden, die sich 2009 gegen die Schweinegrippe impfen ließen. In den Jahren darauf verspürt die junge Frau immer wieder eine seltsame Abgeschlagenheit, die sie zunächst aber nicht mit der Impfung in Verbindung bringt. "Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass mein Körper einfach nur unglaublich müde war."

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Doch später konnte es der Schwedin auch passieren, dass sie mitten im Gespräch mit Freunden einfach wegnickte. 2015 (+) stellte eine Ärztin dann die Diagnose: Emma Rosenqvist leidet an Narkolepsie. Sehr wahrscheinlich hat der Impfstoff Pandemrix diese Form der Schlafkrankheit ausgelöst.
Die Stockholmer Einkaufsstraße Drottninggatan am 1. April 2020.
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Extrem seltene Nebenwirkung
"Eigentlich ist bei der Zulassung von Pandemrix nichts falsch gelaufen. Narkolepsie tritt als Nebenwirkung aber extrem selten auf. 60 oder 90 Millionen Menschen wurden mit Pandemrix geimpft, und hier im Norden gab es nur um die 500 Fälle von Narkolepsie. Eine so seltene Nebenwirkung in klinischen Studien zu entdecken, ist im Prinzip unmöglich", erklärt Matti Sällberg, Immunologe am Karolinska Institut Stockholm. Weltweit sind etwa 1.300 Fälle von Narkolepsie bekannt geworden, die mit einer Pandemrix-Impfung in Zusammenhang gebracht werden. Vor allem Kinder und Jugendliche waren davon betroffen. Allerdings könne man auch nicht ganz ausschließen, dass eine Infektion mit dem Schweinegrippevirus selbst bei manchen Menschen eine Narkolepsie auslöst, meint Matti Sällberg.
"Was die Sache zusätzlich kompliziert macht, ist, dass es Berichte aus China gibt, nach denen sich in der Grippesaison Fälle von Narkolepsie häufen. Und es gibt eine Reihe von Studien, die dafür sprechen, dass Grippeviren Narkolepsie auslösen können. Das bedeutet nicht, dass es nicht doch der Impfstoff war, der diese Schlafkrankheit bei manchen Menschen verursacht hat. Doch es zeigt, dass es eben extrem schwierig ist, solche Nebenwirkungen aufzudecken."
Greift das Immunsystem Schaltstellen im Körper an?
Um herauszufinden, warum sich Fälle von Narkolepsie insbesondere nach einer Impfung mit Pandemrix häuften, verglichen Forscher dieses Medikament mit anderen Vakzinen gegen die Schweinegrippe. Dabei beobachteten sie, dass Pandemrix bestimmte Virusproteine in hohen Konzentrationen enthält. Diese Viruseiweiße ähneln einem bestimmten Rezeptor, an den das Schlafhormon Hypokretin bindet.
Nach einer Impfung bildet das Immunsystem Antikörper gegen das Virusprotein. Und weil sich Virusprotein und Rezeptor ähneln, führt die Impfung möglicherweise dazu, dass das Immunsystem nicht nur das Virusprotein, sondern auch den Rezeptor angreift. Und damit verhindert, dass das Schlafhormon seine Wirkung entfalten kann. Doch das sei nur eine von vielen Theorien, sagt Matti Sällberg.
"Solche Wechselwirkungen kann man nie ganz ausschließen. Aber gleichzeitig sind sie auch extrem selten. Insgesamt verwenden wir Impfstoffe aber schon sehr lange und setzen sie gegen viele verschiedene Infektionen ein. Zum Glück gab es nur sehr selten schwere Nebenwirkungen, und es ist einfach ein klarer Vorteil, Vakzine einzusetzen. Das haben wir zuletzt bei der Kinderlähmung gesehen, die Dank Impfung in Afrika inzwischen als ausgerottet gilt."
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Die Nebenwirkungen einer Infektion sind oftmals schwerer als die eines Impfstoffs. Und auch im Fall von Covid-19 werden die Vorteile einer Impfung mögliche Nachteile vermutlich mehr als wett machen.
(*) Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Überschrift präzisiert
(+) Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle wurde eine falsche Jahreszahl korrigiert