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Schwimmer Torben Schmidtke
Hoffnungsträger für die Paralympischen Spiele

Bei den Paralympics in London vor vier Jahren holte der Behindertenschwimmer Torben Schmidtke Silber - seitdem gehört er in seiner Startklasse zur Weltspitze. Für Gold hat es bei internationalen Wettkämpfen allerdings noch nicht gereicht. Eine neue Klassifizierung der Behindertensportler könnte das in Zukunft ändern.

Von Melanie Last | 30.07.2016
    Der Schwimmer Torben Schmidtke bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft IDM im Schwimmen 2015 für Menschen mit Behinderung.
    Die Klassifizierung entscheidet über Karrieren: Der Schwimmer Torben Schmidtke bei der Internationalen Deutschen Meisterschaft IDM im Schwimmen 2015 für Menschen mit Behinderung. (imago sportfotodienst)
    50 Kilometer schwimmt er jede Woche. Daneben Krafttraining an Land und Hypoxietraining im Wasserkanal, Schwimmen gegen den Strom unter Sauerstoffmangel. Macht zusammen neun Trainingseinheiten. Ein hartes Pensum! Und dennoch schafft es Torben Schmidtke, sich immer wieder zu motivieren, auch wenn der Wecker morgens 6:35 Uhr zum Training klingelt. Sich zu schinden, obwohl er weiß, er muss an seine Schmerzgrenze gehen.
    "Wenn man sieht, okay, du kannst immer noch ein bisschen was rausholen und der Trainer motiviert dich auch noch dazu, dann gehst du halt auch nochmal ein Stückchen weiter und dann schaffst du es auch, noch ein Stück länger zu schwimmen."
    Umstrittene Startklassen
    Der 27-Jährige wuschelt sich durch seine dunkelbraunen Locken. Bevor er ins Wasser springt, zieht er seine Prothese aus. Torben Schmidtke hat Dysmelie, kürzere Beine, eine angeborene Fehlbildung. In seiner sogenannten Startklasse SB6 treten Schwimmer an, die in ihren Behinderungen von Ärzten und Physiotherapeuten nach einem System ähnlich eingeschätzt wurden. Diese Klassifizierung ist allerdings umstritten. Auch Torben Schmidtke ist nicht davon überzeugt, dass alle Sportler tatsächlich in der richtigen Startklasse antreten.
    "Diese ganzen verschiedenen Behinderungen in diese zehn Körperbehindertenklassen einzuteilen... Der eine hat mehr, der andere hat weniger. Und dann ist natürlich das Problem, wie strengen sich die Leute in dieser Klassifizierung an. Was zeigen sie, was können sie oder was verbergen sie, was sie dann im Wettkampf doch besser können, als in dieser Untersuchung."
    Die Klassifizierung entscheidet schließlich über Karrieren. Sie werden zerstört oder gefördert.
    "Wenn ich in die höhere Klasse komme, ok, dann hab ich da nichts mehr zu suchen, weil ich dann Weltranglistenplatz 34 bin. Oder in der niedrigen Klasse bin ich plötzlich unter den Top Drei."
    Torben Schmidtkes Konkurrenz auf seiner Paradestrecke über 100 Meter Brust auf der langen Bahn ist groß. Die Medaillen ganz oben in der Weltspitze werden allerdings unter drei Sportlern ausgemacht: dem Ukrainer Yevheniy Bohodayko, dem Kolumbianer Nelson Crispin und ihm selbst, erklärt der Schweriner.
    "Dieses Jahr hatten wir Europameisterschaften in Funchal. Da war es genauso wieder: ich war 80 Meter Europameister. Und dann kamen beide und ich bin einfach stehen geblieben im Wasser. Ich konnte einfach nicht mehr. In Rio wollen wir es dieses Mal natürlich anders machen, das ich auch bis 100 Meter weiter vorne lieg."
    Körperliche Voraussetzungen variieren extrem
    Die körperlichen Voraussetzungen seiner engsten Kontrahenten in der Startklasse SB6 könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier zeigt sich erneut die Problematik der Klassifizierung. Bohodayko beispielsweise hat einen kürzeren rechten Arm, jedoch gesunde Beine. Dadurch kann er vom Startblock besser abspringen als Schmidtke. Der muss beim Schwimmen mit seinen gesunden Armen alles rausholen.
    Der Ukrainer hält seit Jahren den Weltrekord über 100 Meter Brust mit einer Minute und 20 Sekunden 17. Aufgestellt hat er ihn bei den Paralympics in London 2012. Schmidtke holte damals Silber und schwimmt seitdem immer hinterher.
    "Ja der ewige Zweite. Aber solange ich nicht ewiger Fünfter bin, reicht mir das, auch Zweiter zu sein. Und Silber ist manchmal hübscher als Gold. Auch wenn es Bronze ist, darüber kann man sich auch freuen, wenn man dann Bestzeit geschwommen ist."
    Das International Paralympic Committee, kurz IPC, hat angekündigt, die Klassifizierung der Behindertensportler zu ändern. Und zwar für alle paralympischen Sportarten. Für die Athleten soll es dann nach neuesten wissenschaftlichen Studien genauere Tests geben.
    Beispiel: ein Schwimmer. Er wird an einem Kabel durch das Wasser gezogen, um den Widerstand auf seinem Körper zu messen. Ist der Widerstand groß, weil der Sportler querschnittgelähmt ist und seine Beine deshalb tiefer im Wasser liegen als bei einem nicht-querschnittgelähmten, gibt es entsprechend weniger Punkte. Ähnliche Messungen werden beim Sprung vom Startblock, während des eigentlichen Schwimmens und bei der Wende durchgeführt. Aus all diesen Tests und Messungen ergebe sich dann ein Gesamtwert, so ein Sprecher des IPC. Und der entscheide neben den medizinischen Untersuchungen über die Startklasse.
    Neue Klassifizierungen vielleicht schon in Tokio?
    Festlegen wolle sich das IPC nicht, aber diese neue Klassifizierung der Schwimmer werde vielleicht schon bei den folgenden Paralympics in Tokio 2020 umgesetzt.
    Ob Schmidtke dann noch dabei ist, weiß er nicht. Obwohl er das Zeug dazu hätte, ist sich seine Trainerin Dörte Paschke sicher.
    "Wir haben noch nicht das Limit erreicht, was er kann, obwohl er schon 27 ist. Wir merken gerade in diesem Jahr: es ist wahnsinnig schnell. Der wird immer schneller und ich bin jeden Tag erstaunt, wo er das herholt. Also so schnell."
    Seit zehn Jahren trainiert die Greifswalderin Torben Schmidtke. Seine Technik habe sich in der Zeit enorm verbessert.
    "Dieses Jahr ist beim Brustschwimmen die Stabilität so gut, dass er die Technik nicht mehr verändert. Wir haben sonst immer in Trainingslagern, wenn das Becken sich geändert hat, hat die Technik sich ein bisschen geändert und über das Jahr auch immer mal geschwankt. Und das ist in diesem Jahr noch überhaupt nicht passiert."
    Beste Voraussetzungen also für Rio.
    Als nächstes steht ein weiteres Höhentrainingslager an: Sierra Nevada, Spanien. Vier Wochen volle Konzentration auf 100 Meter Brust. Noch mehr powern, noch mehr schinden für die entscheidenden Millisekunden. Und vielleicht für einen neuen Weltrekord.