Freitag, 19. April 2024

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Schweizer Magnum-Fotograf René Burri
Prominenten-Porträts und behutsamer Blick

"Es gelang ihm unglaublich gut, Brücken zu bauen," sagt der Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich, Christian Brändle, im DLF über den Schweizer Magnum-Fotografen René Burri. Burri war gestern in Zürich verstorben. Bekannt wurde er in den 1960er-Jahren mit seinem Bildband "Die Deutschen".

Christian Brändle im Gespräch mit Katja Lückert | 21.10.2014
    Katja Lückert: "René Burri, der Zürcher Fotograf, hätte allen Grund gehabt, eine Diva zu sein", war in der "Neuen Zürcher Zeitung" zu Burris 80. Geburtstag zu lesen. Aber kaum ein Künstler sei von seinem Ansehen und Format so zugänglich und fröhlich wie René Burri. Er war in den 50er-Jahren Meisterschüler des neusachlichen Fotografen Hans Finsler. Sein erstes, im Jahr 1962 erschienenes Buch trug den Titel "Die Deutschen".
    O-Ton René Burri: "Nach dem Krieg machte ich mich so in den 40er-Jahren - das war so vielleicht sieben, '48 - mit einem Cousin mit dem Fahrrad auf den Weg, den Rhein entlang über Ulm nach München. Ich war völlig erschüttert, fand da irgendwie einen Mann, der in den Ruinen in einem Stahlhelm sein Süppchen kochte, alles plattgewalzt, und ich dachte, man kann diese Städte nie wieder aufbauen. Das war ein erschütternder Eindruck und irgendwie hat mich dann Deutschland nicht mehr losgelassen."
    Lückert: René Burri über seine Deutschland-Reportage, die in Deutschland in den 60er-Jahren gar nicht so gut ankam. Zu düster erschien sie vielen Menschen. An den Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich, Christian Brändle, geht jetzt die Frage: Nachkriegsdeutschland und später Krisengebiete weltweit als Reporter - was hat Burri genau interessiert?
    Christian Brändle: Ich glaube, Burri war immer an den Bruchstellen interessiert, dort wo sich das echte Leben abspielt, und das galt für Deutschland in jenen Jahren natürlich ganz besonders. Es ist auch wichtig zu wissen, dass ja Renés Mutter Deutsche war, und er war schon auch auf der Suche ein bisschen nach seiner eigenen Familiengeschichte und das hat ihn zum einen nach Deutschland geführt. Und zum anderen ein ganz zentral wichtiges Buch von Robert Frank, auch ein Schweizer, "The Americans", das wenige Jahre zuvor erschienen ist. Das war quasi wie die ganz große inhaltliche Referenz. Und Burri hat dadurch, wie ich finde, sehr klug und auch sehr poetisch dieses "The Americans" nach Europa zurückgeholt und mit den Deutschen eigentlich einen ganz ähnlich fantastischen Bildessay geschaffen.
    Lückert: Aber er suchte nicht die Schockfotos, auch in seinen Reportagen in Krisengebieten später?
    Brändle: Nein, ganz im Gegenteil. Es gibt eigentlich kein Bild mit einem Toten, mit einem gefallenen Soldaten beispielsweise von René Burri. Das hat er ganz bewusst immer vermieden. Ich gehe sogar so weit zu sagen, er hatte das nicht nötig. René war immer in der Lage, Bilder zu machen, die von diesen Konflikten erzählen, sei es die Suezkrise, sei es Vietnam, ohne allzu direkt auf den Tod hinzuweisen. Es gibt auch einen Schlüsselmoment. Er war damals im Sinai, in der Suezkrise, und da hat er mir erzählt: Plötzlich stand er vor einer kleinen Sanderhebung und aus diesem Sand heraus ragt nur noch eine Hand. Da war jemand gefallen und er wusste genau, das wäre eigentlich das perfekte Bild, um auf die Sinnlosigkeit auch dieses Konfliktes hinzuweisen, und genau dieses Bild hat er dann eben nicht gemacht und auf der Heimfahrt von diesem Tag hat er sich dann gesagt, wenn ich dieses Bild nicht mal schieße, dann brauche ich auch nicht mehr in diese Konfliktherde hineinzugehen.
