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Schweiz
Abstimmen über das bedingungslose Grundeinkommen

Am 5. Juni wird in der Schweiz über ein bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt. 2.500 Franken pro Monat würde dann jeder Schweizer Bürger bekommen - jedoch verrechnet mit Lohn oder Sozialhilfe. Auch wenn kaum Aussicht auf Erfolg besteht: Die dazugehörige Volksinitiative hat nicht nur in der Schweiz eine breite Debatte zum Thema angestoßen.

Von Stefanie Müller-Frank und Caspar Dohmen | 04.06.2016
    Enno Schmidt und Daniel Häni, Gründer der Volksinitiative "Bedingungslosen Grundeinkommens" mit dem Tesla Werbemobil, und Deutsche Aktivistinnen- und Aktivisten zur Einführung der direkten Demokratie in Deutschland mit ihrem Omnibus, beim Fototermin vor dem Bundeshaus auf dem Bundesplatz in Bern, am 12.05.2016.
    Die Grundidee des bedingungslosen Grundeinkommens ist alt und findet viele Anhänger - nicht nur in der Schweiz. (picture alliance / dpa / Lukas Lehmann)
    Es war ein bemerkenswertes Bild, das von der Schweiz aus um die Welt ging: Da hält ein Kieskipper vor dem Bundeshaus in Bern, öffnet die Klappe – und schüttet acht Millionen 5-Rappen-Münzen auf den Bundesplatz. 15 Tonnen schwer und 400.000 Schweizer Franken (rund 360.000 Euro) wert. Aber der Ansturm auf das Geld blieb aus, erzählt Daniel Häni, Mitinitiant der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen:
    "Da waren vorher ganz große Bedenken. Die Leute haben gesagt: Was, da liegt dann dieses Geld auf dem Boden? Da müsst ihr ja Sicherheitskräfte haben, die das bewachen. Und wir haben gesagt: Nein, darauf verzichten wir. Und es war tatsächlich so, dass die Menschen viel Respekt hatten. Es war eben auch ein eindrückliches Bild. Da ist niemand hingegangen und hat sich seine Taschen gefüllt damit. Einige haben sogar noch Geld auf den Geldberg dazugeworfen."
    Das war im Oktober 2013, als die Initiative für das bedingungslose Grundeinkommen eingereicht wurde. 100.000 Unterschriften waren nötig, damit die Initiative zur Abstimmung vors Schweizer Volk kommt. Auch Daniel Häni hat anderthalb Jahre mit Unterschriften gesammelt. Der Unternehmer kann sich noch gut erinnern, wie er anfangs als weltfremder Spinner beschimpft wurde:

    "Viele haben uns beschimpft, haben gesagt: Geht doch arbeiten! Da haben wir gesagt: Entschuldigung, wir sind gerade am Arbeiten. Wir machen eine demokratische Dienstleistungsarbeit und stellen die Frage: Möchten Sie, dass über diese Grundsatzfrage es eine Abstimmung gibt oder nicht?"
    Ein Viertel aller Schweizer ist für das Grundeinkommen
    Seitdem hat die Diskussion eine erstaunliche Wende genommen: Die Umfragen sagen zwar noch immer ein Nein voraus, aber die Zustimmung liegt mittlerweile bei 25 Prozent. Und über keines der fünf Themen, über das die Schweiz an diesem Sonntag abstimmt, wird so viel gestritten wie über das bedingungslose Grundeinkommen. Auch junge Menschen hört man an der Tramhaltestelle oder im Café darüber diskutieren. Viele sind hin- und hergerissen – selbst, wenn sie noch gar nicht abstimmen dürfen, wie der 15-jährige Tim:
    "Ich finde, es gibt Gutes und Schlechtes daran. Ich habe aber das Gefühl, dass es doch etwas bringen würde, es einzuführen. Es ist mal ein Schritt. Man redet ja immer so viel darüber – und jetzt tatsächlich auch mal was zu machen, das finde ich richtig."
    Tim lebt in Basel und geht in die neunte Klasse. Heute Abend ist er zu einer Podiumsdiskussion des "Jungen Rats" gekommen, bei der Politiker verschiedener Parteien mit dem Co-Initianten Daniel Häni über das Grundeinkommen sprechen. Das Publikum darf sich jederzeit einschalten. Viele Nachfragen handeln davon, wie hoch das Grundeinkommen denn genau sein wird – und wie es eigentlich finanziert werden soll. Die Initiative schlägt 2.500 Franken vor, lässt die konkrete Umsetzung aber bewusst offen, erklärt Daniel Häni:
    "Alles weitere: die Höhe genau, die Finanzierung etc. regelt dann das Gesetz. Und das ist sehr wichtig. Stellen Sie sich vor: Die Steuer wäre schon bestimmt, wie das dann transferiert wird, das Grundeinkommen -, dann säßen alle an den Taschenrechnern und würden gucken: Wäre das für mich persönlich ein Vorteil oder ein Nachteil? Dann würde man gar nicht über den Grundsatz abstimmen."
