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Schwierige Herkunftsanalyse

Genetik. - Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden über 12 Millionen Afrikaner versklavt und nach Amerika geschifft. Heute bilden die Afroamerikaner nach den aus Europa stammenden Amerikanern die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe der USA. Mit Hilfe der Genetik wollen viele dieser Menschen nun das Herkunftsland ihrer Vorfahren herausfinden. Was die Genetik tatsächlich über den Sklavenhandel aufzuklären zu leisten im Stande ist, darüber berichteten Forscher auf dem 4. Internationalen Symposium für Biomolekulare Archäologie in Kopenhagen.

Von Michael Stang | 10.09.2010
    Auch wenn es aus der Zeit des Sklavenhandels viele schriftliche Überlieferungen gibt, wann etwa welches Schiff mit wie vielen Sklaven in Afrika ausgelaufen und wo und wann in Amerika angekommen ist, sind noch immer viele Fragen offen, sagt der Genetiker Hannes Schroeder.

    "Dieser ganze Bereich des Sklavenhandels ist eine sehr emotionale Geschichte für Amerika, da es ja fast alle afroamerikanischen Menschen in den Staaten betrifft. Seit Jahrzehnten forschen Historiker und Archäologen an der Aufarbeitung des Sklavenhandels und nun hoffen auch Genetiker, die geographische Herkunft der afrikanischen Sklaven klären zu können."

    Trotz intensiver Forschungen konnten Historiker ein Problem bislang nicht lösen: die exakte Herkunft einzelner Sklaven. Diese Lücke könnten Genetiker jedoch schließen, hofft der Forscher vom Centre for GeoGenetics der Universität von Kopenhagen.

    "Ein wichtiger Punkt bei den historischen Aufzeichnungen ist, dass sie sich im Prinzip immer nur auf die Anlegestellen der Sklavenschiffe in Westafrika beziehen. Das bedeutet aber nicht, dass ein von dort aus verschiffter Sklave aus dem Westen des schwarzen Kontinents stammen muss. Mithilfe der Genetik kann man jedoch Individuen bestimmten Populationen zuordnen und so helfen, die Geschichte des Sklavenhandels besser zu verstehen."

    Um herauszufinden, woher einstige Sklaven und deren Nachkommen stammen, müssen Knochen aus der Hochzeit der Sklaverei genetisch untersucht werden. Dazu analysierte Hannes Schroeder in einem ersten Projekt die Gebeine aus Sklavengräbern, die bei Ausgrabungen in St. Helena, Barbados und anderen Inseln geborgen wurden. Für eine exakte Herkunftsanalyse bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung der genetischen Daten.

    "Nur mit Blick auf die mitochondriale DNA oder das Y-Chromosom etwa ist es jedoch unmöglich, exakt eine Population festzumachen und daraus Schlüsse bezüglich des Sklavenhandels zu ziehen. Grobe Einteilungen erlauben sie zwar, aber das ist nur der erste Schritt. Erst mit Hilfe der zellulären DNA und bestimmter Verwandtschaftsmarker im Erbgut wird es hoffentlich bald möglich sein, wirklich konkrete Aussagen über die geographische Herkunft eines Individuums zu machen."

    Um tatsächlich exakte Aussagen darüber zu machen, ob einer der untersuchten Sklaven aus Sierra Leone, dem Niger, Nigeria, Angola oder Kamerun stammt, bedarf es eines Abgleichs mit Datenbanken, in denen die genetischen Profile von Afrikanern gespeichert sind. Zwar existieren solche Datensammlungen, jedoch enthalten diese nur die Daten heutiger afrikanischer Populationen. Da sich in den vergangenen Jahrhunderten jedoch wie überall auf der Welt auch in Afrika stetig Populationen vermischt hätten, muss ein heutiges "typisches" Profil einer afrikanischen Bevölkerungsgruppe nicht zwangsläufig mit dem dieser ethnischen Gruppe vor 400 Jahren übereinstimmen. Seit dieser Zeit seien einfach sehr viele Gene ausgetauscht worden, so dass es zwangsläufig binnen weniger Generationen zu Verschiebungen in dem für die Populationsgenetik wichtigen Erbgutbereichen gekommen ist. Für gesicherte Aussagen bedarf es daher Datenbanken, die auch die afrikanischen Profile aus der Zeit des 16.-19. Jahrhunderts enthalten. Daher sei es mit dem heutigen Wissensstand noch nicht möglich, die exakte geographische Herkunft der Ahnen eines Afroamerikaners herauszufinden. Dies hindere jedoch viele Firmen nicht daran, mit ihrer genetischen Ahnenforschung zu werben und ihren Kunden zu versprechen, per Speicheltest den Ursprung ihrer afrikanischer Ahnen exakt bestimmen zu können, sagt Hannes Schroeder.

    "Das Geschäft mit der genetischen Ahnenforschung ist längst zu einem Millionen-Dollar-Business geworden. Nur so ist es zu verstehen, dass Resultate überinterpretiert werden, obwohl sie bestimmte Aussagen meines Erachtens unmöglich hergeben können."