Donnerstag, 25. April 2024

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Schweizer Wissenschaft
"Wir würden in Mittelmäßigkeit verfallen"

Wenn die Schweiz zukünftig auf den Pool deutscher Professoren an ihren Universitäten verzichten müsse, wäre das eine ganz große Tragödie, sagte Antonio Loprieno, Präsident der Schweizer Rektorenkonferenz, im Deutschlandfunk.

Antonio Loprieno im Gespräch mit Manfred Götzke | 10.02.2014
    Die Schweizer Flagge weht nahe dem Jungfraujoch in den Berner Alpen in der Schweiz
    Um Universitäten auf Weltniveau zu haben, sei die Schweiz auf die Präsenz ausländischer Kolleginnen und Kollegen angewiesen, meint Loprieno. (picture alliance / ZB)
    Manfred Götzke: Die Schweiz war bis gestern quasi ein halbes EU-Mitglied. Die Grenzen sind offen, es gibt die Personenfreizügigkeit à la EU und alle möglichen anderen Vorzüge des europäischen Binnenmarktes - bis gestern: Da haben die Schweizer in einer Volksabstimmung ja ganz knapp entschieden, dass sie die Einwanderung begrenzen wollen. Wie genau und mit welchen Kontingenten, das ist noch nicht klar, aber wenn die Schweiz die Schotten ein bisschen dicht macht, dann wird es wohl auch die Wissenschaft treffen: In kaum einem anderen europäischen Land ist die Wissenschaftsszene so international wie bei unseren Nachbarn. In Zürich zum Beispiel sind 35 Prozent der Professoren Deutsche. Ja, und darauf hat Antonio Loprieno in einem Manifest für einen offenen Forschungsplatz auch sehr deutlich hingewiesen. Loprieno ist Präsident der Schweizer Rektorenkonferenz und jetzt am Telefon. Guten Tag!
    Antonio Loprieno: Guten Tag, Herr Götzke!
    Götzke: Herr Loprieno, Sie schreiben in Ihrem Manifest, die Vertreter des Wissensplatzes Schweiz sind überzeugt, dass die Schweiz den Trumpf Internationalität für eine erfolgreiche, wissensbasierte Gesellschaft weiterhin behalten will. Da lagen Sie ja mächtig falsch.
    Loprieno: Ja, ich lag in der Minderheit, und neben mir auch alle anderen Vertreter dieses Forschungsstandortes. Und jetzt geht es darum, die Entscheidung des Souveräns zu akzeptieren und uns dafür einzusetzen, dass die Umsetzung eben unseren Forschungsplatz schont.
    Götzke: Ja, es ist eben noch gar nicht klar, wie das Ganze umgesetzt wird, das Votum, aber wie stark könnte die Entscheidung die Wissenschaft und die Offenheit der Schweizer Universitäten beeinflussen negativ?
    Loprieno: Also sie haben das in ihrem Ingressus gerade richtig formuliert: Wir sind sehr, sehr stark, mehr als unsere Nachbarn, auf den Import qualifizierter Arbeitskräfte – auch im akademischen Bereich – angewiesen. Zwei Drittel unserer Professorinnen und Professoren sind Ausländer. Und wenn das Signal ausgestrahlt wird, dass wir da die Grenzen dicht machen, dann wird das ganz negative Folgen haben, auch so für die Wahrnehmung und letzten Endes, wenn das realisiert wird, auch für die Realität der Schweizer Wissenschaft.
    Götzke: Ich habe es ja gerade gesagt: In Zürich sind 35 Prozent der Professoren allein Deutsche. Was macht denn dann die ETH und die Uni Zürich, wenn ein Teil dieser Professoren wieder gehen muss?
    Loprieno: Die Präsenz deutscher Professorinnen und Professoren oder französischsprachiger hat natürlich damit zu tun, dass, wenn sie sich international positionieren wollen in Bereichen, als deutschsprachige Universität, dann ist es nun mal so, dass der Pool an deutschen Kolleginnen und Kollegen größer ist. Und wenn wir auf diesen Pool verzichten müssten, genauso wie auf einen ähnlichen Pool auch von anderen Ländern, dann wäre das eine ganz große Tragödie. Wir würden in Mittelmäßigkeit verfallen.