    Seit Jahrhunderten fasziniert die Idee eines staatlichen Einkommens
    Laut Regierung würde ein Grundeinkommen 25 Milliarden Franken kosten – und nicht wie ursprünglich befürchtet 153 Milliarden. Denn es soll nicht zusätzlich zum Lohn oder zur Sozialhilfe ausgezahlt, sondern damit verrechnet werden. Trotzdem empfiehlt die Schweizer Regierung dem Stimmvolk, die Initiative abzulehnen. Mit dem Argument:
    Daniel Häni: "Das würde die Arbeitsanreize vermutlich abschwächen so ein bedingungsloses Grundeinkommen, das würde damit die Wirtschaftsleistung schwächen – und damit würde er der Schweizer Bevölkerung empfehlen, diese Initiative nicht anzunehmen, sondern abzulehnen. Eigentlich ist das ein Skandal: Stellen Sie sich vor, eine Regierung unterstellt ihrer Bevölkerung, sie würde nicht mehr arbeiten, wenn ihre Existenz bedingungslos gesichert wäre. Das ist eigentlich ein Skandal."
    Tim geht zwar noch zur Schule, aber er glaubt nicht, dass diese Gefahr tatsächlich besteht.
    "Ich habe das Gefühl, arbeiten ist etwas, das Spaß machen sollte. Es ist ja auch eine Aufgabe – und nicht nur, dass man zum Geld kommt. Also ich freue mich schon darauf zu arbeiten. Ich weiß auch nicht, wer das schaffen könnte, nach einem Monat noch zuhause rumzuliegen und nichts zu machen. Das verstehe ich nicht."

    Die Idee eines staatlichen Einkommens für jeden Bürger fasziniert Menschen schon seit Jahrhunderten. Im 16. Jahrhundert regte der spanische Humanist Juan Luis Vives eine Grundversorgung für alle Bürger an. Der englische Frühsozialist Thomas Paine leitete aus dem Naturrecht gar ein Anrecht auf ein Startkapital und eine Grundrente für jeden Bürger ab. Schließlich habe es im Naturzustand keine Armut gegeben, die habe erst die Zivilisation hervorgebracht, argumentierte er. Heute kommen die Verfechter der Idee aus den unterschiedlichsten politischen Lagern. Detlef Fetchenhauer, Wirtschaftspsychologe an der Universität zu Köln:
    "Es ist ja schon spannend, das Grundeinkommen wird ja von sozusagen Sozialromantikern präferiert, einerseits, aber andererseits auch von wirklich eher rechts orientierten Wirtschaftsliberalen."
    Die Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, während ihrer Rede auf dem Bundesparteitag in Bielefeld.
    Die Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, hat den deutschen Ableger des internationalen Netzwerks Grundeinkommen mitgegründet. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Katja Kipping (Linke): "Grundeinkommen als Leitstern"
    Mal heißt das Konzept negative Einkommensteuer, mal Sozialdividende oder Existenzgeld. Im Kern geht es immer um die Zahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Der Staat soll jedem Bürger ohne Bedarfsprüfung einen bestimmten Geldbetrag auszahlen. Die Varianten unterscheiden sich deutlich bei der Höhe und der Art der Finanzierung, und den Folgen für den Sozialstaat. Liberale Befürworter wollten ja vor allem weniger Staat erreichen, sagt Fetchenhauer:
    "Im Prinzip ist ja da die Idee, wir führen das Grundeinkommen ein, um den klassischen Sozialstaat abzubauen, und auf der linken Seite ist ja eher so die Idee, nee nee, wir wollen eigentlich den Sozialstaat noch stärker ausbauen. Es soll halt jeder viel Geld vom Staat bekommen."
    Besuch im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin Mitte, der Parteizentrale der Linkspartei. Im Vorzimmer der Vorsitzenden Katja Kipping hängt ein Wahlplakat, dessen Slogan mit den Worten endet, "was wäre die Welt ohne Idealisten?"

    "Für mich ist das Grundeinkommen eine Art Kompass, ein Leitstern, an dem ich jeden konkreten sozialpolitischen Reformschritt, für den ich streite, orientiere."
