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Schweizer Musiker Bonaparte
Musik als ordnendes Element

Die Musik von Tobias Jundt alias Bonaparte war hedonistisch, freaky, grenzenlos. Inzwischen ist der Wahlberliner ruhiger geworden. Jetzt stellt er Fragen zu Mensch, Gesellschaft und tatsächlich: Liebe. Auch für eine Zusammenarbeit mit Wim Wenders wäre Bonaparte offen. Warum auch nicht?

Von Anja Buchmann | 15.10.2017
    Bonaparte bei Rockavaria Open Air Festival
    Bonaparte beim Rockavaria Open Air Festival (imago/Stefan M. Prager)
    Musik: "Anti Anti"
    Eigentlich wollte er Jazzmusiker werden. Was unwahrscheinlich klingt, ist tatsächlich wahr: Tobias Jundt, geboren 1978 im schweizerischen Bern, hegte eine große Vorliebe für improvisierte Musik.
    "Wenn man über Bonaparte spricht, denkt man natürlich erst ganz am Ende an Jazzmusik, das verstehe ich auch, weil er ist nicht gekleidet in Jazz. Aber in seiner DNA oder in meiner Geschichte halt gibt es keine Musik die wichtiger war. Meine Jugendrebellion war mit 13, 14, 15 Jahren war, dass ich gesagt habe: Ich höre nur Jazz. Alles, was Popmusik ist, ist scheiße. Ich fand alles, was Popmusik war so "Ach nee", nur Jazz ist echt. Das wird man natürlich nicht glauben, dass ich da so radikal war, wenn man hört was ich für Musik mache heute."
    Zuweilen hört man es etwas heraus. So ist Bonapartes Anarcho-Hit "Anti Anti" im zickigen Swing gespielt und auch "Do You Wanna Party" könnte von einer New Orleans-Band gespielt sein. Fast jedenfalls. Tobias Jundt war als junger Mensch tatsächlich so begeistert vom Jazz, dass er beschloss, möglichst viele der in seinem Jazzlexikon aufgeführten Musiker auch zu treffen. Und so machte er sich als junger Erwachsener auf den Weg, quer durch Europa. In einem alten Fiat, mit dabei: Ein Büchlein, in dem er gewissenhaft notierte, wen er wo getroffen hat.
    "Jeden Tag habe ich oder die Leute die ich traf, ob es jetzt Wayne Shorter oder McCoy Tyner war, die haben da was reingeschrieben und manchmal hab ich mitspielen dürfen. Im Backstage hat man schon zusammen gespielt, es gibt auch Aufnahmen, von den Skatalites gibt es eine Aufnahme, wo ich Gitarrensolo spiele. Es gibt schon so Sachen, aber die habe ich in meinem Fundus versteckt."
    Musik: "Rave Rave Rave"
    "Ich fasse wirklich alles an. Im Studio spiele ich auch Instrumente, die ich wirklich nicht kann, wie die türkische Saz zum Beispiel, aber wenn ich diesen Klang will, dann spiele ich die halt. Drumcomputer aller Couleur und jeden Alters, Bässe, Gitarren, Tasteninstrumente, meine Stimme. Manchmal spiele ich auch andere Menschen. Das Produzieren ist ja auch wie ein Instrument spielen, die richtigen Leute zusammen bringen. Am Ende des Tages spiele ich die Idee."
    Reise durch Europa
    Und diese Idee kann immer wieder eine andere sein. Getrieben von einem grundsätzlichen "dagegen sein", einer Antihaltung, die wie eine lang anhaltende Pubertät daher kommt. Und die der Musiker insbesondere in den Anfangsjahren seines Projekts "Bonaparte" auslebt. Allerdings Tobias Jundt geht nicht ausschließlich den Weg des Protests. Ursprünglich wollte er Jazzgitarre am Berklee College of Music in Boston studieren, hatte sogar ein Stipendium dafür. Sein Vater war dagegen und so entschied sich der junge Mann zunächst für ein Lehramtsstudium. Nach dem Examen ging er dann doch noch nach Boston aufs Berklee, blieb dort allerdings nicht lang. Jedenfalls: Er verließ die Schweiz und begann seine Vagabunden-Reise durch Europa, bei der er Jazzmusiker kennen lernte, den französischen Maler Balthus in seinem Atelier besuchte und vom Schweizer Künstler Franz Gertsch ein Bild geschenkt bekam.