    Götzke: Nun ist die Wissenschaftslandschaft in der Schweiz internationaler als die allermeisten europäischen Länder. Woran liegt das eigentlich?
    Loprieno: Ja, ich glaube, es hat zwei Gründe. Der eine Grund ist, dass die Schweiz keine lokale Sprache hat, keine lokale, sagen wir mal so, sprachlich gestiftete Kultur, ja, außer Rätoromanisch natürlich, und das heißt, wir sind automatisch, um Universitäten auf Weltniveau zu haben, auf die Präsenz ausländischer Kolleginnen und Kollegen angewiesen. Andererseits ist es aber auch so, dass unser Forschungssystem sehr stark Leistung privilegiert. Wir sind ein Motor, der auf Hochtouren läuft, und zwar auf noch höheren Touren als unsere Nachbarn. Das heißt, wir sind demografisch ein bisschen herausgefordert. Wir müssen einfach unsere Kolleginnen und Kollegen meistens importieren.
    Götzke: Deutsche Wissenschaftler in der Schweiz, die haben ja schon vor dem Votum in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder über eine, ich sage mal, latente Deutschenfeindlichkeit – auch unter den Studierenden – geklagt. Ist die Entscheidung von gestern da quasi eine logische Konsequenz?
    Loprieno: Ich würde nicht sagen, dass das damit zusammenhängt. Eigentlich gibt es durchaus natürlich in der Schweiz eine gewisse, ich sage mal so, Einstellung, auch mit provinziellen Konnotationen, dass man so die eigene Kultur eher schützen oder bewahren sollte. Aber ich denke, dass diese angeblichen antideutschen Ressentiments eher sozusagen zur Folkloristik gehören als tatsächlich zum Leben einer akademischen Institution bei uns, will ich mal hoffen zumindest.
    Götzke: Sie haben ja ziemlich deutlich gemacht, wie wichtig Internationalität, auch eine Willkommenskultur für Sie, für die Schweiz ist. Wie erklären Sie sich vor diesem Hintergrund die Entscheidung Ihrer Mitbürger?
    Loprieno: Ich glaube, wir leben im Sinne der Wahrnehmung mit dem Ausland in einem tief gespaltenen Land, und zwar gibt es einfach zwei Visionen dessen, was die Schweiz ausmacht, die ein bisschen aufeinanderprallen in einem gewissen Sinne, und das ist die mehr urbane, offene Vision - wir sind sozusagen eine Mischung aus ganz verschiedenen europäischen Traditionen und Kulturen und wir sind offen und auf das Ausland angewiesen, aber es gibt durchaus im Lande auch eine gewisse Tendenz zum Schutz der eigenen Identität oder Identitäten. Und gestern hat dieser zweite Teil des Landes so gewonnen.
    Götzke: Was wird jetzt für Sie das Worst-Case-Szenario sein?
    Loprieno: Das Worst-Case-Szenario wäre, dass, wenn der Bundesrat in Brüssel die Entscheidung des Schweizer Souveräns darstellt und verteidigt, dass die EU sich da quer stellt und sagt, Nein, entweder alles oder nichts, die berühmte Guillotine-Klausel. Wir wollen hoffen, dass unsere Politiker und auch die EU-Politiker in diesem Fall auch die übergeordneten Interessen des Forschungsstandortes auch genügend berücksichtigen.
    Götzke: Es könnte schwierig werden für den Schweizer Forschungsstandort und dessen Internationalität, sagt Antonio Loprieno, Rektor der Uni Basel und Chef der Schweizer Rektorenkonferenz. Vielen Dank für das Gespräch!
    Loprieno: Ihnen auch herzlichen Dank, Herr Götzke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.