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Schwerpunktthema: Internet und Partizipation

Sptätestens mit dem Arabischen Frühling ist ins öffentliche Bewusstsein gerückt, dass Smartphones und soziale Netzwerke auch eine politische Dimension haben. Welche Chancen die neuen Medien des Web 2.0 für die politische Partizipation bieten, darüber diskutierten Wissenschaftler jetzt in Hamburg.

Von Peter Leusch | 06.12.2012
    Patrick Donges, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Greifswald: "Parteien werden alle diese neuen Techniken nutzen, die müssen einfach Twitter nutzen, weil es von den eigenen Mitgliedern, von der eigenen Klientel erwartet wird, es ist eine Art kommunikatives Wettrüsten, ohne dass man sagen kann, diese oder jene Applikation bringt euch etwas an Wählerstimmen."

    Sigrid Baringhorst, Politologin an der Universität Siegen: "Auch weil es die Piraten gibt, die deutlich machen, dass vor allem die junge Generation – und jede Partei will vor allem die Jungwähler ansprechen – auf mehr Partizipation via Social Web drängen."

    Sigrid Baringhorst, Politologin an der Universität Siegen: "Wir haben immer noch 60 Prozent der über 60-Jährigen, die das Internet nicht nutzen. Wenn wir im Kopf behalten, wie viele Wähler und Wählerinnen in dieser Altersgruppe sind, dann wird sofort klar, dass eine Partei niemals nur einen Online-Wahlkampf wird machen können."

    Gerhard Vowe, Kommunikations- und Medienwissenschaftler der Universität Düsseldorf: "Wir werden neue hybride, also zusammengewachsene Formen erleben, die die Älteren unter uns nicht so richtig beherrschen werden, aber die jüngeren sind damit groß geworden und werden damit hervorragend umgehen können. Damit müssen wir leben."

    "Ich bin skeptisch, dass da innerhalb von einem Jahr viel passieren wird. Bundestagswahlen haben ihre ganz eigene Dynamik, der Wahlkampf, da sind starke Personalisierungen im Vordergrund, …. das sieht man auch gerade bei den Piraten, dass es ein Problem gibt, zwischen Partizipation der Basis und Personalisierungswunsch, der bei den Medien immer da ist."

    Kathrin Voss, die die Tagung organisiert hat, forscht an der Universität Hamburg zum Wandel der politischen Kommunikation. Denn die klassischen Medien Zeitung, Radio und Fernsehen haben starke Konkurrenz bekommen haben durch die neuen digitalen Medien, durch das weiterentwickelte Internet Web 2.0 und das Smartphone. Auch wenn Kathrin Voss skeptisch ist, ob der Wandel schon den nächsten Wahlkampf beeinflusst, stellt sich die Frage, welche Chancen die neuen Medien für eine stärkere Bürgerbeteiligung bieten. Dass man mit einem Smartphone mehr anstellen kann als zu telefonieren, wissen wir schon länger: Das Smartphone ist Kommunikationszentrale, Wetterdienst und Reisebüro, dient als Kaufhaus, Kamera und Spielkonsole, bietet intimen Chat ebenso wie globale Community.

    Spätestens seit dem Arabischen Frühling, wo Facebook und Twitter bei der Mobilisierung gegen die Diktatur halfen, ist ins öffentliche Bewusstsein gerückt , dass das Smartphone auch eine politische Dimension haben kann. Und Gelegenheiten zu einer politischen Partizipation bieten sich unmittelbar im Alltag, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Gerhard Vowe, zum Beispiel wenn wir mit dem Handy die aktuellen Nachrichten studieren:

    "Ich lese auf 'Spiegel'-online einen Artikel über den Plagiatsvorwurf gegen die Wissenschaftsministerin, teile dies sofort meinen Facebook-Freunden mit, dass hier ein neuer Artikel erschienen ist, schicke ihn weiter, schreibe anschließend eine Mail an den Dekan unserer Fakultät, rege an, dass er vielleicht mit einer eigenen Presseerklärung dagegen angeht. Und ich gehe noch einen Schritt weiter, kommentiere auf Spiegel online diesen Artikel über die Wissenschaftsministerin. Und dann gehe ich in eine Suchmaschine und bitte mir die Plagiatsvorwürfe der letzten 19 Jahre aufzulisten und mich in Zukunft zu verständigen, wenn in diesem oder einem anderen Fall neue Diskussionen entstehen oder neue Artikel auftauchen, - das alles kann ich machen ohne das Smartphone aus der Hand zu legen."