    Finanzkrise brachte der Idee neuen Auftrieb
    Kipping hat den deutschen Sprengel des internationalen Netzwerks Grundeinkommen mitgegründet, in dem heute mehr als 4.000 Bürger organisiert sind und 120 Organisationen - vom Bund der katholischen Jugend bis zur Internationalen Erich Fromm Gesellschaft.
    "Ein Grundeinkommen würde natürlich dazu führen, dass in einer Gesellschaft Existenzangst verschwindet, weil jeder wüsste, egal, was passiert, es gibt einen Grund, auf dem man immer stehen kann. Zum zweiten wäre dieser Grund frei von Stigmata. Heute gibt es ja auch Sozialleistungen, aber die sind oft mit einem Stigma verbunden.
    Also Leute, die auf Hartz IV angewiesen sind, erzählen mir, dass sie das so wie ein Kainsmal auf der Stirn fühlen, ja, das ist halt jemand, der in Hartz IV lebt. Währenddessen, wenn es eine Leistung gibt, die allen zu Gute kommt, dann ist das nichts, wofür man stigmatisiert werden kann, sondern das ist klar, das ist Ausdruck dessen, dass du Bürger oder Bürgerin hier in diesem Land bist."
    Vor rund zehn Jahren, nach der Einführung der Agenda 2010 mit den Hartz-IV-Gesetzen, hat die Idee des Grundeinkommens in Deutschland Rückenwind bekommen - in anderen europäischen Ländern ein wenig später, nach der Finanzkrise. Aber würde sich die Lage ärmerer Menschen überhaupt verbessern? Skeptisch ist Christoph Butterwegge, Armutsforscher an der Universität zu Köln:
    "Es wird nicht das Paradies ausbrechen, mit dem, was bedingungsloses Grundeinkommen genannt wird, obwohl sich manche Befürworter des Grundeinkommens so fühlen, als ging es um die Frage, ob nun das Schlaraffenland winkt oder nicht."
    DM-Gründer Götz Werner ist einer der bekanntesten Befürworter
    Götz Werner, der Gründer der Drogeriemarktkette DM und bekanntester Befürworter der Idee hierzulande, fordert eine Sozialdividende von monatlich rund 1.000 Euro pro Bürger. Beim Solidarischen Bürgergeld des ehemaligen CDU-Politikers Dieter Althaus wären es bis zu 600 Euro, plus 200 Euro für Gesundheit und Pflege. Das Netzwerk Grundeinkommen fordert ein Grundeinkommen in Höhe des soziokulturellen Minimums, was derzeit auf gut 1.000 Euro veranschlagt wird.
    "Erst einmal wird niemand so viel Geld bekommen mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, dass er sich keine Sorgen mehr machen muss, oder dass er keine Arbeit mehr aufnehmen muss, weil das bedingungslose Grundeinkommen wird ja wahrscheinlich in einer Höhe gezahlt, die so eher vergleichbar ist mit Hartz IV."

    Aber auch der dezidierte Kritiker Butterwegge räumt ein:
    "In der Schweiz, gut, da ist die Vorstellung derjenigen, die diese Volksinitiative gestartet haben, 2.500 Schweizer Franken, das wäre ja ausreichend. Aber wenn dann zum Beispiel wie auch wieder in der Initiative Grundeinkommen in der Schweiz diskutiert wird, die Finanzierung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer laufen soll ..."
    Götz Werner, deutscher Manager, Gründer und bis 2008 Chef der Drogeriemarkt-Kette dm
    Götz Werner, deutscher Manager, Gründer und bis 2008 Chef der Drogeriemarkt-Kette dm, fordert eine Sozialdividende von monatlich rund 1.000 Euro pro Bürger. (picture alliance / dpa / Uli Deck)
    … dann bekämen die Bürger weniger Waren und Dienstleistungen für das gleiche Geld wie heute. An der Frage der Finanzierbarkeit des Grundeinkommens scheiden sich die Geister. Die Linken-Parteichefin Kipping hält ihre Variante für solide finanzierbar: Eine Abgabe von 35 Prozent auf alle Einkommensarten würde durch Abgaben auf Finanztransaktionen, Börsenumsätze oder Immobilien ergänzt:
    "Das läuft am Ende darauf hinaus, dass das reichste Drittel der Bevölkerung zur Kasse gebeten wird, und dafür die unteren zwei Drittel der Bevölkerung sicher und besser gestellt sind."
