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Science-Fiction
Brian Aldiss war "ein humanistischer Autor"

Mit Brian W. Aldiss ist einer der ganz großen Science-Fiction-Autoren im Alter von 92 Jahren gestorben. Dem Briten sei es nicht so sehr um den technischen Fortschritt gegangen, sondern um Politik, um Kultur, um Philosophie, erinnert sich der Chefredakteur der Perry-Rhodan-Serie Klaus N. Frick im Dlf: "Es ging ihm immer um den Menschen."

Klaus N. Frick im Gespräch mit Dina Netz | 23.08.2017
    Der britische Science-Fiction-Autor Brian W. Aldiss (1925-2017)
    Der britische Science-Fiction-Autor Brian W. Aldiss (1925-2017) (imago stock&people)
    Dina Netz: Der britische Science Fiction-Autor Brian Wilson Aldiss war weit mehr als das, was man mit dem Etikett "Science Fiction" verbindet - ein Bestseller-Autor von Romanen mit Zukunftsvisionen, ja, das auch. Aber er wurde zum Beispiel von seinem in Anführungszeichen "seriösen" Kollegen Kingsley Amis durchaus als ebenbürtig betrachtet. Aldiss hat mehr als 40 Romane und Kurzgeschichten, Bände mit Gedichten, Essays und eine Autobiographie geschrieben - um nur einige Facetten seines Werkes zu nennen.
    "Helliconia" war sein bekanntestes Werk
    Jetzt ist Brian Aldiss im Alter von 92 Jahren gestorben, wie mehrere Medien berichten. Klaus N. Frick ist Chefredakteur der Perry-Rhodan-Serie und Kenner des Werkes von Brian Aldiss. Ich habe ihn gefragt: Herr Frick, wir müssen aus dem umfangreichen Werk auswählen, um einen Eindruck von Brian Aldiss' Schreiben zu bekommen. Eins seiner bekanntesten Bücher ist die "Helliconia"-Trilogie aus den 80er-Jahren. Darin erzählt er von einem Planeten dieses Namens. Was ist an dieser Trilogie exemplarisch für Aldiss' Bücher?
    Klaus N. Frick: Das ist eigentlich eine Trilogie, die zum Spätwerk von Aldiss gehört, sie bricht in gewisser Weise mit dem, was Aldiss in den 60er-Jahren gemacht hat. "Helliconia" ist sehr normal erzählt, "Helliconia" spannt eine Geschichte über Jahrhunderte hinweg, sie ist auch gegliedert in Frühling, Sommer und Herbst. "Helliconia" ist eine Welt, die einen irrsinnig langen Umlauf um eine Sonne hat, wo es dann eben auch Winter gibt, die Jahrhunderte überdauern und in denen sich die menschliche Zivilisation, die auf diesem Planeten existiert, völlig verändert. Es gibt auf dieser Welt Außerirdische, es gibt alle möglichen Dinge, die eben unter dem Einfluss dieser Gezeiten und dieser Jahreszeiten sich völlig verändern. Das hat Aldiss in einem ungeahnt großen Weltenbau unglaublich faszinierend dargestellt. Es ist sicherlich sein bekanntestes Werk. Ich würde nicht sagen, dass es sein bestes Werk ist, aber es ist das Werk, mit dem er am ehesten bekannt geworden ist.
    "Aldiss war auf jeden Fall politisch"
    Netz: Als eines seiner avantgardistischsten Bücher galt "Barfuß im Kopf" von 1969. Da gehen wir also etwas weiter Richtung Frühwerk. Darin sah Aldiss zum Beispiel schon den Zerfall Europas voraus. War er also auch ein politischer Kopf?
