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Schwieriger Neubeginn

"Wir haben Frieden", sagt Androz Cassango. Dies ist der wichtigste Satz in Angola überhaupt. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg. Der Kampf um die Macht zwischen der Volksbefreiungsbewegung MPLA und den Rebellen der Union für die totale Befreiung Angolas, der UNITA, forderte wahrscheinlich eine Million Tote - die wirkliche Zahl kennt niemand. Vier der zwölf Millionen Einwohner flohen allein in den letzten vier Jahren vor dem Krieg in sicherere Gebiete und mussten lange Zeit in der Fremde leben. Frieden war ihnen die einzige verbliebene Hoffnung.

Frank Räther | 18.01.2003
    "Wir haben Frieden", sagt Androz Cassango. Dies ist der wichtigste Satz in Angola überhaupt. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg. Der Kampf um die Macht zwischen der Volksbefreiungsbewegung MPLA und den Rebellen der Union für die totale Befreiung Angolas, der UNITA, forderte wahrscheinlich eine Million Tote - die wirkliche Zahl kennt niemand. Vier der zwölf Millionen Einwohner flohen allein in den letzten vier Jahren vor dem Krieg in sicherere Gebiete und mussten lange Zeit in der Fremde leben. Frieden war ihnen die einzige verbliebene Hoffnung.

    "Der Krieg ist vorbei, wir haben Frieden", bestätigt Androz Cassango noch einmal, der stellvertretende Distriktchef von Balombo im Zentralen Hochland, als wolle er durch die Wiederholung die Endgültigkeit des so wichtigen Satzes unterstreichen. Denn nicht nur das Land ist von dem Vierteljahrhundert Krieg zerstört, sondern auch das Leben aller seiner Bewohner. Zwischen den Mahlsteinen der bewaffneten Kräfte, die um die alleinige Macht in dem reichen südwestafrikanischen Land rangen, wurde die Zivilbevölkerung bedenkenlos zerrieben. Millionenfach ist das Leid in Angola. Und schon mehrfach ist die Hoffnung auf Frieden enttäuscht worden, wie der 49jährige Bernardo Calule Andão erzählt, der nun aus dem Flüchtlingslager Fasil in der Provinz Benguela aufbrechen will. Nach Hause. In das Dorf Gindunbu.

    Das erste Mal bin ich 1977 aus meinem Dorf Gindunbu geflohen, als wir von der UNITA überfallen wurden, die viele tötete. Damals war ich ein junger Mann von 24 Jahren. Wir flohen in die kleine Stadt Bocoio. Und dann warteten wir, warteten und warteten. Es dauerte lange. 15 Jahre. Bis zum Friedensabkommen von 1992. Dann endlich konnte ich nach Hause, nach Gindunbu. Wir bauten unsere Hütten wieder auf, begannen mit Ackerbau und Viehzucht. Doch im Jahr 2001 mussten wir wieder weg, wieder hierher fliehen. Diesmal war es die Regierung, die uns hierher zwang. Nichts konnten wir mitnehmen, denn wir hatten durch den Busch zu laufen.

    Die Regierungsarmee hatte 2001 regelrecht eine Politik der verbrannten Erde begonnen, Dörfer zerstört und die Menschen vertrieben. Damit sollte die UNITA aus den etwa zwei Dritteln Angolas vertrieben werden, die diese jahrzehntelang kontrollierte – und dort entweder die Unterstützung der Bevölkerung hatte oder sich diese erzwang. Niemand weiß, wie viele Menschen bei der über ein Jahr dauernden Offensive getötet wurden. Für die Regierungsarmee zahlte sich der brutale Vormarsch aus. Im Februar 2002 spürte sie in der Ostprovinz Moxico den auf der Flucht befindlichen UNITA-Führer Jonas Savimbi auf und tötete ihn. Dessen Generälen blieb nur die Kapitulation und die Unterzeichnung eines Friedensabkommens am 4. April. Damit war der Krieg, der schon vor der Unabhängigkeit 1975 begonnen hatte, zu Ende. Der Sprecher der UNITA, Marcial Adriano Dachala, betont nachdrücklich, dass seine Organisation einen definitiven Frieden anstrebe:

    Damit ist in Angola seit dem 4. April 2002 ein neues Zeitalter angebrochen. Sollte man denken. Die Regierung könnte jetzt endlich daran gehen, das Land aufzubauen und all die Projekte zu verwirklichen, die sie stets propagierte. Denn sie war ja einst angetreten, ein freies und besseres Leben für die angolanische Bevölkerung nach dem Ende des Kolonialismus zu schaffen. Die UNITA auf der anderen Seite ist trotz ihrer Niederlage im Kampf um die Macht zwar geschlagen, aber nicht völlig aufgerieben. Sie hat als politische Kraft eine Zukunft, denn sie ist die einzige organisierte Bewegung, die neben der seit der Unabhängigkeit 1975 herrschenden MPLA von nationaler Bedeutung ist. Und die Bevölkerung, die seit Generationen nur Krieg, Leid, Entbehrung und Tod kannte, hat nur einen Wunsch: endlich in Ruhe gelassen zu werden und sich um sich selbst kümmern zu können. Der 45jährige Oberstleutnant Duarte, der den Kampfnamen Cabelo Branco – Weißhaar – trägt, ist seit 1975 Soldat in der Regierungsarmee und hofft nun auf das endgültige Ende des Krieges:

    Auf Befehl von oben haben wir Krieg geführt, sagt er, und auf Befehl von oben haben wir den Krieg beendet. Sowohl Oberstleutnant Duarte von den Regierungsstreitkräften als auch Marcial Adriano Dachala von der UNITA und der Flüchtling Bernardo Calule Andão versprechen sich viel von dem endlich erreichten Frieden: den Aufbau eines demokratischen und prosperierenden Angola. Denn anders als die meisten afrikanischen Länder ist Angola reich. Vor der Küste fördern ausländische Unternehmen Erdöl und zahlen dafür Milliarden von Dollar. Im Nordosten werden Diamanten abgebaut – vier Millionen Karat und mit die wertvollsten, die auf der Erde gefunden werden. Außerdem lagern hier die reinsten Eisenerzvorkommen der Welt. Es gibt Kupfer, Uran, Mangan und viele andere Bodenschätze. Und Angola ist so fruchtbar, dass es sich nicht nur selbst versorgen kann, sondern das Potenzial einer Kornkammer Afrikas hat.

    Doch die Herrschenden treiben ein teuflisches Spiel mit dem angolanischen Volk. Sie sind nur an ihrer eigenen Bereicherung interessiert, nicht aber an der Entwicklung des Landes. Und so überlassen sie das weitgehend zerstörte Land sich selbst und denken nicht daran ihren bisherigen Kurs zu verändern. Dies betrifft die Behandlung der UNITA, dies betrifft die Behandlung der Flüchtlinge und dies betrifft die Zivilbevölkerung insgesamt. Es war im April vereinbart worden, dass sich die UNITA-Rebellen zusammen mit ihren Familienangehörigen in 38 Sammellagern einfinden, wo sie ihre Waffen abgeben. Es kamen über 80 000 Kämpfer und 324 000 Frauen und Kinder. Für UNITA-Sprecher Marcial Adriano Dachala war dies ein klares Zeichen, dass es die Rebellenbewegung ernst meint mit der Versöhnung:

    Die UNITA hat ihre Leute in die Sammellager gebracht. Ich denke, das war eine sehr deutliche Aktion. Die UNITA hat ihre Waffen abgegeben. Auch das war eine deutliche Aktion. Daher erwarten wir auch von Seiten der Regierung eine deutliche Haltung.

    Diese deutliche Haltung heißt zweierlei: die Versorgung der bisherigen Gegner in den Camps und dann die vereinbarte Rücksiedlung in ihre Heimatorte. Doch nur die ehemaligen Kämpfer wurden mit Nahrungsmitteln versorgt, deren Familien nicht. So mussten zunächst im Durchschnitt fünf Personen von der Ration leben, die für einen gedacht war. Erst nach drei Monaten dann begann die Hilfeleistung internationaler Organisationen für die UNITA-Familien in den Camps zu greifen. Ende August stellte die Regierung auch für die ehemaligen Kämpfer die Belieferung mit Nahrungsmitteln ein, denn diese galten als demobilisiert. Und nach weiteren zwei Monaten kam der Befehl, die Lager aufzulösen. Alle sollen unverzüglich in ihre Heimatdörfer zurückkehren. UNITA-Vertreter Dachala wurde davon völlig überrascht:

    Das war die alleinige Entscheidung der Regierung. Denn die UNITA, die ja mit der Regierung zusammen in der Gemeinsamen Kommission sitzt, hat in diesem Gremium bisher nicht dieses Problem diskutiert. Wir appellieren an die Regierung, unverzüglich in den Zielorten alle Bedingungen zu schaffen, damit die Leute dorthin können. Bisher wissen wir überhaupt nicht, wie die Konditionen in diesen Gebieten sind.