    Auch im Silicon Valley wird über das Grundeinkommen diskutiert
    Götz Werner will seine Variante von rund 1.000 Euro mit einer Konsumsteuer von etwa 50 Prozent finanzieren. Dafür sollen die Lohn- und Einkommenssteuer sowie alle Sozialabgaben entfallen. "Seriöse Simulationsberechnungen" liegen laut Experten nur für das solidarische Bürgergeld vor, das der damalige thüringische Ministerpräsident Althaus vom Hamburger Ökonomen Thomas Straubhaar 2007 entwickeln ließ. Finanziert werden soll es durch eine einheitliche Einkommensteuer auf alle Einkünfte, eine Konsumsteuer auf heutigem Niveau und eine Lohnsummenabgabe der Arbeitgeber.
    Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hält die Finanzierung des solidarischen Bürgergelds für "prinzipiell gewährleistet". Allerdings wäre dieses Grundeinkommen von 800 Euro nicht existenzsichernd. Armutsforscher Butterwegge erklärt, was etwa ein Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro für Konsequenzen hätte. Bei 82 Millionen Bürgern müssten 820 Milliarden Euro finanziert werden:
    "Der Bundeshaushalt hat die Höhe von etwas über 300 Milliarden, nur, um sich mal zu vergegenwärtigen, in welche Dimensionen man da vorstößt. Ich muss, um das finanzieren zu können, viele Sozialleistungen, wenn nicht alle kappen, ich muss wahrscheinlich die Sozialversicherung antasten. Ich kann nicht eine hohe Rente zahlen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und zusätzlich das bedingungslose Grundeinkommen, das ist überhaupt nicht finanzierbar."
    Bei den Modellen von Werner und Althaus soll in der Tat die Sozialversicherung abgeschafft werden. Davon ist bei den Schweizer Initianten jedoch genauso wenig die Rede wie bei dem Netzwerk Grundeinkommen. Katja Kipping:
    "Das Grundeinkommen soll ja nicht – nach meiner Auffassung – die bestehende Sozialversicherung ersetzen, es soll sie lediglich ergänzen als ein unteres Sicherheitsnetz."
    Heiß diskutiert wird das Grundeinkommen wegen Veränderungen der Arbeitswelt auch im Silicon Valley in den USA. Gerade wer selbst an digitaler Technik arbeitet, ist oft der felsenfesten Überzeugung, dass Roboter und Algorithmen den Menschen immer mehr und immer schneller die Arbeit abnehmen werden. So schlagen auch die Ökonomen Erik Brynjolfsson und Andrew McAffe in ihrem Buch "The Second Machine Age" zur Abfederung der technologischen Arbeitslosigkeit das Grundeinkommen vor. Der Kölner Sozialpsychologe Fetchenhauer führt aus, wie dies den Sozialstaat verändern würde:
    "Wenn jemand sozusagen in den Genuss von sozialstaatlichen Transferleistungen kommt, ohne, dass er wirklich bedürftig ist, das würde schon die gesamte Logik des Wohlfahrtstaates auf den Kopf stellen."
    Armutsforscher: Versuch, "Kommunismus im Kapitalismus einzuführen"
    Eine staatliche Leistung gänzlich von Arbeitsbereitschaft und Bedürftigkeit zu entkoppeln, hält Fetchenhauers Kölner Professoren-Kollege Butterwegge für illusorisch:
    "Aus meiner Sicht wird da mit dem bedingungslosen Grundeinkommen versucht, den Kommunismus im Kapitalismus einzuführen."
    Viel stünde für Erwerbstätige auf dem Spiel:
    "Wer die Existenz gesichert bekommt, der muss ja nicht unbedingt erwerbstätig sein, und wer nicht unbedingt erwerbstätig ist, der muss auch nicht geschützt werden in seinen Verhandlungen mit dem Arbeitgeber, sondern er ist eine dann frei entscheidende Wirtschaftspersönlichkeit."
    Gewerkschaften, Tarifverträge oder Kündigungsschutz – eigentlich sämtliche Errungenschaften der Arbeiterbewegung - könnten nach dieser Logik schnell überflüssig sein. Daniel Häni, der Mitinitiant der Schweizer Abstimmung, sieht die Gefahren:

    "Es gibt neoliberale Leute, die das Grundeinkommen für sich in Anspruch nehmen wollen und eigentlich diese Idee missbrauchen: Die wollen nämlich mit dem Grundeinkommen einfach die Sozialwerke runterrasieren. Das ist ein Missbrauch der Idee."