    "Natürlich ist auch wieder ein Gegen und eine Antihaltung zu sagen. Ich gehe weg aus diesem Land. Und das hat eine Energie freigesetzt und ich habe mir gesagt: Ich bin niemand und darf alles. Und das war wirklich das befreiendste, in diesem alten 69er Fiat durch Europa fahren, wochenlang ohne Ziel, einfach gucken was passiert, wen man trifft, man trifft tolle Leute, kommt auf tolle Ideen und irgendwas passiert dann. Und da entstanden die ersten paar Songs, dann Berlin natürlich, das Ankommen hier, der erste Winter war so hart, dass ich einer Einladung nach Neuseeland folgte, der Hochzeit von Mu von Fat Freddy's Drop und so entstand da der zweite Teil der Platte."
    "Angriff auf meine eigenen Grenzen"
    "Too Much" heißt die erste, 2008 erschienene Platte von Bonaparte, für die der kleine, drahtige Schweizer zahlreiche Musiker aus verschiedenen Ländern aufgabelt und in Berlin schließlich sein musikalisches Königreich ansiedelt. Laut, schrill und bunt sind die Live-Auftritte von Bonaparte und seiner Zirkus-Show: Tobias Jundt präsentiert sich mit schwarz geschminktem Auge und Napoleon-Jacke, die Bandmitglieder, Tänzer und Performerinnen tragen wechselnde Kostüme, von Harlekin-Gesichtern und burlesken Fantasiefiguren über Tiermasken bis zu hautengen Skelettanzügen. Dabei werfen sie im Laufe der Show immer mehr von ihren Kleidungsstücken ab, tanzen, kriechen und toben über die Bühne, verausgaben sich bis zum Letzten. Anarchie pur.
    "Diese Dringlichkeit, dieses physische Suchen nach den eigenen Grenze, dieses alles geben was man hat. Das ist ein Angriff auf meine eigenen Grenzen innerhalb von einer Bühnenshow. Es ist sicher auch ein zu viele Fellini-Filme geguckt haben in einem Alter, wo man die noch nicht versteht. Es ist die Vorliebe für Kostüme für das Tierchen im Menschen, das Ausleben von "egal was andere denken, ich habe jetzt Lust so zu sein und die Möglichkeit auch anderen zu geben". Es ist das nicht Konforme, das sich nicht Anpassende. Ich bin durchaus einer, der sich auch sehr anpasst in der Welt da draußen, sonst muss man immer unten durch. Aber der Bonaparte, der passt sich nicht an. Der macht, was er machen will. Der hat immer eine Freikarte. Der hat immer eine Carte Blanche.
    Musik: "Too Much"
    Mikrokosmos Berlin in den frühen 2000ern
    Die Musik bleibt bei Bonaparte das stetige und geordnete Element: Ein Elektro-Punk-Gemisch mit kurzzeitigen freieren Ausbrüchen, meist stoischen, scheppernden Beats und verzerrten Gitarren. Dazu gerufene Parolen und Texte, irgendwo zwischen schrillem Dada und ernster Sozialkritik. Bonaparte ist für Tobias Jundt heute noch ein Projekt, das in dieser Form am besten in den Nuller Jahren in Berlin funktionierte.
    "Weil da schon ein Mikrokosmos zu finden war, der wirklich abgeschottet von der Welt unglaubliche Energien freisetzte. Es ist ja jetzt auch angekommen in der ganzen Welt, der ganze Techno ist ja jetzt auch eine Art Popmusik geworden und füllt Stadien. Das war da noch so...man konnte schon noch in Clubs gehen und das war etwas, das sich selbst gefällig funktionierte. Eine Kunstform ist dann immer am spannendsten. Und wenn dann alle, die ganze Welt, plötzlich merkt: Das ist jetzt das, dann hat das eine ganz andere Kraft. Und das war schon schön. Die ersten drei Jahre in Berlin haben sich angefühlt wie ein Jahrzehnt. Eine Epoche. Wie Kondenserfahrungen, in eine Büchse gestopft.
    Musik: "Fly A Plane Into Me"
    "Ich hab von Anfang an gesagt: Ich will nie eine Band sein. Weil Menschen sich verändern, die Welt sich verändert, Musikstile sich verändern und eine Band über 30 Jahre zu halten ist ein Ding der Unmöglichkeit. Das ist wie eine dreidimensionale Familie mit offener Beziehung und weiß nicht was allem noch."