    Frick: Aldiss war auf jeden Fall politisch, wobei ich "Barfuß im Kopf" gar nicht so sehr politisch sehe. Ich gestehe, dass ich das Buch in der deutschen Übersetzung gelesen habe, vor allem deshalb, weil ich das englische Original nicht verstanden habe. Aldiss hat in den 60er-Jahren sehr viel experimentiert. Er hat ja damals zu den Autoren gezählt, die diese New Wave in der Science-Fiction mitbegründet haben, und hat da irrsinnige stilistische Experimente gemacht. Und diese Experimente gingen in einen Bereich, der für jemanden, der nur durchschnittliche Englischkenntnisse hat, schwer nachvollziehbar waren. Also, "Barfuß im Kopf" hat so Stream of Consciousness und so was ... Also, diese Gedankenstromsequenzen sind da drin, die auch in der Übersetzung extrem schwer waren für den Übersetzer. Das Buch ist streckenweise nicht verständlich, finde ich. Ich habe es gelesen und war sehr ratlos. Ich glaube, das Buch konnte man 1969 verstehen, aber in den 80ern, als ich es las, war es schon zu weit weg von dem Original.
    Netz: Herr Frick, waren denn diese stilistischen Experimente, die Sie gerade ansprechen, das, was Aldiss heraushob aus dem, was man mit dem Etikett Science-Fiction ja so ein bisschen despektierlich versieht? Oder was macht ihn zu einem Autor, von dem eben Kingsley Amis sagt: Das war einer wie ich, der ist mir ebenbürtig?
    Frick: Aldiss hat eigentlich alles in der Science-Fiction gemacht, was man machen kann. In seinem Frühwerk hat er relativ normale Geschichten geschrieben, relativ normale Ideen gehabt, dann kam diese New-Wave-Phase, in der er abgefahrene Kurzgeschichten gemacht hat und eben dieses "Barfuß im Kopf", neben einigen anderen Romanen, dann hat er in den 70er-Jahren ja mit der Fantasy-Literatur herumexperimentiert, die bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich vor allem "Conan der Barbar" und den "Herrn der Ringe" kannte, und da hat er auch etwas ganz Eigenständiges gemacht. Dann kam diese "Helliconia"-Geschichte.
    Die Geschichte der SF-Geschichten
    Für mich war Aldiss dann der Autor, der sich auch hingesetzt hat und als Schriftsteller versucht hat, die Science-Fiction auch zu historisieren. Er hat zwei große Werke geschrieben über die Geschichte der Science-Fiction und hat von den Anfängen bis zu seiner jeweils aktuellen Zeit diese Science-Fiction-Literatur in Epochen unterteilt, hat ihre wichtigsten Werke charakterisiert, die wichtigsten Autoren herausgegriffen und so weiter. Er hat also versucht, das Genre zu verändern, er hat versucht, das Genre von verschiedenen Seiten zu beleuchten, und er hat versucht, das Genre auch zu historisieren. Und das hat vor ihm und nach ihm kein Autor in diesem Umfang und in dieser Vielseitigkeit hinbekommen.
    Netz: Was ihn auch auszeichnete, Herr Frick, war, glaube ich, dass er natürlich in seinen Büchern immer auf dem neusten technischen Stand war, wie sich das gehört für einen Science-Fiction-Autor, aber die technischen Möglichkeiten waren nicht eigentlich das, was ihn interessierte, sondern ihm ging es eher um den Menschen, oder wie würden Sie sagen?
    Frick: Es ging ihm tatsächlich immer um den Menschen. Es ging ihm darum: Wie verändert sich der Mensch unter so einer Technik, wie verändert sich der Mensch, wenn sich eben ein Europa verändert, und was passiert mit einem Menschen, der sich über Jahrhunderte hinweg, beispielsweise wie in "Helliconia" geschildert, an eine andere Umwelt anpassen muss?
    Wenn Menschen beispielsweise über Jahrhunderte hinweg immer Hunger leiden, werden sie anders aussehen als Menschen, die über Jahrhunderte hinweg immer gut zu essen bekommen. Aldiss hat sicherlich nie technische Science-Fiction geschrieben oder nur eingeschränkt, er war immer, heute würde man sagen: ein humanistischer Autor. Und in seinen Romanen hat er auch allgemeine Literatur geschrieben, er hat Gedichte geschrieben, hat immer wieder versucht, eben Menschen ins Zentrum zu stellen. Es ging ihm nicht so sehr um den technischen Fortschritt. Es ging ihm um Politik, um Kultur, um Philosophie. Das waren so die Dinge, um die sein Denken und Schreiben gekreist sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.