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Schwerhörigkeit

Rund 15 Millionen Menschen sind hierzulande von der Schwerhörigkeit betroffen. Sie ist eine typische Alterserscheinung, aber trifft auch zunehmend jüngere Menschen. Was hat es medizinisch eigentlich mit der Schwerhörigkeit auf sich und was kann man dagegen tun?

Von Thomas Liesen | 13.02.2007
    Es klingt wie der Maschinenraum des Raumschiffs Enterprise. Doch Schauplatz dieser Geräuschkulisse ist ein Hörlabor der Uniklinik Mainz. Ein Hörtest.

    Ein winzig kleiner Raum. Ein Patient, 42 Jahre alt, sitzt auf einem Stuhl. Er soll immer den Finger heben, sobald ein Geräusch für ihn hörbar wird. Eine Ärztin spielt nacheinander die Töne über einen Computer ein. Sobald die Hörschwelle des Patienten für den Ton erreicht ist, markiert sie das auf dem Bildschirm. Dann wechseln beide in einen Nachbarraum.

    "Nehmen sie mal Platz. Vor ihnen aus den Lautsprechern kommen Wörter und sie wiederholen bitte das, was sie verstanden haben. Auch wenn sie unsicher sind, wiederholen sie das, was sie verstanden haben.

    "Nuss, Nuss, Wolf, Wolf"
    "Holz – Holz, Glied - Lied, Fall – Hall

    "Sie haben jetzt bei der leiseren Lautstärke zwei Wörter missverstanden. Das letzte Wort Fall. Und "Glied" haben sie als "Lied" verstanden."

    Für einen 40jährigen ist das ein normales Ergebnis. Auch beim Hören der Töne hatte der Patient nur leichte Probleme, vor allem bei hohen Frequenzen. Es wäre auch ein Wunder, wenn er in dem Alter noch keine Ausfälle hätte. Denn Schwerhörigkeit ist eine geradezu unausweichliche Alterserscheinung. Und der Abbauprozess beginnt früh, erklärt Prof. Wolf Mann von der Uniklinik Mainz:

    "Wenn man das in einer Altersverteilung ansieht, ist es so, dass etwa ab dem 20. Lebensjahr dieser Alterungsprozess schon einsetzt und für die hohen Frequenzen pro 10 Jahre Lebensalter der Hörverlust etwa 7 bis 8 Dezibel ist, während er für die tiefen Frequenzen geringer ist. Bedeutet, dass ein Mensch mit 60 bis 70 Jahren ganz natürlicherweise, durch die Umwelteinflüsse höhere Töne schlechter hört und dann in einen Bereich kommt, wo die Frequenz etwa von 2000 Hertz erreicht ist und dann auch das Sprachverständnis beeinträchtigt ist."

    Diese Frequenzeinbuße hört sich so an:

    Oft ist die Ursache auch ganz banal: Ohrenschmalz verstopft den Gehörgang. Manchmal ist der auch durch Entzündungen angeschwollen. In beiden Fällen erreichen die Schallwellen erst gar nicht das Trommelfell.

    Am meisten betroffen bei der Altersschwerhörigkeit ist das Innenohr, genauer: die Gehörschnecke, auch Cochlea genannt. Sie ist gefüllt mit Sinnes- und Nervenzellen und wandelt alle ankommenden akustischen Signale in elektrische Nervensignale um, die dann über den Hörnerv zum Gehirn geleitet werden. Ist dieses sensible Organ geschädigt, kommt es zum Hörverlust.

    "Das beruht darauf, dass es durch verschiedenste Umwelteinflüsse es zu einer Degeneration der Nervenzellen in der Hörschnecke kommt, damit diese nicht mehr zur Schallverarbeitung zur Verfügung stehen und dann meistens, vor allem im Hochtonbereich, ein Hörverlust einsetzt, der dann auch das Sprachverständnis beeinträchtigt."

    ...erklärt Wolf Mann. Mit diesen nervenschädigenden "Umwelteinflüssen" ist vor allem eines gemeint: Krach, Lärm.

    Untersuchungen an Naturvölkern in Afrika zeigen, dass ein Hörverlust nicht gottgegeben ist: Buschmänner können auch im hohen Alter noch bis 8000 Herz hören, also so gut wie hierzulande ein junger Mann. Die Dauerbombardierung mit Lärm gilt mittlerweile als Hauptursache für Schwerhörigkeit. Nicht nur im hohen Alter.

    60 Prozent der berühmten Rockmusiker sind schwerhörig, manche fast bis zur Taubheit. Doch es reicht für die jugendlichen Zuhörer, wenn das Ohr über Lautsprecher in der Disco oder über Kopfhörer mit lauter Musik beschallt wird. Und Sylvesterböller tun ebenfalls ihr Werk.

