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Schweizer Kantonswahl in Appenzell
Unser Mann, die Inge, kandidiert

Im Schweizer Kanton Appenzell-Auserrhoden dürfen Frauen erst seit 1989 wählen. Bei der Kantonswahl versucht es die weibliche Kandidatin deshalb mit einem Scherz: Sie präsentiert sich auf den Wahlplakaten als weiblicher Mann. Denn noch immer traut dort nicht jeder Mann einer Frau politische Fähigkeiten zu.

Von Grit Eggerichs | 13.02.2017
    Zwei Bewohner des Dorfes Flond (Schweiz) geben am 12.02.2017 ihre Stimmen an einer Wahlurne ab. Die Schweizer entschieden bei einer Volksabstimmung am Sonntag, dass Enkel von Einwanderern leichter eingebürgert werden können.
    Bei Volksabstimmungen in der Schweiz dürfen inzwischen auch in Appenzeller Frauen mitstimmen. (dpa-bildfunk / Benjamin Manser/)
    Das Plakat zeigt eine Frau mit einer adretten Bobfrisur. Lippenstift, Halskette, Nagellack. "Inge Schmid" steht da – violett auf rosa – "unser Mann für Ausserrhoden". "Ja, es ist Werbung", sagt Inge Schmid, "man muss hängenbleiben, und dann studiert man drüber, und es ist ein Wortspiel. Ich bin eine sehr weibliche Frau. Und zusammen mit dem Bild sollte man eigentlich merken, dass man mit dem Mann eigentlich eine Frau meint."
    Den Witz versteht nicht jeder. Es hilft ein Blick in die Geschichte. Genauer gesagt, zwei Blicke. Der erste geht nur vier Jahre zurück, als sich Frau Schmid das erste Mal zur Wahl stellte. Damals, im Frühjahr 2013, musste sich die Kandidatin fragen lassen, welche Fähigkeiten und Erfahrungen sie denn als Frau eigentlich in die Regierungsarbeit einbringen könne, so Inge Schmid:
    "Es hieß: Was ist denn das schon, Familienarbeit und Kindererziehung? Und da war ich schon sehr bestürzt. Das merkt man heute schon auch vielfach, dass die Familienarbeit nicht gleich hoch gewertet wird wie irgendeine Führungstätigkeit in einer Firma oder im Militär."
    Und dabei ist Familienarbeit noch längst nicht alles, was Frau Schmid zu bieten hat: Sie ist diplomierte Bäuerin, führt mit ihrem Mann und einem ihrer Söhne eine Landwirtschaft, sie war Präsidentin des Schweizer Bäuerinnenverbandes. Und seit 2004 amtiert sie als Gemeindepräsidentin eines 1.700-Seelen-Ortes – ist also seit 13 Jahren Bürgermeisterin.
    Innerrhoden: letzte europäische Bastion der Männerherrschaft
    Als Frau hat sie die Wahl verloren. Das soll nicht noch einmal passieren. Deshalb tritt sie diesmal als Mann an – zur Freude vieler Appenzellerinnen, so Inge Schmid:
    "Sie hatten das Wortspiel sofort verstanden, sie wussten genau, dass ich eigentlich mit diesem Wahlslogan die Frau meine, und dass eine Frau genau so Leistungen erbringen kann wie ein Mann."
    Aber, mal ehrlich, wenn so was noch gesagt werden muss, ticken die Uhren im Appenzellerland doch ein bisschen anders?
    Der zweite Blick in die Geschichte: 1971. Die Schweiz führt als vorletzter europäischer Staat das Frauenstimmrecht ein, auf nationaler Ebene. Und wie es bei den Eidgenossen üblich ist: per Volksabstimmung. Nach vielen verlorenen Abstimmungen ringt sich eine gute Mehrheit der wählenden Männer endlich dazu durch, ihre Rechte mit den Frauen zu teilen.
    Appenzeller Wahlen lange ohne Frauen
    Die meisten Kantone ziehen auf Kantons- und Gemeindeebene nach. Nur die beiden Appenzell – Innerrhoden und Ausserrhoden -, die machen nicht mit. Erst 1989 stimmt Auserrhoden für das Frauenwahlrecht.
    Innerrhoden, letzte europäische Bastion der Männerherrschaft, wird schließlich zum Frauenstimmrecht gezwungen. Das "Echo der Zeit" am 27. November 1990 im Schweizer Radio:
    "Das erste Thema, meine Damen und Herren, auf das viele in diesem Land sehr lange gewartet haben, sollte nicht ein Mann anmoderieren. Ich räume den Platz am Mikrofon für einen Moment und übergebe an die verantwortliche Redaktorin dieser Sendung, es ist Monika Oettli."
    -"Tja, nun ist es passiert. In Appenzell-Innerrhoden, der letzten freien Insel für Männervoten, wird das Frauenstimmrecht eingeführt. Sofort. Das Bundesgericht Lausanne hat heute entschieden, dass Frauen künftig auch an kommunalen und kantonalen Abstimmungen und Wahlen teilnehmen können. Und damit endlich auch politisch den Männern gleichgestellt sind.
    Das ist nicht einmal 30 Jahre her. Dass Gleichberechtigung in den Köpfen vieler Appenzeller und Appenzellerinnen noch nicht in jeder Hinsicht angekommen ist – verständlich.
    Stichwahl am 19. März
    Für Inge Schmid ist der Wahlslogan ein ernster Scherz, en nicht jede und jeder verstehen will. Ihre beiden Gegenkandidaten haben es unterschiedlich aufgenommen:
    "Der eine findet das nicht sehr witzig. Und der andere fand, ja, eigentlich wäre es ja gut, wenn eine Frau im Regierungsrat wäre, aber weil jetzt ja drei Männer kandidieren, hätte er kein schlechtes Gewissen mehr."
    Im ersten Wahlgang gestern hat keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit gewonnen. Bei der zweiten Runde können die drei noch einmal antreten. Am 19. März reicht die einfache Mehrheit.