    Lückert: René Burri war der Mann mit den zwei Kameras: eine mit dem Schwarz-Weiß-Film, eine mit dem Film in Farbe. Nach welchen Kriterien hat er seine Arbeitsinstrumente ausgesucht?
    Brändle: Letzten Endes kam diese Vorgabe ja von den Druckereien, von der Druckerei eines "Paris Match" oder "Life Magazin" oder vom "Du". Die wollten natürlich alle ihre Werbekunden überzeugen, dass sie auch ihre Inserate in Farbe gut drucken können und deswegen entsprechende Tarife verrechnen, und so haben sie die Fotografen verknurrt, auch in Farbe zu fotografieren. Die haben ja das allesamt gehasst, allen voran Henri Cartier-Bresson, der mal gesagt hat, "La couleur est le domaine réservé à la peinture", die Farbe ist der Malerei vorbehalten, und die haben alle nur in Farbe fotografiert, weil sie mussten. Insofern war das nicht ein Entscheid künstlerischer Natur, sondern vielmehr wirtschaftlicher Natur.
    Lückert: Die Porträts waren jedoch oft in Schwarz-Weiß. Wie kommt es eigentlich, dass die Fotografen der Prominenten oft auch prominent später werden? Färbt da was ab?
    Brändle: Er hat ja mal gesagt, er sei nicht promi-geil, der René Burri, und ich kann das, ehrlich gesagt, nur halb unterschreiben. Er hat schon eine Agenda geführt, wo ganz klar mit draufstand, wen er auch noch vor die Linse bekommen will: einen Pablo Picasso beispielsweise. Dem ist er ja über Jahre hinweg nachgereist, bis er dann per Zufall ihn endlich trifft in Nizza in Südfrankreich. Er hat bisweilen auch übernachtet vor den Ateliers dieser Größen, Le Corbusier beispielsweise. Den hat er auch über Jahre hinweg bearbeitet, bis er dann als Hoffotograf aufstieg. Insofern gibt es da schon zwei Agenden, die parallel nebeneinander laufen.
    Lückert: Was zeichnet denn Burri aus? Beharrlichkeit, Vertrauen auf Zufälle? Sind das seine Spezialitäten gewesen?
    Brändle: Nein. Ich glaube, seine große Gabe ist der Dialog und die Offenheit, die Liebe letztendlich den Menschen gegenüber. Es gelingt ihm oder gelang ihm, muss man leider sagen, unglaublich gut, Brücken zu bauen, Verbindlichkeiten, emotionale Brücken, die die Herzen öffneten letzten Endes. Man mochte seine Gegenwart und es gibt ja auch Fotografen, die nerven nur, wenn sie da die ganze Zeit herumknipsen, und bei Burri war das anders. Man fühlt sich einfach wohl in seiner Gegenwart und entsprechend lassen sich all diese Persönlichkeiten von ihm immer wieder porträtieren.
    Lückert: Für die Foto-Agentur Magnum reiste René Burri um die Welt und publizierte seine Reportagen über die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts in Magazinen und Illustrierten wie "Du", "Stern", "Geo" oder "Paris Match". Er galt als Schweizer Weltreporter. Doch war ihm die Schweiz dann doch zu eng: Er zog nach Paris.
    Brändle: Ja. Das ist natürlich quasi ein Schicksal, das er mit ganz vielen Schweizern teilt, dass dieses Land wohl sehr schön ist, aber sehr, sehr klein, geografisch einerseits, andererseits aber auch zeitweise etwas im Denken. Das braucht immer alles wahnsinnig lang, bis sich in der Schweiz im größeren Stil etwas bewegt, und Burri wurde das dann tatsächlich zu eng. Relativ schnell ist er dann losgezogen nach Paris, ist aber - das ist mir wichtig zu betonen - auch immer wieder zurückgekehrt. Er hat sich dezidiert auch als Bindeglied zwischen der Schweiz und der großen weiten Welt verstanden.
    Lückert: Christian Brändle, Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich, wo noch im letzten Jahr die Burri-Ausstellung "Doppelleben" zu sehen war.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.