    "Wir haben hier jetzt bei dem Discolärm das klassische Beispiel einer Lärmschwerhörigkeit oder (...) das Explosionstrauma, das heißt es kommen im Ohr über einen längeren Zeitraum Schallpegel über 90, 95 Db an, wir reden hier teilweise von 110 Dezibel bzw. bei Explosionstraum 140, 150 Dezibel. (...) Und da sieht man, dass teilweise die Innenohrzellen abgerissen werden – und dass es auch zu mechanischen Beschädigungen aufgrund des Explosionstraumas im Innenohr kommt und damit zu einem Verlust der Hörschnecke."

    Sprecher: Die Hörsinneszellen in der Hörschnecke sind besonders empfindlich. Sie besitzen auf ihrer Oberfläche feinste Härchen. Und die werden durch Schall bewegt. Bei Lärmgeschädigten können Ärzte beobachten, dass diese Härchen regelrecht abgerissen worden sind. Das Ohr ist dann unwiederbringlich geschädigt.

    Reparabel sind solche Hörverluste nicht. Denn die Sinneshärchen wachsen nicht nach Aber es gibt trotzdem eine – wenn auch eingeschränkte - Möglichkeit des Ausgleichs: mit Hörgeräten. Moderne Hörgeräte lassen sich genau auf die Frequenzen einstellen, die das geschädigte Ohr braucht, um akustisch die Welt wieder besser zu erfassen. Vor allem, um Sprache wieder besser verstehen zu können. Aber klar ist auch: Hörgeräte haben ihre Grenzen. Das ursprüngliche Hörvermögen kommt nicht zurück. Und: Wenn der Hörverlust sehr groß ist, dann sind sie sogar nutzlos.

    Doch auch dann gibt es eine Therapiemöglichkeit: Das sogenannte Cochlea-Implantat. Sein Prinzip: Eine Elektrode wird vorsichtig in die gewundene Hörschnecke eingeschoben. Unter der Haut am Ohr wird ein Mini-Mikrophon eingepflanzt und mit dem Implantat im Innenohr verbunden. Sprachsignale werden so in elektrische Impulse umgewandelt. Und das Cochlea-Implantat gibt diese Impulse an den noch intakten Hörnerv weiter. Eine Art Höreindruck entsteht, der aber erst nach einigem Training dem Betroffenen wieder ein gutes Sprachverständnis erlaubt.

    Geräusch 1: Hörtest mit Sinustönen

    Sprecher: Uniklinik Mainz, Abteilung für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Getestet wird das Gehör eines kleinen Jungen. Die Eltern haben den Eindruck, dass er nicht mehr richtig hören kann. Doch die Befürchtungen sind grundlos.

    Dennoch sagt Annerose Keilmann, HNO-Professorin in Mainz, dass Kinder besondere Beachtung verdienen.

    "Ungefähr jedes 700ste Kind kommt mit einem Hörschaden auf die Welt, der gravierend ist. Das sind häufig genetisch bedingte Schwerhörigkeiten, zum anderen Teile sind es Schwerhörigkeiten, die darauf zurückzuführen sind, dass in der Schwangerschaft was war, zum Beispiel eine Infektion der Mutter oder die Geburt auf eine komplizierte Weise abgelaufen ist."

    Sprecher: Und sollte eine Schwerhörigkeit in den ersten Lebensjahren unerkannt bleiben, führt das fast automatisch zu großen Problemen beim Spracherwerb. Dabei gibt es mittlerweile Geräte, mit denen sich sehr leicht feststellen lässt, ob ein Kind gut hört oder nicht. Es klingt zunächst paradox. Aber diese Geräte nehmen nicht Geräusche auf, die in das Ohr gelangen, sondern Geräusche, die aus dem Ohr heraus kommen.

    "Das Ohr selbst produziert Geräusche mit seinen äußeren Haarzellen. Und die Geräusche, sie heißen otoakustische Emissionen, können gemessen werden, die kommen durchs Mittelohr raus in den Gehörgang. Und wenn bei einem Individuum Geräusche zu messen sind, dann kann man sich eigentlich recht sicher sein, dass dieses Individuum gut genug hört."

    Bei Erwachsenen, so könnte man meinen, ist es dagegen ein Kinderspiel, Schwerhörigkeit festzustellen. Doch, so erzählt Prof. Mann, manchmal stößt die Medizin an ihre Grenzen.

    "Was ich (...) häufig sehe, ist, dass der Mann oder die Frau nicht mehr hören wollen, was der Partner sagt, das ist die selektive Schwerhörigkeit, die existiert natürlich auch (lacht)."