    Dabei hatte die Regierung nach dem Friedensschluss sogar ein Gesetz verabschiedet, wie die Verhältnisse dort sein sollten, weiß Ralf Syring, der Büroleiter der Welthungerhilfe in Luanda, dessen Organisation neben Zehntausenden Flüchtlingen auch viele der UNITA-Angehörigen in den letzten Monaten versorgte:

    Im Gesetz zwar verankert, aber nicht erfüllt, klagt ein Sprecher von "Ärzte ohne Grenzen" in Luanda, einer Organisation, die aufgrund ihrer Hilfeleistungen in entlegenen Gebieten mit die beste Ortskenntnis in Angola hat. Warum also dann die hastige Umsiedlung?

    Solange die Lager da sind, sind sie sehr sichtbar. Sie erinnern ständig. Wenn sie aber aufgelöst sind, dann ist es viel schwieriger, die Probleme zu sehen.

    Es soll also Normalität vorgegaukelt werden. Keine UNITA-Lager mehr da – alles in Ordnung. Aber es steckt noch mehr dahinter: Denn auch auf die Beauftragten der Regierungsstreitkräfte haben die Camps eine Wirkung, die die Herrschenden fürchten. Die Feinde von einst leben zusammen, reden miteinander, sind plötzlich eine Art funktionierender Zivilgesellschaft, wie Oberstleutnant Duarte erzählt:

    Wir haben unterschiedliche Auffassungen, aber das ist doch normal. Wenn es keine anderen Ideen als die eigenen gibt, entwickelt sich eine Gesellschaft doch nicht. Wir verstehen uns hier gut, wir haben eine gemeinsame Kultur. Wir arbeiten zusammen, um Angola voranzubringen und den Frieden zu stabilisieren. Wir tun alles, um ein Vertrauen zwischen uns aufzubauen.

    Vertrauen zwischen dem Fußvolk der einen und der anderen Seite aber ist genau das, was die Herrschenden in Luanda nicht gerne sehen. Denn sehr schnell könnte dann – nachdem bisher alle Probleme auf den Krieg geschoben werden konnten – das Volk auf den Gedanken kommen, die Regierung in die Pflicht zu nehmen.

    Der gesamte Staat ist durch den Krieg verkommen. Eine kleine Gruppe um Präsident dos Santos herrscht über das Land wie eine Feudalclique. Immer wieder wird in Luanda behauptet, dass dos Santos aus jedem geförderten Barrel Erdöl einen Dollar auf sein Privatkonto überweisen lässt. Es hält sich das Gerücht, dass er auf diese Weise ein Vermögen von drei Milliarden Dollar zusammengerafft haben soll. Angola ist zu einer Kleptokratie verkommen. Und noch viel mehr sei in Unordnung, klagt der Bürgerrechtler Castello:

    Da wir lange Zeit ein Einparteiensystem hatten, gibt es bis heute eine Konfusion über die unterschiedliche Verantwortung von Regierung, Parlament und der dominierenden Partei. Auch die Polizei muss endlich eine eigene Rolle haben und nicht länger als Polizei der herrschenden Partei angesehen werden. Gleiches gilt für die Zivilverteidigung, die aufgelöst und entwaffnet gehört. Denn wer hat ihr die Waffen gegeben? Die Regierung der MPLA.

    Der Bürgerrechtler Benjamin Castello drängt darauf, endlich mehr Demokratie in Angola einzuführen und vor allem endlich alle Kräfte des Landes angesichts der tiefen Misere, in der sich Angola nach dem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg, Zerrissenheit und Machtmissbrauch befindet, am Wiederaufbau zu beteiligen.

    Wir müssen jetzt Druck ausüben, um einen Nationalen Pakt zu erreichen, der nicht nur die UNITA und die Regierung einschließt, sondern alle politischen Parteien, die Zivilgesellschaft und die Kirchen.