    Gerhard Vowe konkretisiert, was heute schon möglich ist, wie sich individuelle Kommunikation mit kollektivem Austausch und politischer Aktion verbinden kann, aber sein avanciertes Beispiel ist nicht repräsentativ. In einer Langzeitstudie von 2002 bis 2009 hat Gerhard Vowe eine Querschnittsgruppe der Bevölkerung zu ihren politischen Kommunikationsaktivitäten befragt: Ob sie sich häufiger über Politik unterhalten, ob sie zu Versammlungen gehen, sich an Abgeordnete wenden oder an Demonstrationen teilnehmen. Und auch, ob und wie sie sich im Netz politisch betätigen, ob sie zum Beispiel schon einmal eine Online-Petition unterschrieben haben. Bei der Auswertung haben sich fünf Typen herauskristallisiert, zwei davon sind besonders markant:

    "Die Hälfte der Bevölkerung gehört zur schweigenden Mehrheit , das heißt sie nehmen vielleicht mal die Tagesschau wahr oder hören mit halbem Ohr im Auto die Nachrichten, die gehen auch wählen, die unterhalten sich auch ab und zu über Politik, aber ansonsten machen sie um jede politische Kommunikation einen großen Bogen, und zwar einen umso größeren Bogen, je aufwendiger das ist. Und dann haben wir unter anderem eine Gruppe, die haben wir mal die Digitalbürger genannt, die sind wesentlich jünger, die sind besser gebildet als der Durchschnitt der Bevölkerung. Und das sind diejenigen, die ihre politischen Kommunikationsaktivitäten, sowohl die Mediennutzung als auch die Unterhaltung über Politik, als auch das Teilhaben an politischen Entscheidungen über das Netz machen, sie nutzen die Online-Möglichkeiten, die sich bieten, um Einfluss auf Politik zu nehmen."

    Die junge Generation wird mit Facebook, Weblogs und Internetforen groß, sie wird sich eher im Netz auf einer Kampagnenplattform engagieren als lokal zu einer politischen Versammlung zu gehen. Dabei wird aber auch deutlich, dass es sich nicht nur um eine technische Veränderung handelt - statt der auf Papier gedruckten nun eine elektronische Zeitung zu lesen - sondern um einen tiefergehenden Wandel, der das Wesen politischen Handelns selbst betrifft. Sigrid Baringhorst, Politikwissenschaftlerin an der Universität Siegen, nennt den neuen Typus "politics to go":

    "Normalerweise lernen wir, Politik findet in Parlamenten statt oder in den Hinterzimmern von Lokalen, wo Ortsvereine sich treffen, oder Politik findet auf der Straße statt im Kontext von Demonstrationen. .. Politics to go" bezeichnet für mich den Trend, dass Politik machen, sich an Politik beteiligen, zunehmend unabhängig wird von institutionalisierten Orten … weil ich nicht zu von Organisationen veranstalteten Treffen gehen muss, sondern in meinem Lebensalltag ganz individuell, für mein Zeitgefüge hin gebastelt, mich an Politik beteiligen kann."

    "Politics to go" habe auch zu einem neuen Typus von politischen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen geführt, erklärt Kathrin Voss, die sich wissenschaftlich mit Nichtregierungsorganisationen befasst. Am bedeutendsten in Deutschland ist die Kampagnenplattform "Campact", die 2004 nach dem amerikanischen Vorbild "Move On" gegründet wurde:

    "Eine Organisation wie Campact hat einen sehr kleinen Mitarbeiterstab, entscheidet sich immer sehr spontan, welche Themen sie bearbeiten, wozu sie Kampagnen machen und sie machen Kampagnen von Abgeordnetennebenverdiensten bis zu Umweltthemen, Antiatomkraft, aber auch Meldegesetz, was gerade aktuell ist, Fukushima ist das große Beispiel: Antiatomprotest hat es schon vorher gegeben, aber Campact war in der Lage innerhalb kürzester Zeit 200.000 Online-Unterschriften zu sammeln, kurz nach Fukushima, weil das ein Thema war, das war in den Medien, das hat die Leute aufgeregt, und da ist der Moment da, wo man die Menschen mobilisieren kann, um dann der Politik zu sagen: 'hier – die Leute wollen eine Änderung haben', und das ist das Verfahren dieser Hybridorganisationen. Indem sie beobachten, was passiert gerade in den Medien, was passiert in d er Politik."

