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Schwere Verletzung der Pressefreiheit

In den Niederländen haben sich Beamte offenbar unerlaubt Zugang zum Computersystem einer Nachrichtenagentur verschafft. Von Zuständen wie in der ehemaligen Sowjetunion ist die Rede. Nicht nur Journalisten sind entsetzt, auch viele Bürger diskutieren über die Sicherheit von Computersystemen und werden sich darüber bewusst, wie wichtig die Pressefreiheit ist. Ein Bericht von Kerstin Schweighöfer.

07.11.2007
    "Daily Shop" heißt der kleine Zeitschriften- und Tabaksladen von Dave Salomon im Haager Vorort Voorschoten. Auch hier sorgen die Schlagzeilen an diesem Tag dafür, dass viele Kunden nur ein Thema kennen: die Haager Abhöraffäre. Kein Wunder, findet Ladeninhaber Dave, schließlich gehe es hier um eine Art Mini-Watergate:

    Ich finde das wirklich schlimm, pflichtet ihm sein Stammkunde Carlos vom Textilladen nebenan bei. So etwas gehöre sich einfach nicht.

    Zwei Sprecher vom Sozialministerium hatten sich mehr als ein Jahr lang illegal Zugang verschafft zum Computersystem der Nachrichtenagentur GPD - und zwar fast täglich, mehr als 350 Mal. Die GPD versorgt den weitaus größten Teil der niederländischen Regionalzeitungen mit Berichten und Reportagen. Bei den beiden Sprechern handelt es sich um ein Journalisten-Pärchen, das zuvor für die GPD gearbeitet hatte. Die Frau wechselte als erste die Fronten: Vor einem Jahr wurde sie Sprecherin von Sozialminister Piet Hein Donner. Mit dem Kennwort ihres Mannes, der weiterhin bei der GPD arbeitete, verschaffte sie sich Zugang zum GPD-Computersystem. Auf diese Weise kontrollierte sie sämtliche Berichte, die das Sozialministerium betrafen, klagt ihr ehemaliger Chef, GPD-Chefredakteur Marcel van Lingen:
    "Im letzten Sommer wechselte dann auch ihr Mann zum Sozialministerium und wurde Sprecher des Staatssekretärs. Seitdem haben sie das Kennwort eines anderen GPD-Mitarbeiters benutzt, der übrigens ahnungslos war."

    Der Schwindel flog auf, nachdem sich ein Mitarbeiter vom Sozialministerium bei der GPD meldete, um einige Fehler in einem Interview mit Minister Donner zu korrigieren, obwohl ihm der Text noch gar nicht offiziell vorgelegt worden war. Die Redaktion wurde stutzig. Einen Tag später kam es erneut zu einem solchen Vorfall, dieses Mal ging es um Korrekturen in einem Bericht über das Kündigungsrecht, ein politisch heißes Eisen, das die Koalition spaltet. Denn zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes möchte es Donner Arbeitgebern leichter machen, Personal zu entlassen. Der sozialdemokratische Koalitionspartner Pvda allerdings ist vehement dagegen. Möglicherweise sollte mit den Einbrüchen ins Computersystem versucht werden, eine Eskalation in der Diskussion um das Kündigungsrecht zu verhindern. Das jedenfalls wird in den Medien gemutmaßt:

    Zentrale Frage ist nun, wer alles über die Einbrüche Bescheid wusste. Minister Donner behauptet, ahnungslos gewesen zu sein. Er muss sich voraussichtlich noch diese Woche im Parlament verantworten. Donner hatte sich immer äußerst kritisch über die Presse ausgelassen und ihr vorgeworfen, unzulässige Grenzen zu überschreiten. Bei der ersten Konfrontation mit Journalisten nach Bekannt werden der Affäre wirkte er hilflos und überrumpelt:

    Gegen die beiden ehemaligen Journalisten wurde inzwischen Anzeige erstattet. Sie müssen mit einer Haftstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe von maximal 16.750 Euro rechnen. "Amateurspione" werden sie genannt, da sie sich auf solch dumme Art und Weise ertappen ließen. Möglicherweise waren sie sich noch nicht einmal darüber bewusst, dass sie etwas Unzulässiges taten. Das mache die Sache nicht weniger schlimm, findet Chefredakteur van Lingen: Mit einer solch "elastischen Moral" sei weder dem Berufsethos von Sprechern noch von Journalisten gedient.
    Die Vertreter der großen Parteien zeigten sich ebenfalls besorgt und entrüstet. Und auch viele Bürger sind sich darüber bewusst, dass es hier nicht um eine Lappalie geht:

    "Die Pressefreiheit steht auf dem Spiel", meint eine Niederländerin. "Das ist ein wichtiges Gut, das nicht missbraucht werden darf. Das haben wir zu schützen! Deshalb muss in dieser Affäre alles genauestens untersucht werden, ich hoffe, dass jeder Stein umgedreht wird."