    Aber die Herrschenden in Luanda wollen sich ihre Allmacht nicht nehmen lassen, denn diese ermöglicht ihnen den Zugriff auf die Staatskasse – und damit die persönliche Bereicherung. Von den sieben Milliarden Dollar, die der Staat jährlich aus dem Erdöl einnimmt, das vor der Küste gefördert wird, verschwindet etwa eine Milliarde in den Taschen von Politikern und Generälen. "Nicht auffindbar", wie es der Internationale Währungsfonds nennt, der diese Zahlen ermittelte. Das heißt, würden sich die Herrschenden nicht bereichern, sondern das Geld im Staatshaushalt für die Entwicklung des Landes zur Verfügung stellen, könnte Angola jetzt, da Frieden ist, wie ein Phönix aus der Asche steigen. Bei etwas über 150 Distrikten würde für jeden dieser Verwaltungsbezirke rund sechs Millionen Dollar zur Verfügung stehen. Androz Cassango, der stellvertretende Distriktchef von Balombo im Zentralen Hochland, rechnet nach, was er damit bei sich in nur einem Jahr finanzieren könnte:

    Als erstes würden wir die Lebensbedingungen für die Bevölkerung verbessern. Wir könnten mit dem Geld Schulen in jedem unserer Dörfer bauen. Es wäre auch möglich, Gesundheitsposten überall einzurichten. Wir könnten die Landwirtschaft entwickeln, die Stromversorgung wiederherstellen. Wir könnten vorankommen.

    All dies wäre in nur einem Jahr möglich. Von dem Geld finanzierbar, das im Land vorhanden ist. Doch es ist verschwunden. Kritik mag Luanda überhaupt nicht. Als der Beschäftigte der UNO-Organisation für Entwicklung (UNDP), Tony Hodges, den systematischen Diebstahl in seinem Buch "Angola vom Afro-Stalinismus zum Erdöl-Diamanten-Kapitalismus" nachwies, drängte die Regierung darauf, den unbequemen Mann schnellstens abzuziehen. Auch die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" bekam Ärger, als sie in ihrem jüngsten Report beklagte, dass das schon im Krieg geschundene Volk nach dem Friedensschluss sträflichst vernachlässigt werde, wie ihr Sprecher in Luanda berichtet:

    Kürzlich haben wir eine Studie veröffentlicht, basierend darauf, was wir sahen und die Leute vor Ort uns erzählten – also einen Augenzeugenbericht über die Situation auf dem Lande. Die Reaktion der Regierung darauf war sehr ungehalten. Wir sollten uns auf die humanitäre Unterstützung konzentrieren und uns nicht in innere Angelegenheiten einmischen.

    Der Informationssekretär der regierenden MPLA, Kwata-Kanawa, wetterte, Partei und Regierung würden niemandem gestatten, ihnen zu sagen, was sie zu tun hätten. Auch beim Büro der Vereinten Nationen in Luanda beschwerte man sich und verlangte, dass die Kritiker in Zaum gehalten würden. Zugleich machte die Regierung weiter wie bisher – sie tat nichts für die notleidende Bevölkerung, wie sich Androz Cassango beschwert:

    Die Regierung hat bisher nichts unternommen, um die Probleme der Bevölkerung zu lösen.

    In Ussoque, einem kleinen Ort in der Nähe von Balombo, wohin die Flüchtlinge jetzt wieder zurückkehren, klagt in gleicher Weise Antonio Luis Calei, der Soba, wie der Dorfälteste in Angola genannt wird:

    Ein einziges Mal bekamen wir Mehl, Reis und Bohnen. Das war alles. Wir beschwerten uns darüber in Huambo beim zuständigen Gouverneur. Der kontaktierte dann Benguela. Und von dort kamen dann Lieferungen – von der Welthungerhilfe.

    Die deutschen und andere internationale Hilfsorganisationen sind von der Regierung fest eingeplant. Ein hoher UNO-Beamter berichtet, dass schon in den Neunzigerjahren den westlichen Ölgesellschaften klar gemacht wurde, dass sie die begehrten Förderlizenzen nur erhalten, wenn sich die Hilfsorganisationen ihrer Länder um die Versorgung der Bevölkerung kümmern. Und genau das passiert, ohne sich gegen diese Form der Erpressung aufzulehnen. Es wird nicht nur Nahrung geschickt, damit die Menschen überleben, sondern auch Saatgut und landwirtschaftliche Arbeitsgeräte wie Äxte, Buschmesser und Hacken, damit die Bauern ihre Felder bestellen können. Antonio, einer derjenigen, die gerade eine Hacke bekommen haben, wägt sie in der Hand ab:

    Sie ist gut. Liegt richtig in der Hand. Nun habe ich eine Hacke und auch ein Buschmesser und kann anfangen, mein Feld zu bestellen.