    Es gibt auch Aktionen vor Ort, Demonstrationen und Aktionstage, aber die entscheidende Ebene ist das Netz: online rangiert vor offline. Die blitzschnelle Verbreitung und das niedrigschwellige Engagement sind zweifellos die Stärken dieser Kampagnenorganisationen, aber wie viel Substanz hat ein politisches Handeln, das sich in einer Online-Unterschrift manifestiert, unter einen Appell, den mir Freunde bei Facebook geschickt haben? Erschöpft sich am Ende das Ganze Engagement in einem Mausklick? Manche Kritiker befürchten das und haben den Netzaktivismus im Englischen als slacktivism - wörtlich übersetzt - als Faulpelzaktivismus geschmäht.

    Kathrin Voss: "Hinter Slacktivism steht so ein bisschen die Befürchtung, die Leute würden sich dann nicht mehr richtig engagieren, bisher gibt es Gott sei Dank keine Studien, die das belegen und wir haben bei Stuttgart 21 wie auch bei den Anti-Atomprotesten letztes Jahr massiv Leute auf der Straße gesehen, also es gibt da noch nicht die Vorstellung, man kriegt die Leute nicht mehr mobilisiert, auch wirklich aktiv zu werden."

    Auch Sigrid Baringhorst widerspricht der These vom Faulpelzaktivismus im Netz mit Belegen aus ihrer Forschung. An der Universität Siegen leitete sie ein Forschungsprojekt zu neuen Protestkulturen im Netz. Dabei stieß sie auf verschiedene sogenannte hybride Kampagnen, wo nämlich Aktionen vor Ort mit Aktivitäten im Netz, also offline und online, kombiniert waren. Zum Beispiel bei der Kampagne gegen den Lebensmitteldiscounter Lidl, der von Greenpeace aus ökologischer und von der Gewerkschaft Verdi aus arbeitsrechtlicher Perspektive attackiert wurde:

    "Hier sehen wir einerseits, dass diese Kampagnen insofern hybrider werden, dass unterschiedliche Akteurs-Typen mit unterschiedlichen Themen sich da vernetzen, aber die User auch ins Spiel kamen einerseits dadurch dass man vor Geschäften offline demonstrierte, aber die Bilder über die Offline-Aktionen andrerseits auch selber ins Netz stellte, im Sinne von fotogalleries, die die User erstellen, um sich selbst auch als politisch aktive Menschen im Netz wiederzusehen und um auch darüber eine Identifikation mit der Kampagne herzustellen."

    Es gibt eine Reihe von Ansätzen, so wurde auf der Tagung deutlich, wo Bürger und Nichtregierungsorganisation via Internet neue Formen des politischen Engagements von unten, also bottom up, entwickeln. Doch wie reagieren eigentlich Politiker, wenn sie mit Online-Kampagnen konfrontiert werden?

    Kathrin Voss: "Ich habe eine Umfrage gemacht unter Bundestagsabgeordneten, und sie sagen, das ist für sie schon ein Indikator, was die öffentliche Meinung darstellt, aber einen richtigen Einfluss auf ihre politische Arbeit billigen sie dem nicht zu. Zum einen, weil sie glauben, dass da vielleicht auch Lobbyisten die Hand im Spiel haben, und die Kampagnen nicht immer so sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen, zum anderen, weil bei manchen Kampagnen schwer nachvollziehbar ist, ob das wirklich 200.000 Leute unterschrieben haben, oder ob welche mit falschem Namen unterschrieben haben, das ist online alles schwer nachprüfbar."