    Bonaparte war nie eine konstante Band. Im Zentrum stand und steht letztlich immer: Tobias Jundt. "Too much", "My horse likes you" und "Sorry, we're open" hießen seine ersten drei Alben, mit denen er in großer Zirkus-Show-Besetzung durch Underground-Clubs und immer mehr auch durch etablierte Spielstätten zog und bei renommierten Festivals auftrat. Wobei: mit der dritten Platte und der folgenden Tour war Tobias Jundt selbst nicht so glücklich. Er bemerkte eine Stagnation des bewährten Bonaparte-Prinzips.
    "Auch das muss man zulassen. Ich finde die Höhen und die Tiefen, die Perioden die flutschen und die Perioden, die reiben, all das ist Teil von diesem Prozess, den ich los gestoßen habe, als ich sagte: Ich bin jetzt Bonaparte. Das ist ein Prozess und man kann nicht immer nur die Einsen raus hauen."
    Der Sound des dritten Albums ist etwas eingefahren, das Prinzip des geshouteten Electro-Trash-Punks mit wenigen Harmonien und Melodien wirkt überholt und kaum überraschend; seine Zusammenarbeit mit Deichkind klingt wie ein Abklatsch von "Leider Geil". Trotzdem blitzen immer wieder Tobias Jundts Songwriter-Fähigkeiten durch. Zum Beispiel beim Titeltrack "Sorry, We're Open", der bewegt sich zwischen Sex Pistols und Mariachi-Trompeten.
    Musik: "Sorry, We're Open"
    Filmmusik zu "Becks Letzter Sommer"
    "Ich hab immer die Verbindung von Musik und Bild sehr gemocht, und auch Musik geschrieben für Kurzfilme und für meine eigene Band Bonaparte mache ich ja auch viele Musik-Videos, da merkt man, dass ich schon ein Bewegtbild-Junkie bin. Aber in dem Umfang und mit dem Anspruch, dass es nachher eine Bonaparte-Platte gibt, die man sich anhören kann zuhause auf dem Balkon, das gab es noch nie. Soll aber, wenn es nach mir geht, nicht bei dieser einen Filmmusik bleiben. Also Wim Wenders, wenn der anruft, jederzeit gerne. Wenn Du zuhörst, Wim, gerne anrufen."
    ...sagt Tobias Jundt alias Bonaparte, der sich auch mal im Bereich Filmmusik austoben konnte: für den Film "Becks letzter Sommer" aus dem Jahr 2015, mit Christian Ulmen und Friederike Becht. Sowohl einzelne Songs, als auch die Hintergrundmusik, den sogenannten "Score" hat er geschrieben. Ein Film, dessen Thema natürlich prädestiniert für einen guten Soundtrack ist. Es geht um Robert Beck, einen desillusionierten Musiklehrer. Beck war früher einmal Sänger einer Punkrockband und entdeckt das musikalische Talent von Rauli, einem seiner Schüler. Er fördert und komponiert für ihn und versucht Raulis - und damit auch seine eigene - Karriere anzuschieben.
    Musik: "Chocolate Bears"

    "Das erste waren die Songs, die die Schauspieler im Studio haben, Christian Ulmen und Noel auch, der den Jungen spielt, um zu sehen, was können die so oder was nimmt man denen ab. Denn das sind ja Musiker, das ist schon eine andere Welt. Und dann habe ich die ein bisschen rum jammen lassen bei mir im Studio mit Moog-Synthesizer und Gitarren - und eine Schnittmenge gefunden zwischen meiner Vision und dem was zu ihnen passt."
    Musik: "Equinox"
    Equinox, ein Song aus Tobias Jundts Soundtrack zum Kinofilm "Becks Letzter Sommer".
    Bonaparte goes family Platte mit Herz
    Nach dem Ausflug ins Filmgeschäft im Jahr 2015, aber auch schon davor, verändert sich das Projekt Bonaparte: Die Tanzshow wird kleiner und geordneter, die Musik vielschichtiger, teilweise poppiger und auch ruhiger. Was seine 2014er Platte "Bonaparte" bereits andeutet, führt er 2017 mit "The Return of Stravinsky Wellington" fort.