    Manuel beaufsichtigt die Austeilung der gerade angekommenen Lieferung der Welthungerhilfe:

    Alle Familien, die hier in Ussoque leben, bekommen etwas. Heute bekommen sie pro Familie fünf Kilo Getreide-Saatgut.

    Kein Körnchen geht hier verloren. Kinder schieben das auf die Plane herunterfallende Saatgut mit den Händen zusammen. Jedes Korn zählt. Udo Derichs, Projektleiter der Deutschen Welthungerhilfe in dieser Region, zeigt sich wesentlich engagierter als die angolanischen Behörden:

    Doch viele Angolaner wird dies treffen. Schuld daran ist die Regierung, die die Familienangehörigen der UNITA nicht versorgte. Tausende Tonnen Nahrungsmittel stapeln sich unverteilt in den Häfen von Luanda und Lobito, weil das zuständige Ministerium nicht die Hafengebühren bezahlt. Der verantwortliche Minister João Baptista Kussumua verlangt von den Hilfsorganisationen eine Liste für das ganze Jahr im voraus, wann und mit welchem Schiff sie welche Mengen ins Land bringen wollen, damit er monatlich das Geld für die Gebühren planen könne. Ansonsten, so meint er lapidar, werde es eben weiter zu Verzögerungen kommen. Und dies, da nicht nur 1,8 Millionen Menschen auf der Versorgungsliste des Welternährungsprogramms stehen, mehr als in dem ganzen Vierteljahrhundert des Bürgerkrieges zuvor, sondern da auch die Regierung selbst recht wenig fürs eigene Volk tut, wie der Sprecher von "Ärzte ohne Grenzen" in Luanda erklärt:

    Wenn man die gesamte Unterstützung betrachtet, also Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente und medizinische Versorgung, dann kommen etwa 80 bis 85 Prozent von der internationalen Gemeinschaft, während nur 15 Prozent von der Regierung geleistet werden.

    Die Regierung kümmert sich nicht um das eigene Volk. Die Hälfte der Kinder stirbt vor dem Erreichen des sechsten Lebensjahrs – wegen Unterernährung oder einer von vielen eigentlich verhinderbaren Krankheiten. Bisher hat die Regierung kein Nothilfeprogramm bekannt geben, um nach dem Kriegsende endlich die Situation zu verändern. Auch gibt es kein Sofortprogramm zum Wiederaufbau des Schulwesens, wo doch 80 Prozent aller Schulen zerstört oder ohne Lehrer sind, so dass befürchtet werden muss, dass drei Viertel der Kinder im schulfähigen Alter Analphabeten bleiben. Die angolanische Regierung verschlimmert durch ihre eigene machtsichernde Politik die Situation zusätzlich. Auch die Führer der UNITA kümmern sich nicht um ihre Leute oder Angola insgesamt. Das einzige, was sie bewegt, ist ihr künftiger Anteil am Kuchen der Macht.

    So bleibt das potenziell reiche Land weiterhin ohne die notwendigen Mittel und Kräfte für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Obwohl die Regierung mit der Armee, die zu den größten Afrikas gehört, die logistische Kraft hätte, überall im Land gezielte Notprogramme durchzuführen und durchzusetzen. Obwohl die UNITA in den von ihr früher kontrollierten Gebieten, die zwei Drittel des Landes ausmachten, wo etwa ein Drittel der Bevölkerung lebte, eine recht zentralistische Struktur aufgebaut hatte, die jetzt ebenfalls nutzbar wäre. Und obwohl Angola jedes Jahr Milliarden Dollar einnimmt. Aber die Herrschenden beider Seiten wollen weder von ihrem Reichtum noch von ihrer Allmacht abgeben. Der endlich erreichte Frieden nach mehr als einem Vierteljahrhundert Bürgerkrieg beschert damit der Bevölkerung nur das Schweigen der Waffen, nicht aber das so sehnlich erhoffte bessere Leben - obwohl es doch möglich wäre - mit ein wenig gutem Willen.