    Die Skepsis der Abgeordneten ist durchaus berechtigt. Denn das Netz bietet beträchtliches Missbrauchspotenzial. Inzwischen gab es einige Fälle, wo hinter einer vermeintlichen Kampagne der Basis, einem grassroots movement, also einer Graswurzelbewegung, ganz andere Kräfte enttarnt wurden. Die Wissenschaftler nennen dieses Täuschungsmanöver astroturf.

    Kathrin Voss: "Also Astroturf – der Begriff kommt von einer amerikanischen Kunstrasenmarke – und dieser Begriff wurde in den USA verwendet für Bewegungen, die so tun, als wären sie Bürgerinitiativen, aber in Wirklichkeit stecken große Konzerne dahinter: Eines der ersten großen Beispiele war in Europa in Großbritannien aktiv, die nannte sich campaign for creativity – das war eine Web-Seite, da wurden Nutzer aufgefordert, den EU-Abgeordneten zu schreiben, wir wollen ein Gesetz für Softwarepatente'. Wir- die Webseite tat so, als wären sie kleinste Softwareentwickler, die diese Patente brauchen, um in diesem Beruf überleben zu können. Und tatsächlich war der größte Finanzier dieser Kampagne Microsoft und SAP, die natürlich ein massives finanzielles Interesse haben."

    Nicht zuletzt, um Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen, gibt es auch von staatlicher Seite Bemühungen, eine stärkere Bürgerbeteiligung via Netz zu etablieren . Um Partizipation nicht nur verbal gutzuheißen, sondern wirklich politisch einzubeziehen, hat die Enquete-Kommission "Internet und Digitale Gesellschaft" im Bundestagsbeschluss niemand anderen als die Bürgerinnen und Bürger selbst als 18. Sachverständigen in diese Kommission berufen - mit anderen Worten die Zivilgesellschaft aufgerufen, ihre Kompetenz, ihr Wissen und ihre Erfahrung in dieser Kommission fruchtbar zu machen.

    Mehr noch als Staat und Verwaltung sehen sich angesichts der Bundestagswahl 2013 die Parteien mit der Frage konfrontiert, wie viel Bedeutung und welche Reichweite eine Online-Kommunikation inzwischen gewonnen hat. Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Universität Mainz hat den letzten Bundestagswahlkampf daraufhin analysiert:

    "Wenn wir die Gesamtbevölkerung anschauen, sehen wir, dass im Bundestagswahlkampf 2009 etwa 80 Prozent der Menschen in der jeweils unserer Befragung vorausgehenden Woche über das Fernsehen Informationen erhalten haben, über Zeitungen Informationen erhalten haben, der Wert für das Internet lag damals bei etwa 20 Prozent. Das ist jetzt vier Jahre her, da hat sich sicher eine Menge getan, das haben wir auch im US-Wahlkampf gesehen. Insofern wäre meine Erwartung, dass wir im Bundestagswahlkampf 2013 sicherlich viel höhere Werte für das Internet bekommen werden, die große Herausforderung, vor der Parteien stehen, ist es, diese neuen sozialen Medien, die neuen sozialen Netzwerke auf kluge Weise einzusetzen, um da Multiplikator-, Vervielfältigungseffekte zu sehen, denn dann können diese neuen Medien noch mal eine viel größere Reichweite bekommen."

    Mit der Webseite legt die Partei eine Art Visitenkarte ab, das heißt sie informiert und kommuniziert hauptsächlich in eine Richtung – so bewegt man sich immer noch auf dem Niveau des frühen Internets, während die interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0, wo man in Dialog treten kann, brach liegen. Hier hapert es, - so die Wissenschaftler – immer noch bei den Parteien.

    Was aus den Möglichkeiten der Internetkommunikation für Bürger und Zivilgesellschaft wird, ist weiterhin eine offene Frage. Sigrid Baringhorst schlägt vor, dass sich die künftige Forschung weniger auf die Eigenart neuer technischer Medien konzentriert im Sinne von: was kann Twitter, was kann Twitter nicht - sondern danach fragt, was die Kommunikationssubjekte mit den technischen Innovationen der digitalen Welt eigentlich anstellen, mit anderen Worten: was Menschen politisch daraus machen.