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Schwermütiger, alter Mann

Wie ist Glaube in einem aufgeklärten Zeitalter möglich? Als erster und wohl am radikalsten stellte der dänische Philosoph Sören Kierkegaard diese Frage. Der Versuch, den Glauben zu begründen, führt aber fast zwangsläufig zu einer Verzweiflung und so war das Leben Kierkegaards mehr oder minder ein einziger Verzweiflungsakt.

Von Robert Schurz | 11.11.2005
    Ursächlich dafür war aber nicht nur sein unerbittliches philosophisches Fragen, auch über seinem Leben lastete, wie er es selber formulierte, ein Fluch. So verzweifelt aber auch sein Leben war: Die Wirkung, die er noch in der Folge auf die Philosophie ausübt, ist bemerkenswert, denn er begründete das, was man heute Existenzialismus nennt.

    "Der Mensch ist Geist. Aber was ist Geist? Geist ist das Selbst. Aber was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das im Verhältnis, dass das Verhältnis sich zu sich selbst verhält."

    So fragt einer, der in die Tiefe sehen, den Dingen auf den Grund gehen will. Man kann sich aber auch mit solchen Fragen quälen, denn erschöpfende Antworten werden kaum zu finden sein. Der 1813 geborene Däne Sören Kierkegaard gehörte zu jener Sorte Philosophen, die sich Zeit ihres Lebens mit Fragen gequält haben, die eher Abgründe eröffnen, denn schließen. Die Fragen nach Sein und Existenz der Menschen, nach dem Sinn von Welt und Gott, laufen bei Kierkegaard auf ein Grundproblem hinaus: Wie ist Glaube überhaupt möglich. Die Antwort fällt eher pessimistisch-düster aus: nur Angst, Verzweiflung, und Selbstaufgabe führen zum wahren Glauben, zu einem Glauben, der sich nur durch sich selber beweisen kann.

    Dieser düstere Zug seiner Philosophie ist auch in Kierkegaards Leben wieder zu finden, das man als durchweg misslungen bezeichnen kann. In seinem Tagebuch schreibt er über sich selbst: "ein Kind. auf wahnsinnige Weise dazu verkleidet, ein schwermütiger alter Mann zu sein." Der schwermütige alte Mann war Kierkegaards Vater, ein wohlhabender Kaufmann, der seine Kinder streng religiös erzog und selber hoch-depressiv war. Er litt unter der Vorstellung, dass Gottes Fluch auf ihm und seiner Familie laste; Sören Kierkegaard übernahm diese Vorstellung und die Schwermut des Vaters und war zudem später von einem Buckel geplagt, ohne jede Lebensfreude.

    Er suchte sein Heil in der Religion und begann ein Theologiestudium in Kopenhagen. Sein Vater starb recht früh und hinterließ seinem jüngsten Sohn ein beträchtliches Vermögen, das Sören Kierkegaard fortan ernährte. Er verlobte sich mit der zehn Jahre jüngeren Regine Olsen und kam mit der Frage von Liebe und Geschlechtlichkeit, übrigens ähnlich wie Franz Kafka, überhaupt nicht zurecht. Wieder quälte er sich und die Verlobte mit grundsätzlichen Fragen und löste schließlich die Beziehung auf. Allerdings schrieb er aus diesem Anlass sein erstes großes Buch mit dem Titel: "Entweder-Oder".

    Kierkegaard begann zu schreiben und in rascher Folge erschienen seine bedeutendsten Abhandlungen: "Furcht und Zittern", "Der Begriff der Angst" oder "Die Krankheit zum Tode". In all diesen Büchern ist der Glaube zentrales Thema: Man könne zu einer wahrhaft religiösen Existenz nur durch einen Sprung kommen, der die völlige Selbstaufgabe bedeute. Gegen jeden philosophischen Anspruch auf Objektivität führte er das Faktum der subjektiven Existenz ins Feld, dass der Mensch auf dieser Welt letztlich nur sich selber habe.

    Seine Gegnerschaft zur vorherrschenden Philosophie seiner Zeit, zum deutschen Idealismus und insbesondere zu Hegel, war unerbittlich. Viele Freunde schaffte er sich nicht: Er führte einen verzweifelt-komischen Kampf gegen ein Kopenhagener Satireblatt, legte sich mit der dänischen Staatskirche an und druckte die meisten seiner Schriften auf eigene Kosten.

    Kierkegaards Wirkung jedoch ist enorm: Er gilt als Begründer des Existenzialismus, der in Heidegger und Sartre seinen Höhepunkt fand, aber auch die moderne Theologie ist ohne sein Werk kaum vorstellbar. Er starb am 11. November 1855 im Alter von zweiundvierzig, kurz nachdem er zuvor auf offener Straße zusammengebrochen war, -rechtzeitig- denn sein ererbtes Vermögen hatte er gerade aufgebraucht.