    "Gerade auch in meiner Rolle als Vater oder zweifacher Vater in dieser Welt, wird man nicht sentimentaler aber ein bisschen empfindlicher gegenüber gewissen Dingen oder denkt anders in die Zukunft vielleicht. Und irgendwie hat sich die Welt auch ein bisschen härter angefühlt. Und ich wollte nicht dann auch harte Musik machen und stumpf da rein hauen in dieses etwas stumpfere Menschsein, das da irgendwie hervordrückt im Moment."
    Tobias Jundt spielt live immer noch gern seine Trashpunk-Klassiker von "Anti Anti" bis "Too Much". Aber die neue Platte transportiert zusätzlich eine neue, sanfte Form der Energie.
    "Das hat sich einfach richtig angefühlt zu sagen, ich mache eine Platte auf der ich Herz zeige. Das ist vielleicht nicht der Mann, den man heute züchtet, aber das finde ich richtig. Ich will Mensch sein, ich will Herz zeigen. Ich will ne Familienplatte machen."
    Und das hat er getan. "The Return of Stravinsky Wellington" ist eher für den Tag als für die Nacht gemacht wurde. Mit poppigen, manchmal fast folkartigen Melodien und dezentem Soul, die Bläsersätze eingespielt von der neuseeländischen Band Fat Freddy's Drop. Die Themen: Eine Polyamorie-Geschichte, Liebe in einer Entzugsanstalt, aber auch politische Themen, wie in "White noize", wo er die große Macht weißer Männer thematisiert. Untermalt von Musik.
    Musik: "White Noize"
    Bonaparte war auch früher politisch. Vielleicht fiel es nur nicht so auf, in seiner lauten, hedonistischen Show.
    "Manchmal ist es spannend, solche Songs zu hören wie Blow it up. Wo es um Erdbeben und Hurricanes und ich weiß nicht was geht. Ich sage aber: Some like it hot, die Menschen mögen es halt heiß. Deshalb nimmt man ihn weniger als politischen Song wahr: Die Politik war in der Party versteckt. So Songs wie "Kinfolk" zum Beispiel finde ich viel schwieriger. Die keine Antihaltung haben, sondern einfach sagen; Hier. Was ist Zuhause, was ist der Duft oder das Gefühl von 'wow'. Da ist mein Ankommen. Das ist viel schwieriger, weil man so schutzlos ist. Bang, hier sind meine Gefühle. Ihr könnt drauf herum treten."
    Musik: "Kinfolk"
    The Return Of Stravinsky Wellington
    Eine Frage bleibt: Warum heißt das aktuelle Album eigentlich "The Return Of Stravinsky Wellington"? Die Antwort: Tobias Jundt hat zwei Katzen, Minsky und Stravinsky Wellington. Und zu letzterer hat der Musiker eine ganz besondere Beziehung.
    "Stravinsky sitzt tatsächlich immer auf der rechten Monitorbox, lässt sich wahrscheinlich massieren von den Bassfrequenzen. Es gibt kein anderes Lebewesen auf dem Planeten, das mehr die Entstehung meiner Songs die ganze Zeit miterlebt. Jedes Tier im Haushalt ist ja ein bisschen der Spiegel von einem der Menschen im Haus. Und Stravinsky ist so meine Katze. Das ist mein Seelenverwandter."
    Man mag es kaum glauben, wenn man sich den wilden Bonaparte der Anfangsjahre auf der Bühne vorstellt: Aber er hat tatsächlich einen Lehrauftrag für Songwriting an der Uni in Zürich. Insofern hat er tatsächlich ein bisschen an die Lehrer-Tradition seiner Familie angeknüpft.
    "Als ich geheiratet habe vor ein paar Jahren, habe ich gesagt: Heiraten ist das neue Punkrock. Weil das ist ja schon so. Man muss nichts mehr, man darf alles, alles geht. Am Ende ist es so wie Stellung beziehen. Ich weiß nicht, ob es eine Antihaltung ist. Aber vielleicht ist 'ja' das neue 'nein'."
    Musik: "Do You Wanna Party"
    "Ich würde behaupten, dass Musik einem erlaubt, gleichzeitig immer Kind zu sein wie auch einen Beitrag als erwachsener Mensch zu leisten. Weil es gleichzeitig etwas Todernstes ist und auch immer etwas Kindliches."
    "Ich hoffe bis bald mal - auf einem Plattenteller oder in einem Konzertsaal. Tschüss."