Donnerstag, 28. März 2024

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Schwulenparagraf 175
Hinter Gittern wegen der sexuellen Neigung

Dass Männer Männer lieben, war in Deutschland lange strafbar. Karrieren wurden dadurch zerstört, Biografien vernichtet. Betroffene wurden verfolgt und inhaftiert. Erst 1994 wurde der so genannte Schwulenparagraf 175 abgeschafft. Per Gesetz sollen Betroffene nun rehabilitiert werden.

von Axel Schröder | 22.03.2017
    Rund 50.000 Männer wurden in Deutschland nach Paragraf 175 verurteilt, weil sie homosexuell waren.
    Rund 50.000 Männer wurden in Deutschland nach Paragraf 175 verurteilt, weil sie homosexuell waren. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Vor Heinz Schmitz liegen uralte Gerichtsakten auf dem Wohnzimmertisch. 55 Jahre alt sind die Dokumente, die sein Leben auf den Kopf stellten. Damals, im Sommer 1961, führt der greise Konrad Adenauer die Regierung in Bonn, die DDR baut eine Mauer, Juri Gagarin fliegt als erster Mensch durchs All. Und Heinz Schmitz, Azubi in Freiburg, liebt heimlich Männer:
    "Ich weiß nur, dass eines Tages die Polizei vor der Tür stand, die so genannte Sittenpolizei hieß das. Kriminalpolizei, Abteilung Sitte. Und mich direkt mitgenommen hat auf das Präsidium zum Verhör. Gleich zum Verhör."
    Lichtbilder wurden gemacht, Fingerabdrücke abgenommen, erzählt Heinz Schmitz, der seinen richtigen Namen lieber nicht im Radio hören möchte. Er setzt die Lesebrille auf, sucht in den Akten den Ermittlungsbericht der Freiburger Polizei, die seine Verfolgung nach Paragraf 175 Strafgesetzbuch, dem so genannten "Schwulenparagrafen" dokumentieren:
    "Hier ist es sehr schön geschrieben: 'Es wurde gegen den Heinz Schmitz ein Verfahren wegen Unzucht mit Männern eingeleitet. Der kaufmännische Lehrling wird beschuldigt, erstens: er sei an einem nicht mehr näher feststellbaren Tag in Freiburg im Kino gewesen. Ein neben ihm sitzender Mann habe ihm in wollüstiger Absicht über den Oberschenkel gestrichen, worauf er dies erwidert habe.' Der zweite Punkt: 'Er hatte 1959, 1960 und 1961 mit verschiedenen Männern in Freiburg gegenseitig onaniert.' Und dann kam die Vorladung zur Verhandlung. Genau!"
    Immer noch vorbestraft
    Heinz Schmitz nimmt die Lesebrille ab. Lehnt sich im Sessel zurück. In seinem Wohnzimmer, im achten Stock, in einem Hochhaus am Freiburger Stadtrand, hängen gerahmte Bilder an der Wand, vergilbte Fotos, Aquarellblumen. Heute ist er Anfang 70. Und immer noch vorbestraft.
    Im Februar 1962 begann der Prozess gegen ihn. Er wurde verurteilt zu sechs Monaten Jugendarrest. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt, damit er seine Lehre weitermachen kann. Absitzen musste er aber drei Wochenenden im Jugendarrest in Mülheim an der Mosel, die Heinz Schmitz kurz nach dem Urteil antritt.
    "Da war so quasi die Begrüßung, als ich ankam – die wussten das ja, ich war ja wohl angemeldet: Ach, da kommt das Schwein aus Freiburg! Der Sittenstrolch! Den müssen wir gesondert einsperren, damit er unsere anderen Jungens nicht verführt oder sonst irgendwie belästigt! Somit wurde ich sofort in eine Einzelzelle eingesperrt. Türe zu. Fertig!"
    Wenn demnächst das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern des Paragrafen 175 verabschiedet wird, ist das ein Verdienst eines jahrzehntelangen Kampfes vieler kleiner Initiativen, aber auch von Menschen wie Heinz Schmitz. Er hatte in der Freiburger Lokalzeitung über seinen Fall berichtet, wollte aufrütteln, Druck machen.
    Auch Entschädigungszahlungen sind geplant
    Geplant ist, nicht nur die Urteile aufzuheben, sondern auch eine Entschädigungszahlung von 3.000 Euro an die rund 5.000 Betroffenen. Zusätzlich sollen sie pro angefangenem Jahr in Haft 1.500 Euro bekommen. Allerdings gelten diese Regeln nur dann, wenn die Betroffenen tatsächlich nur wegen homosexueller Handlungen und nicht in Tateinheit mit Missbrauch oder Körperverletzung verurteilt wurden. Bei Heinz Schmitz aus Freiburg ist das unstrittig, das belegen die Gerichtsakten.
    "Es würde mir wahnsinnig viel bedeuten. Eine Erleichterung, Erlösung, Genugtuung, wenn das abgewaschen würde, wie abgewaschen wäre! Obwohl ich heute nicht mehr drunter leide. Trotzdem spürt man das doch irgendwie innerlich: 'Mensch, Du bist Straftäter!' Und dann wäre ich ganz sauber wieder! Es würde mir wahnsinnig gut tun. Und nicht nur für mich, sondern für alle, die noch leben und betroffen waren. Denn es gibt ja viele, die ja wesentlich schlimmer gelitten haben als ich!"
    Aber auch wenn das Gesetz schnell verabschiedet wird und in Kraft tritt, macht sich Heinz Schmitz keine Illusionen: Die Diskriminierung von Homosexuellen wird dadurch nicht beendet, die Scheu vor einem offenen Umgang damit nicht verschwinden.
    "Ich selbst treffe noch alte Bekannte aus früheren Jahren, die heute noch, wenn man sie fragen würde: 'Bist Du schwul?', 'Nein!' sagen würden. 'Ich doch nicht!' Sie sagen dir ins Gesicht teilweise, die Leute: 'Wir haben damit kein Problem mehr!' Und wenn du dich umdrehst und weggehst, kann es dir passieren, dass die hinter deinem Rücken - heute noch - zu dem nächsten Bekannten sagen: 'Die schwule Sau hat mir gerade das und das erzählt!'"
    Er selbst, erzählt Heinz Schmitz, hat selbst erfahren müssen, wie schwer sich viele Menschen immer noch mit dem Thema Homosexualität tun. Kurz nachdem er sich in der Freiburger Lokalzeitung unter seinem echten Namen für das Rehabilitierungsgesetz eingesetzt hatte, kamen die ersten empörten Anrufe. Aus dem engsten Familienkreis.