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Schwerin
"Vor dem Fest" von Stanišićs erobert Theaterbühne

Ein fiktives Dorf in der uckermärkischen Provinz verliert nach der Wende immer mehr Einwohner. Eine Nacht vor dem Dorffest treibt es ein paar Ruhelose aus dem Haus. Für seinen Roman "Vor dem Fest" hat der aus Bosnien stammende Saša Stanišić diverse Literaturpreise bekommen. Nun wurde der poetische Stoff auf die Bühne gebracht.

Von Silke Hasselmann | 26.09.2017
    Das Mecklenburgische Staatstheater zu Schwerin mit Plakat zum Stück von Saša Stanišić.
    Das Mecklenburgische Staatstheater zu Schwerin: Hier feierte das Stück "Vor dem Fest" von Saša Stanišić seine Uraufführung. (Deutschlandradio/Silke Hasselmann)
    Keine Angst: Nur ausnahmsweise schreien sich die Figuren an, reden durcheinander oder flitzen hektisch von einem Bühnenende zum anderen. Das ist erfreulich, geht es Regisseur Martin Nimz doch vornehmlich darum, 19 Fürstenfelder Bewohner und das Dorf selbst über sich erzählen zu lassen. Das ist übrigens wörtlich zu nehmen: Agiert wird wenig, gesprochen viel.
    Die 5 Schauspielerinnen und 7 männlichen Kollegen warten zumeist rauchend auf der Bühne auf ihren Einsatz in Gestalt eines Monologes oder Dialoges. Zudem werfen sie sich abwechselnd Umhänge aus Tierfellen über, sobald sie in die Rolle des DORFES schlüpfen. Das ist im Roman der zentrale Wir-Erzähler, und Autor Saša Stanišić findet die dramaturgische Lösung gelungen. Überhaupt sei er froh, dass die Uraufführungsrechte für seinen sehr komplex erzählten und von noch viel mehr Personal bevölkerten Roman an das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin gegangen sind.
    "Das ist so ein epischer Stoff - den kriegt man irgendwie nicht hin"
    "Es gab zwei Theater, die vorher interessiert waren, und die beide die Fülle des Stoffes irgendwie nicht hingekriegt haben und dann abgesagt haben. Dann dachte ich: `Ok, vielleicht lässt sich das gar nicht machen. Das ist so ein epischer Stoff - den kriegt man irgendwie nicht hin.`Obwohl ich das für Theater nicht glaube; ich glaube, das geht alles. Aber als ich Martin Nimz getroffen habe und er mir erzählt hat, was er vorhat zu machen, dachte ich: `Das ist ja grandios. Warum nicht gleich hier?`Er hatte so einen Enthusiasmus an den Tag gelegt und eine schöne, respektvolle Respektlosigkeit gegenüber den Personen. Das fand ich total super, dass jemand so sagt: `Ja, das gefällt mir nicht so. Das ist super. Das nehmen wir. Das nicht.` Das fand ich gut, dass er schon so autonom mit diesem Wust an Figuren und Schauplätzen umgegangen ist."
    Doch einige Zusammenhänge erschließen sich nicht. Weil das Fest im Stück keine tiefere Bedeutung erlangt, bleibt unklar, warum so viele Dorfbewohner ausgerechnet in der Nacht davor so ruhelos sind. Gut, die Landschaftsmalerin Ana Kranz - dargestellt durch die Sopranistin Anne Steffens - will endlich ein nächtliches Dorfporträt zu Ende malen. Doch weder liegt ein Geheimnis über diesem fiktiven Fürstenfelde noch eine Leiche im Keller eines Dorfbewohners.
    Das Ensemble des Stückes "Vor dem Fest" auf der Bühne des Mecklenburgischen Staatstheaters zu Schwerin.
    Das Ensemble des Stückes "Vor dem Fest": Autor Saša Stanišić traute sich nicht zu, seinen umfangreichen Roman für die Bühne zu kürzen. (Deutschlandradio/Silke Hasselmann)
    Auch die bedeutungsschwanger vorgetragene Frage "Wer schreibt die alten Geschichten?" verhallt ohne Resonanz. Denn: Was ist überhaupt das Problem? Die Dorfarchivarin wird zwar immer paranoider, aber man versteht nicht, warum. Niemand kämpft hier um die Deutungshoheit über die private Lebens-, gar die Dorfgeschichte nach der Wende. Eine Ausnahme bildet die Geschichte vom menschenscheuen Hühnerhalter Dietsche, bei dem aber auch unklar bleibt: Hatte er nun als DDR-Postbote für die Stasi in den Briefen der Leute geschnüffelt oder doch nur aus rein privater Neugierde, wie er sagt?
    Leider lernt man kaum eine der Figuren näher kennen, und seltsamerweise sind deren Lebenslinien kaum miteinander verknüpft. Doch besteht das Gewebe eines Dorfes, einer Gemeinschaft nicht gerade aus solchen Verknüpfungen?
    Stanišić: "Das ist eine viel privatere Geschichte"
    Saša Stanišić traute sich übrigens nicht zu, seinen umfangreichen Roman für die Bühne zu kürzen. Er feilte nur an einigen Übergängen mit. Doch es sei ihm diesmal nicht schwergefallen, die Hoheit über seinen Stoff an Theatermacher abzugeben, erklärt der Hamburger, der 1992 als 14-jähriger Kriegsflüchtling nach Deutschland gekommen war.
    "Mein erster Roman ist ebenfalls auf die Bühne gebracht worden, und das ist eine viel privatere Geschichte, viel intimer. Hat mit meiner Familie zu tun, mit dem Werdegang von mir als Geflüchteter in Deutschland und so. Da habe ich natürlich viel mehr drauf geachtet: Was wird jetzt daraus gemacht? Wir reden die Leute auf der Bühne, was sagen sie? Ist irgendwo ein Witz, den ich da nicht haben möchte, weil es um eine Person geht, die ich konkret vor Augen habe und für Leute im Zuschauerraum ist es halt einfach eine Figur auf der Bühne? Das ging mir hier jetzt nicht so. Hier war ich eher gespannt zu sehen, was passiert aus meinen Ideen."
    Am ausverkauften Premierenabend gab es viel Beifall, auch wegen des großartigen Bühnenbildes von Sebastian Hannak. Es deutet ein Dorf und schilfumstandenes Wasser an. Einmal erhebt sich ein Mähdrescher aus dem See. Ansonsten passiert drei Stunden lang auch mit dem Szenenbild nichts. Den Mangel an Aktion kann man als Gleichnis für das Lebens- und Zeitgefühl in landschaftlich schöner, aber vermeintlich abgehängter ostdeutscher Provinz verstehen, ist aber auch ermüdend. Manch´ Zuschauer verschwand schon in der Pause in die Schweriner Nacht…