    Optimisten erwarten mehr Kreativität, Pessimisten Demotivation
    Weit gehen die Einschätzungen auch darüber auseinander, wie die Menschen auf die Einführung eines Grundeinkommens reagieren würden. Die vielen Einzelbeispiele, die zuletzt in den Medien vorgestellt wurden, lassen sich schließlich kaum bis gar nicht auf ganze Staaten übertragen. Die Erlebnisberichte bestätigen jedoch die Optimisten, wonach das Grundeinkommen die Voraussetzungen für freies Handeln der Menschen schafft: Es würde die Kreativität jedes Einzelnen anregen, die Risikobereitschaft steigern, wovon alle profitieren würden.
    Pessimisten erwarten dagegen eine Demotivation und den Rückzug vieler Bürger in die soziale Hängematte. Der Psychologe Fetchenhauer zieht einen interessanten Vergleich:
    "Historisch haben die meisten Menschen immer am Rande des Existenzminimums gelebt und haben davon geträumt, wie es wäre, im Schlaraffenland zu leben, noch im Mittelalter gab es ja diese Mythen, wenn einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Jetzt haben wir eigentlich so eine Situation und zwei Drittel aller Menschen in den Industrieländern sind übergewichtig, wir haben massive gesundheitliche Probleme.

    Also es ist für Menschen nicht immer das Beste, wenn man ihnen das auf dem Silbertablett präsentiert, wofür sie früher haben arbeiten müssen. Manchmal liegt die Lebenszufriedenheit auch darin, dass einem die Dinge nicht in den Schoß fliegen, sondern man sie sich eben erarbeiten muss."
    Aufschluss bringen soll nun ein auf zehn Jahre angelegtes Pilotprojekt der Nichtregierungsorganisation GiveDirectly in einem kenianischen Dorf – moderne Handy-Geldtransfers machen es möglich. Der Politikwissenschaftler Butterwegge kritisiert die anhaltende Debatte über das Grundeinkommen als Kräfteverschwendung:
    "Das schwächt die soziale Bewegung insgesamt, wenn über eine schöne Utopien diskutiert wird, über die man sich dann auch noch uneins ist, und die nötigen Schritte, die tagtäglich sinnvoll zu gehen wären, auch kleine Fortschritte zu machen auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit, wenn die dafür im Grunde aufgegeben werden oder auf der Strecke bleiben."
    Demo für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Berlin 2013
    Auch in Deutschland demonstrieren viele Menschen für ein bedingungsloses Grundeinkommen, so wie hier 2013 in Berlin. (imago stock & people)
    Experiment "bedingungsloses Grundeinkommen"
    Die Linken-Politikerin Kipping widerspricht:
    "Generell muss man sagen, dass das Grundeinkommen in allen großen Organisationen sehr lebendig diskutiert wird und es leidenschaftliche Befürworter und leidenschaftliche Gegner gibt. Darin liegt aber ja auch eine Stärke des Grundeinkommens, weil es ist einerseits konkret genug, dass man mitdiskutieren kann, ohne selber ein Philosoph sein zu müssen, und zum zweiten ist es aber auch wiederum so weitreichend, dass man merkt, es geht um mehr als um kleine Trippelschritte. Anhand des Grundeinkommens kannst du die ganz großen Fragen diskutieren, nämlich, was ist was wert und wie ernst nehmen wir das mit den Grundrechten und Menschenrechten."
    Die Podiumsdiskussion zur Schweizer Volksabstimmung in Basel ist vorbei, die Zuhörer strömen an die Bar. Eine junge Frau Mitte 20 schaut skeptisch:
    "Ich denke, das Problem ist genau, dass es ein Experiment ist. Und dass wir einen Standard haben aktuell, der sehr hoch ist und um den uns viele beneiden. Und ein Experiment setzt das eben auch in Gefahr."
    Alix ist 21 und macht eine Lehre zum Anlagenbauer. Er vermutet ebenfalls:
    "Also die Grundidee gefällt mir, aber es braucht sicher drei Anläufe, glaube ich. Also ich denke, die meisten machen sich Sorgen und denken: Pokern? Nein, lieber nicht."
    Er selbst will trotzdem für das bedingungslose Grundeinkommen stimmen. Auch wenn es ihn ein wenig Mut kostet:
    "Wir kennen die Zukunft nicht. Deshalb müssen wir es ausprobieren. Aber das ist mit allem so. Ich meine, der Kolumbus hat ja auch gesagt: Ja, ich muss einmal um die Erde und vielleicht falle ich hinten mal über den Tellerrand drüber. Man muss etwas wagen, aber ja, es ist ein Experiment."